Deutsche Nationalelf:Wer braucht den Spielführer noch?

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Abschied von der Majestät: Natürlich braucht eine Nationalelf einen festen Klassensprecher, aber sie braucht ihn nur alle zwei Jahre, nur im Stress der großen Turnieren.

Klaus Hoeltzenbein

Thomas Hitzlsperger hat am Mittwoch in Kopenhagen vorbildlich alles erledigt, was ein guter Kapitän der Nationalelf dort zu leisten hatte. Er hat die Dänen freundlich begrüßt, ihm ist der Pass zum 1:0 (Ende: 2:2) gelungen, und er hat widerstandslos das Stück Stoff, das er am Ärmel trug, an Serdar Tasci weitergereicht, als er nach 66 Minuten ausgewechselt wurde. Kein böser Blick, kein verweigerter Handschlag, kein Donnergrollen in den Medien. Gewiss, Hitzlsperger war nur Aushilfskapitän, weil die Duellanten ums Amt, Michael Ballack und Philipp Lahm, fehlten, aber auch Hitzlsperger steht in Reihe mit Fritz Walter, Uwe Seeler, Franz Beckenbauer, die einst das "Spielführer" auf dem Ärmel trugen - ein Nationalspieler-Leben lang.

Joachim Löw und seine Kandidaten für das Amt des Kapitäns: Michael Ballack und Philipp Lahm. (Foto: dpa)

Doch wer braucht den ewigen "Spielführer" heute noch? Wozu ist er heute da, außer als Erster in ein Stadion einzulaufen und Wimpel zu tauschen? In der Bundesliga sind erkennbare Hierarchien notwendig, täglich sind Alltagsprobleme zu klären, aber auch dort gibt es schon Modelle, die die alte Ordnung auflösen: Aufsteiger Kaiserslautern etwa hat zwei Kapitäne, Srdjan Lakic und Martin Amedick, und es würde nun nicht gänzlich verwundern, wenn Bundestrainer Löw sich am Ende all seiner Überlegungen (Ballack? Lahm? Beide?) am Pfälzer Modell orientierte: nämlich Macht zu teilen, um Allmacht zu brechen.

Beinhaltet so ein Kapitänsamt im Revier des Deutschen Fußball-Bundes doch eine Tradition, die jedem modernen Wettbewerb Hohn spricht: der DFB-Kapitän gilt als unauswechselbar; Ausnahme: Kreuzbandriss oder rote Karte. Der DFB-Kapitän spielt immer, er hat eine Art Stammplatzgarantie, also genau das, was im Vereinsleben als verpönt, da unsportlich gilt. Der strenge Kapitänsstatus schränkt die Optionen eines Sportlehrers ein.

Natürlich braucht eine Nationalelf einen festen Klassensprecher, aber sie braucht ihn nur alle zwei Jahre, nur im Stress der großen Turniere. Zwischendrin, wenn sie sich alle zwei, drei Monate kurz zum Länderspiel trifft, braucht sie ihn nicht. Zwischendrin kann der Trainer der Kapitän sein, die Binde können viele tragen. Löw braucht ja gerade jetzt Souveränität und Zeit dafür, im Herbst vergleichend beobachten zu können, ob Sami Khedira, 23, sich bei Real Madrid durchsetzt, ob Ballack, 33, in Leverkusen nach komplizierter Verletzung noch einmal die Form findet, den Jüngeren im Mittelfeld herauszufordern.

Er braucht Spielraum für Experimente, für In-Frage-Stellungen ohne Hysterie. Denn es geht ja im DFB-Kern nicht um die Kapitänsrolle, diese verschleiert nur, es geht um einen grundsätzlichen Richtungsentscheid. Kann Ballack der Mannschaft, die sich bei der WM von ihrem majestätischen Chef emanzipiert hat, noch mal helfen?

Löw, der sich schon dem Vorwurf des Lavierens ausgesetzt sieht, kämpft in dieser Debatte nicht nur für sich, er kämpft für seine Zunft. Seine Mannschaft wurde bei der WM für modernes Spiel samt flacher Hierarchie gefeiert, nun bedarf es auch einer Definition des DFB-Kapitäns. Einer Anpassung dieser Rolle an das Leistungsprinzip. Denn die alte, die majestätische Definition stammt aus jener Zeit, in der Fritz Walter das Regenwetter erfunden hat.

© SZ vom 14.08.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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