Deutsche Eishockey Liga:Der radikale Weg

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Mannheims Meistertitel ist das Werk von Trainer Pavel Gross - und das Resultat eines Umbruchs im Klub. Bereits jetzt tüfteln die Adler an der Optimierung eines Eishockey-Kaders, der kaum Schwächen zeigte.

Von Johannes Schnitzler, München

Wie ein badischer Obstbauer an einem üppig mit Früchten beladenen Baum rüttelte Daniel Hopp an diesem riesigen blauen Knäuel. Was von der Jubeltraube abfiel, waren zwar nur verschwitzte Handschuhe und der eine oder andere Schwall Bier. Aber das war Hopp, dem Geschäftsführer der Adler Mannheim, in diesem Moment egal. Ihre Ernte hatten sie zuvor im fünften Finalspiel der Deutschen Eishockey Liga (DEL) gegen Titelverteidiger EHC Red Bull München bereits eingefahren. Das 5:4 nach Verlängerung am Freitagabend war der benötigte vierte Sieg zum ersten Meistertitel seit 2015 und zum achten insgesamt für Hopps Team. In der DEL liegen sie mit sieben Trophäen nun gleichauf mit Rekordmeister Eisbären Berlin. Da kann man seine Spieler schon mal kräftig durchschütteln. Trainer Pavel Gross kündigte an: "Wir werden jetzt sehr viel Bier trinken. Meinetwegen drei Tage."

Ein paar Sekunden später troff sein Anzug auch schon nach der ersten Sektdusche durch Nationalstürmer David Wolf. Gross, als Disziplinfanatiker gefürchtet, lächelte selig. Der 50-Jährige mit dem Blick eines wachsamen Habichts wirkte am Freitag kurz vor Mitternacht so gelöst wie nie zuvor. Als Münchens Trainer Don Jackson ihm gratulierte, lächelten beide wie zwei alte Freunde. "Sie haben eine fantastische Saison gespielt und verdient gewonnen", lobte Jackson die Adler. Nach drei vergeblichen Versuchen mit den Grizzlys Wolfsburg, als er in der Finalserie jeweils an Jacksons Teams gescheitert war, 2011 an Berlin, 2016 und 2017 an München, darf Gross endlich seine erste Trophäe als Trainer in die Vitrine räumen - als Spieler war er bereits drei Mal Meister mit Mannheim. "Wir haben ein Späßle gemacht, dass ich jetzt vier Anläufe gebraucht habe, um Donnie zu schlagen", berichtete Gross von der Unterhaltung. "Aber das möchte ich betonen: Das war kein Finale Gross gegen Jackson, sondern Mannheim gegen München."

Dieses Mannheimer Team, das in der Hauptrunde einen Punkterekord (116) aufgestellt hat und auf dem Weg zum Titel von 14 Playoff-Spielen nur zwei verlor, ist indirekt das Ergebnis des Misserfolgs in der Saison 2017/18, als die Adler auf den drittletzten Platz abgestürzt waren. Damals, im Dezember 2017, entschied sich Daniel Hopp zu einem radikalen Schnitt, entließ ungeachtet persönlicher Freundschaften die komplette Sportliche Leitung und setzte auf Gross. "Wir hatten auch in Wolfsburg immer gute Bedingungen und hätten uns keinen besseren Arbeitgeber vorstellen können", sagt Gross. Vom Verhältnis zwischen Preis und Leistung dürfte es kein besseres Team gegeben haben. "Aber wir haben das Limit gejagt", sagt Gross. Und als das Angebot aus Mannheim kam, da beschlossen sie: "Das machen wir." Dieses Wir schließt seinen langjährigen Co-Trainer Mike Pellegrims ein, mit dem er sich "blind verstehe". Zum Team gehöre aber der gesamte Stab, die Betreuer und Sportmanager Jan-Axel Alavaara, der "gute Leute, gute Charaktere" gefunden habe, und die Mannschaft entscheidend umstrukturierte. Das Vorbild für den Umbau war ausgerechnet der Gegner im Finale, wie Gross jetzt verriet: "Wir haben geschaut: Wie macht München das? Wie haben die das geschafft, dreimal nacheinander Meister zu werden und so dominant zu spielen?" Am Freitag hatten die Adler nach einer 3:0- und 4:1-Führung schon wie der Sieger ausgesehen, ehe die von Verletzungen und einer zehrenden Champions-League-Saison geschwächten Münchner noch einmal ihre letzten Kräfte mobilisierten und zum 4:4 ausglichen. Aber "wenn es darauf ankam, haben wir Wege gefunden, um zu gewinnen", lobte Gross eine der vielen Qualitäten seiner Mannschaft. Verteidiger Thomas Larkin erlöste Mannheim schließlich in der 14. Minute der Verlängerung mit seinem Treffer zum 5:4.

Mit Mannheim hat Gross gleich im ersten Anlauf den erhofften Coup gelandet. Dafür habe die Mannschaft "das ganze Jahr extrem hart gearbeitet". Ein weiterer Erfolgsfaktor war für Torhüter Dennis Endras, der als "Wertvollster Spieler" der Playoffs ausgezeichnet wurde, der Teamcharakter, den er am Jüngsten festmachte, an Moritz Seider. Der 18-Jährige gilt als größtes deutsches Verteidigertalent und darf darauf hoffen, im Sommer von einem NHL-Team ausgewählt zu werden. Nach dem vierten Finale in München, dem zweiten, das die Adler ohne Gegentor überstanden hatten, sagte Seider, Endras spiele "unglaublich" gut - und sei außerdem "ein toller Mensch". Endras freute vor allem der zweite Teil des Kompliments: "Wenn ein Spieler wie Moritz Seider das sagt, zeigt das, dass wir ihn gut aufgenommen haben." Und das verrate viel über den Charakter der Mannschaft, denn es sei "nicht leicht, in so ein DEL-Team zu kommen". Die Kollegen sind immer auch Konkurrenten. Aber die Profis haben auch persönliche Härten klaglos weggesteckt wie Mannheims Kapitän Marcus Kink, der im Finale nur Ersatz war.

Der Tüftler und Entwickler Gross arbeitet derweil bereits an der Optimierung des Kaders, der eigentlich keine Schwächen offenbart. Aus Wolfsburg kommt Verteidiger Björn Krupp, aus Iserlohn Jungnationalspieler Lean Bergmann, der in seiner ersten DEL-Saison 20 Tore geschossen hat. Den Titel zu bestätigen, "wird erheblich schwieriger werden", glaubt Gross. Wenn man nur vier oder fünf Spieler austausche, bekomme das Team "sofort" einen anderen Charakter. Aber "wir werden hungrig bleiben und nicht zufrieden sein".

Für die Mannheimer folgten am Wochenende nach dem Triumph Empfänge, ein Autokorso zum Rathaus und die Saisonabschlussfeier am Sonntagabend in der Arena. Bis jetzt sei "alles human und ganz vernünftig" gelaufen, beteuerte Gross, die Mannschaft habe sich das verdient. Die Nationalspieler haben zumindest bis Mittwoch frei. Am Donnerstag trifft sich das Team von Bundestrainer Toni Söderholm, das am Samstag dank drei Treffern von Leon Draisaitl Österreich 5:1 bezwang, dann wieder, in Mannheim, wo am 7. Mai gegen das Team USA der letzte Test für die Weltmeisterschaft (10. bis 26. Mai) in der Slowakei stattfindet. Bis zu neun Spieler der beiden Finalisten werde er berufen, kündigte Söderholm an. Dennis Endras sagte: "Wenn er mich braucht, bin ich da. Wenn nicht, feier ich weiter."

© SZ vom 29.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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