Depressionen im Sport:Im tiefen Loch

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Nach einer Studie der Uni Tübingen führen Misserfolge bei jedem zweiten Leistungssportler zu psychischen Problemen. Zudem verheimlichen Athleten Beschwerden und neigen zum Ärztehopping.

Jeder zweite Leistungssportler fühlt sich durch die extremen Anforderungen immer wieder ausgebrannt und kraftlos. Zu diesem Ergebnis kommt eine am Dienstag veröffentlichte Studie der Universität Tübingen. Fast ein Drittel der befragten Sportler leide an Schlafstörungen, jeder fünfte klage sogar über gelegentliche Depressionen.

Der Torwart Robert Enke litt an Depressionen und nahm sich das Leben. (Foto: Foto: Reuters)

Die Studie mache klar, dass Depressionen wie bei dem verstorbenen Fußball-Nationaltorhüter Robert Enke im Profisport keine Seltenheit seien, teilte die Universität mit. Die Wissenschaftler hatten von 2006 bis 2008 rund 700 Athleten, Trainer und Funktionäre aus Handball und Leichtathletik befragt.

"Das Problem ist, dass diese Probleme aufgrund der Fokussierung auf die körperliche Leistungsfähigkeit weitestgehend tabuisiert werden", sagte Sportwissenschaftler Ansgar Thiel, einer der Autoren der Studie. Bei der Jagd nach dem sportlichen Erfolg sei für Schwäche kein Platz. Sobald aber die sportliche Leistung nicht mehr stimme, fielen Athleten in ein tiefes Loch mit teilweise regelrecht traumatischen Folgen.

Das gesamte System, in dem Leistungssport organisiert sei, berge Probleme. "Die Athleten wollen unbedingt Wettkämpfe bestreiten. Dafür verheimlichen oder ignorieren sie nicht selten Schmerzen und Beschwerden." Trainer, die eigentlich Verantwortung für das Wohlergehen der Athleten tragen sollten, gäben sich gerne schnell zufrieden, wenn ein Athlet sage, es sei alles in Ordnung.

Auch Schmerzmittel seien ein großes Problem im Leistungssport, schreiben die Tübinger Wissenschaftler weiter. Der übermäßige Einsatz von Medikamenten mache es möglich, dass Sportler die Warnsignale des Körpers überhören und zu früh wieder ins Training einsteigen könnten. "Das zieht nicht selten regelrechte Verletzungsserien nach sich", sagte der Professor. Athleten und Trainer verdrängen gerne alle Gedanken an mögliche Folgeschäden.

Zudem übten die Wissenschaftler heftige Kritik an der medizinischen Versorgung vieler Verbände und Vereine. Athleten und Trainer verlangten von den Ärzten vor allem ein "fit machen", kein "gesund machen". "In der Leichtathletik ist beispielsweise zu beobachten, dass Athleten solange ein "Ärztehopping" betreiben, bis sie jemand gesund schreibt oder fit für den Wettkampf macht."

In einer Folgestudie wollen die Sportwissenschaftler in den nächsten drei Jahren herausfinden, wie im Nachwuchssport mit der Gesundheit der Athleten umgegangen wird.

© sueddeutsche.de/dpa - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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