Fußball:So wurden DDR-Fußballer in Montreal zu Helden

Lesezeit: 2 min

Einer der Helden von Montreal: Wilfried Gröbner (links), damals Stürmer beim 1. FC Lokomotive Leipzig, während des Endspiels gegen Polen. (Foto: Imago)

Uwe Karte schreibt über die glänzenden Jahre des Fußballs östlich der Mauer und den goldenen Gipfel bei den Olympischen Spielen vor 40 Jahren.

Von Cornelius Pollmer

Im unendlichen Reich des Ambivalenten ist jener tückische Satz zu Hause, demnach nur Sieger Geschichte schreiben. Im Sport meint er vor allem, dass man sich an Gewinner nun mal besser erinnert als an starke siebte Plätze. Wahr ist aber auch, dass sich mit der Wiedervereinigung selbst im Sport eine durch den siegreichen Westen geprägte Sicht auf Geschichte durchgesetzt hat. Was bleibt da in Erinnerung von der DDR? Viel Doping, klar, Kati Witt, und vielleicht noch der kleine Unfall von 1974 auf dem Weg zum großen Triumph von München.

Viel mehr ist es ja wirklich nicht, und schon deswegen darf man sich über dieses kleine Buch freuen, das der Autor Uwe Karte zum Jahrestag des großen Triumphs von Montreal nun herausbringt. Montreal? Nun, am 31. Juli 1976 gewann die Auswahl der DDR das olympische Fußballturnier, 3:1 gegen Polen, die Tore schossen Schade, Hoffmann und Häfner.

Uwe Karte: Montreal privat. Die unglaubliche Geschichte vom Olympiasieg der DDR-Fußballer. Verlag Die Werkstatt, Hardcover, Preis: 19,90. (Foto: N/A)

Die zwei wesentlichen Einwände gegen nähere Betrachtungen zu diesem Erfolg liegen augenblicklich bereit - es ist halt lang her und DDR-Land ist abgebrannt. Aber das aufrichtige Interesse Kartes und die Detaildichte seiner Sammlung bringen den Fußball und ein wenig auch das Land selbst jenen nahe, die sich bislang nur mit deren Spätaussiedlern wie Matthias Sammer befasst haben.

Dieser Sammer hat ein eher kryptisches Vorwort zu Kartes Buch geschrieben, von dem zumindest in Erinnerung bleibt, dass er gerade bei Dynamo Dresden angemeldet wurde, als die wenigen glänzenden Jahre des DDR-Fußballs begannen. Das Buch beginnt mit Dynamos Pokalduell gegen die Bayern 1973, mit der Dresdner 3:2-Führung im Hinspiel und mit Hans-Dietrich Genschers Entsetzen, als er kurz vor der Pause im Stadion ankommt und auf die Anzeigetafel schaut: "Das ist ja eine nationale Katastrophe!" Auf das Sparwasser-Feuerwerk von 1974 folgt das Scheitern in der Qualifikation für die EM 1976 - damit ist der Boden bereitet für eine Phoenix-Geschichte.

Der Turnierverlauf der Fußballer in Kanada ist gut eingebettet in das, was man heute eine Gesamtsituation nennen würde. Karte berichtet von den massiven finanziellen Lasten, die das olympische Turnier seinen Gastgebern bringt, und er erlaubt es sich, von den fußballfremden Ungeheuerlichkeiten dieses Turniers zu erzählen wie von der Betrugskreativität des modernen Fünfkämpfers Boris Onischtschenko. Der KGB-Oberst präparierte seinen Degen derart, dass er den Trefferstromkreis auch dann beliebig schließen konnte, wenn von einem Treffer gewiss nicht die Rede sein konnte.

"Nennen Sie Ihre Neuankömmlinge ... Waldemar"!

All dies wird durchaus mit Anerkennung geschildert, ebenso die tendenzielle Übellaunigkeit, mit der die DDR-Fachpresse den Start der Fußballer in das Turnier begleitet. Ein 1:0-Sieg gegen Spanien? Die Neue Fußballwoche titelte folgerichtig: "Spielkulturell erneut weit unter den Anforderungen!" Und sie fügte zur Begründung an: "Niemand führte Regie, sorgte für Linie, für stilvollen Fußball."

Im Neuen Deutschland gingen die Sieger von Montreal schon wieder in der Freude über das Kollektiv unter, versteckt zwischen Boxern, Kanuten und dem Marathonsieger Waldemar Cierpinski, der den Glanzkommentar in der Karriere des Reporters Heinz Florian Oertel provozierte: "Liebe junge Väter . . . haben Sie Mut! Nennen Sie Ihre Neuankömmlinge . . . Waldemar!"

Mit dem Olympiasieg der DDR-Fußballer endete ihr Hoch, auch dafür hat Karte noch ein Kapitel übrig. Ins Ausland wechseln durften die Helden nicht, stattdessen blieben sie in ihren oft von Provinzfürsten regierten Klubs. Und wer wie Reinhard Häfner mit 25 alles Erreichbare erreicht hatte, dem blieben nun keine großen Ziele. Zumal auch an Materiellem nicht mehr viel zu holen war - oder, wie es Häfner im Rückblick sagt: alles gewonnen, "dazu Lada, Wohnung, Bungalow. Was sollte da noch kommen?"

© SZ vom 28.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Trainerlegende
:Georg Buschner ist tot

Der ehemalige DDR-Fußball-Nationaltrainer Georg Buschner ist tot.

Jetzt entdecken

Gutscheine: