Darts-WM:Zu perfekt fürs Partyvolk

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Michael van Gerwen aus den Niederlanden ist der Favorit der Darts-WM. (Foto: dpa)
  • Bei der Darts-WM erreicht Michael van Gerwen aus den Niederlanden das Viertelfinale.
  • Er ist der Favorit auf den Titel - aber kein Fan-Liebling. In einer der ersten Runden wurde er mit Bier überschüttet.
  • Die Zuschauer wollen keine Profisportler sehen - sondern weiter daran glauben, dass es beim Darts jeder schaffen kann.

Von Sven Haist, London

Nach zwei Sätzen hatte das Publikum im Alexandra Palace genug gesehen. Auf der Bühne feierte sich Michael van Gerwen für seine Würfe und stellte die eigene Unverwundbarkeit zur Schau, indem er wiedermal die Fäuste zu seiner bekannten Jubelpose von sich streckte und den Mund aufriss, als müsste er seinen Gegner zusätzlich einschüchtern. Dabei hatte Adrian Lewis im Achtelfinale der beiden Doppelweltmeister bis dahin sowieso keine Chance. Für den 29 Jahre alten van Gerwen, der als Weltranglistenerster die Dartsszene seit knapp fünf Jahren ununterbrochen dominiert, geht es stets nur ums Gewinnen, bei den jeweiligen Weltmeisterschaften zum Jahreswechsel noch viel mehr.

Mit seinem dritten Erfolg nach 2014 und 2017 könnte sich van Gerwen bei der WM aus dem Gros der bisherigen Titelträger abheben und sich auf den geteilten vierten Platz der Bestenliste vorarbeiten. Vor ihm würden sich dann bloß noch der im Vorjahr zurückgetretene Rekordchampion Phil Taylor (16 Titel) befinden, der im April verstorbene englische Altmeister Eric Bristow sowie sein niederländischer Landsmann Raymond van Barneveld (beide fünf Titel). Das Streben nach ewigem Ruhm widerspricht allerdings der hinlänglichen Vorstellung der feierwütigen Masse, die dem Dartswerfen vorwiegend beiwohnt, um unterhalten zu werden. Für jeden sichtbar fand van Gerwen an der Auseinandersetzung mit Lewis, das als Main Event des Donnerstagabends tituliert wurde, seinen Gefallen - nur halt die Leute nicht.

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Wie in jedem anderen Sport ist es nicht unbedingt von Vorteil, das Publikum gegen sich zu haben. Beim Darts ist dieser Umstand jedoch besonders unangenehm, weil die Spieler das Publikum im Rücken bei ihren Würfen nicht sehen können. Mit Buhrufen für van Gerwen und Unterstützung für Lewis half das Partyvolk im Ally Pally beim Außenseiter nach. Auf diese Weise verlor van Gerwen im vergangenen Halbfinale schon einmal die Kontrolle über seine Pfeile: Bei der Niederlage gegen den späteren Titelgewinner Rob Cross, der am Freitag sein Achtelfinale gegen Luke Humphries bestreitet, vergab er mehrere Matchdarts. Zum Eklat kam es nun bei seinem Auftaktsieg über Alan Tabern, als ihn ein Zuschauer mit Bier überschüttete. Nach einem Kleidungswechsel kehrte van Gerwen in Tränen zurück, bewahrte jedoch auf der Bühne die Contenance - genau wie im Duell mit Lewis. Obwohl die Stimmung gegen van Gerwen kurz den Spielverlauf kippen ließ, zog er zum Sieg davon, als Lewis zum Satzausgleich hätte kommen können.

Durch das ungefährdete 4:1 über Lewis nach dem zuvor ungefährdeten 4:1 über den besten deutschen Max Hopp ist Michael van Gerwen im Viertelfinale des Turniers angelangt. Mit 108,08 Punkten pro Anwurf gelang ihm am zwölften Turniertag der höchste Mittelwert dieser WM, in jedem seiner drei Einsätze schaffte er einen Schnitt über 100 Zähler. "Jeder konnte sehen, dass meine Form da ist und ich habe abgeliefert, wenn ich musste", sagte van Gerwen.

Seine Antworten in Medienrunden kommen ihm ähnlich schnell von den Lippen wie die Pfeile von der Hand. In Echtzeit sieht es aus, als würde van Gerwen seine Darts mehr in die Scheibe nageln als werfen. Aufgrund seines grellgrünen Shirts nennen ihn seine Fans deswegen oft: The Green Machine. Selten lässt van Gerwen, der in dieser Saison 19 Titel gewann, eine Gelegenheit aus, seine Selbstüberzeugung zu demonstrieren. Die erlittenen Pleiten bei der WM sorgen bei ihm jedoch diesmal für eine ungewohnte Vorsicht: "Manchmal denkt man, dass man besser ist als alle anderen. Ich habe gelernt, das nicht zu tun. Mein Plan ist Runde für Runde zu nehmen." Als nächstes wartet auf van Gerwen der Sieger des englischen Duells zwischen dem an neun gesetzten James Wade und Ryan Joyce. Im Halbfinale könnte es dann am 30. Dezember zum Treffen mit dem zweimaligen schottischen Weltmeister Gary Anderson kommen, der sich in der bisher besten Partie mit 4:3 gegen Chris Dobey behauptete.

In 33 Teilabschnitten versenkten Anderson und Dobey zusammen ihre drei Pfeile jeweils 28 Mal im Feld der Triple-20 zum Höchstwert 180 - was die Zuschauer im Ally Pally wiederum auf 180 brachte. Die Atmosphäre hängt maßgeblich an den Wurfkünsten der Spieler ab, es sei denn ein Profi versteht es neben der Aufmerksamkeit fürs Spiel mit der Menge zu interagieren. Am liebsten haben es die Leute, wenn die Würfe nicht nach Arbeit aussehen, sondern einem locker von der Hand gehen, als wäre nichts weiter dabei. Der Abschied des prägenden Taylor, der genau wusste, wie er sich geben muss, und das frühe Ausscheiden des Fanlieblings van Barneveld bewirken, dass das Klassement ausgedünnt ist mit Galionsfiguren. Das Rekordpreisgeld in Höhe von 2,5 Millionen Pfund und das auf 96 Akteure aufgeblähte Teilnehmerfeld, darunter erstmals zwei Frauen, locken immer mehr Spielerinnen und Spieler an, die frühzeitig auf eine Profikarriere hintrainieren - dabei zieht Darts seine Attraktion aus der Fantasie, jeder Tellerwäscher könne im Ally Pally zum Millionär werden.

Noch profitiert die 26. WM-Auflage ausrichtende Professional Darts Corporation (PDC) vom Ruf, den sich das Turnier über die vergangenen Jahre erarbeitet hat. Die Fans dürfen weiterhin kostümiert auf den Dartspartys im wahrsten Sinn die Sau rauslassen, ohne deswegen ein schlechtes Gewissen haben zu müssen. Um diesen Status im Bewusstsein der Zuschauer zu erhalten, benötigt der Verband aber neue Unterhaltungskünstler. Sonst könnten die Leute bald genug Darts gesehen haben.

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