Daniel Altmaier:Der beste Debütant seit 1986

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Ins Achtelfinale gestürmt: Daniel Altmaier überrascht bei den French Open. (Foto: Christophe Ena/dpa)

In Paris wirbeln neue Namen durchs Tableau. Allen voran der Westfale Daniel Altmaier: Als Nummer 186 der Welt stürmt er ins Achtelfinale - und erklärt das eloquent.

Von Gerald Kleffmann

Daniel Altmaier sprach über seinen nächsten beeindruckenden Sieg, und er hatte schon sein halbes Leben nacherzählt, weil er ja für so viele noch ein großer Unbekannter ist, da hob er den rechten Arm. Gerade schilderte er, wie er in der Vorbereitung auf diese Saison in Argentinien gewesen war, in Buenos Aires, mit seinem argentinischen Trainer Francisco Yunis, der mal die Nummer 61 der Weltrangliste war. 14 Tage hatte sich Altmaier durchchecken lassen, spielerisch, aber nicht nur. Auch von drei dortigen Fitness-Coaches sowie seinem eigenen, den er mitbrachte und der auf Osteopathie spezialisiert ist. "In der Dehnposition kriegen wir nur 90 Grad hin", sprach Altmaier, und Journalisten aus Deutschland und anderen, auch entfernteren Ländern hörten über Video-Schalte zu.

Er hob auch noch den linken Arm, da seien es sogar nur 80 Grad. "Und das haben wir alles mal aufgeschrieben für meinen ganzen Körper". Für ihn sei dann etwas mit dem Namen "Mobilitätsprogramm" festgehalten worden, "um das Bestmögliche aus dem Körper rauszuholen", erklärte er weiter. Und wie dieses Bestmögliche aussieht, darüber staunt nun die Tenniswelt in Paris.

Der Westfale Altmaier aus Kempen, 22, der vor zwei Jahren lange nicht mal spielfähig war wegen zahlreicher Verletzungen und der vor dem Qualifikationsturnier der French Open nicht wusste, ob er würde antreten können aufgrund von Adduktorenbeschwerden, steht jetzt im Achtelfinale des größten Sandplatzturniers, das es gibt. Nach drei Siegen war er, aktuell die Nummer 186 der Weltrangliste, ins Hauptfeld eingerückt. Dann besiegte er den erfahrenen Spanier Feliciano Lopez und den deutschen Davis-Cup-Spieler Jan-Lennard Struff, dem er früher als Hitting Partner diente. Und am Samstag fertigte er, man darf das so zuspitzen, den an Nummer sieben gesetzten Italiener Matteo Berrettini ab, mit 6:2, 7:6 (5), 6:4. Wieder nur drei Sätze brauchte er, wie gegen Lopez und Struff. Der letzte Grand-Slam-Debütant, der so in die Runde der letzten 16 gestürmt war, war in Paris Ulf Stenlund 1986.

Martina Trevisan, Hugo Gaston: Es gibt mehr erfolgreiche Außenseiter als in New York

Eigentlich war bei den vor drei Wochen zu Ende gegangenen US Open, dem ersten Grand-Slam-Event seit Ausbruch der Pandemie, mit mehr Überraschungen gerechnet worden. Es hatte Absagen gegeben, viele scheuten das Premieren-Erlebnis einer Bubble, der öffentlich isolierten Veranstaltung in New York. Aber in Paris wirbeln nun deutlich mehr neue Namen durch die Tableaus. Bei den Frauen warf etwa die Außenseiterin Martina Trevisan die so oft hochgehandelte Griechin Maria Sakkari aus dem Wettbewerb; die Italienerin war den Tränen nahe, sie hat einen schwierigen Weg hinter sich, vier Jahre litt sie an Essstörungen und war, einst ein Talent, nicht fähig, ihr Potential auszuschöpfen.

Der junge Franzose Hugo Gaston bot eine spielerisch packende Geschichte. Der Linkshänder, der eine Wildcard erhalten hatte, steht auch im Achtelfinale, dank seines feinen Ballgefühls, das er für Stopps, Lobs, mutige Angriffe einsetzt. Stan Wawrinka, 2015 Sieger in Paris, verlor gegen ihn. Altmaier wiederum fasziniert auf seine Art, die man vielleicht so beschreiben kann: Er denkt und spricht mal wie ein Manager aus dem Silicon Valley, wie ein routinierter Trainer und manchmal auch wie ein Kumpel. Wenn er zum Beispiel immer wieder "mein Team" lobt.

Selten jedenfalls kommt es vor, dass ein Profi aus den vermeintlichen Niederungen der Branche auf die Bühne schießt - und sich derart fesselnd und präzise artikuliert, als halte er eine Präsentation vor CEOs. Mit dieser Spezies hat Altmaier im Übrigen auch geredet, erzählte er an einer Stelle. Als er lange ausfiel, mit Schulter-und Muskelverletzungen, habe er die Pause genutzt und allerlei Leute gesprochen. Aus der Wirtschaft, aber auch aus dem Sport, etwa Anthony Joshua, den Schwergewichtsweltmeister im Boxen. Er wollte erfahren, wie erfolgreiche Menschen erfolgreich wurden.

Eine Erklärung für den Erfolg: "Man hat nicht so viele Augen auf sich gerichtet."

Er suchte sich im vergangenen Jahr einen neuen Trainer, landete bei der renommierten Management-Agentur Starwing, wo auch sein Vorbild Wawrinka Klient ist. Er wechselte den Arzt, die Ernährung und ging seine Karriere an, als wolle er ein Start-up aufziehen, mit dem Ziel: jetzt investieren, später der Break-even, und langfristig Gewinn machen. Altmaier, stets in seinen Jahrgängen eines der Toptalente des Deutschen Tennis-Bundes, war da wohlgemerkt ein Spieler außerhalb der Top 200.

Eine Kostprobe seiner Analysefähigkeit: "Das wirklich Gute ist, dass das mein 16. Tag auf der Anlage ist. Die Anlage ist leer. Man hat sehr viel Freiraum als Spieler. Man hat nicht so viele Augen auf sich gerichtet. Ich war in der Lage, eine sehr, sehr gute Routine zu haben. Tag für Tag." So erklärte er, wie er es schaffte, nun schon sechs Matches auf höchstem Niveau zu absolvieren. Und hätte er nun verloren? "Dann analysieren wir und machen weiter. Tennisspielen ist ein Marathon."

Im Achtelfinale, das ihm 189 000 Euro einbringt, trifft er auf Pablo Carreno Busta, der Spanier stand kürzlich im Halbfinale der US Open. Oft verwendete Altmaier, der mit seiner weit geschwungenen einhändigen Rückhand an den dreimaligen Roland-Garros-Sieger Gustavo Kuerten erinnert, das Wort "Intensität", die er auf dem Platz zeigen wolle. Er denke nur an sich. Gegner Berrettini etwa hätte er regelrecht ausgeblendet. Ähnlich will er auch im Achtelfinale vorgehen. "Ich halte es kurz", sagte Altmaier: "Ich werde Carreno Busta auch nichts schenken."

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