Dänemark:Viele kleine Defizite

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Der Europameister von 1992 reist mit einem reifen Team nach Russland, aber die Begeisterung lässt noch auf sich warten. "Die Dänen verbringen zu viel Zeit damit, Negatives zu diskutieren", klagt Trainer Hareide.

Von Tobias Schächter, Kopenhagen/München

Age Hareide musste in der heißen Phase der WM-Vorbereitung auf zwei seiner besten Spieler verzichten. Aber der Nationaltrainer Dänemarks sah in der Abwesenheit seiner Stars Christian Eriksen und Thomas Delaney nur Positives. Eriksen erlebte die Geburt seines Kindes, der Mittelfeldspieler von Tottenham Hotspur bekam von Hareide sogar Familienurlaub. "Das hätte ich auch bei jedem anderen Spieler so gemacht. Es ist ein Ereignis, das nicht jeden Tag passiert, ich denke, wir gewinnen mehr als wir verlieren", erklärte der norwegische Coach. Und auch dass Thomas Delaney eine Woche vor Beginn der WM in Russland seinen Wechsel von Werder Bremen mit der Unterschrift bei der Borussia in Dortmund klargemacht hatte, fand Hareide gut: "So kann er sich voll auf die Weltmeisterschaft konzentrieren, anstatt mit seinem Agenten am Telefon in Kontakt zu bleiben."

Bei der WM-Generalprobe standen Eriksen und Delaney aber in der Startelf der Dänen auf dem Platz - Eriksen 89 Minuten lang, Delaney eine gute Stunde - und führten ihr Team in der zweiten Halbzeit zu einem 2:0 (0:0)-Sieg gegen den deutschen Gruppengegner Mexiko. Nachdem Poulsen das erlösende 1:0 gelungen war (71., per 17-Meter-Schlenzer), gelang Eriksen nur drei Minuten später aus spitzem Winkel das vermeidbare 2:0.

Ein Weiterkommen in der Gruppe C, mindestens als Gruppenzweiter hinter Frankreich, aber in jedem Fall vor Australien und Peru, wird von der dänischen Öffentlichkeit und den Fans von Hareides Auswahl erwartet. Diese Erwartung speist sich aus der souveränen Qualifikation in den Playoffs gegen Irland und einer Achse aus Spielern, die internationale Klasse schon nachgewiesen haben. Im Tor steht Kasper Schmeichel (Leicester City), zentral verteidigen Simon Kjaer (FC Sevilla) und Andreas Christensen (Chelsea), im Mittelfeld agiert Delaney hinter Spielmacher Eriksen, und ganz vorne soll im 4-2-3-1 Nicolai Jörgensen (Feyenoord) die Tore schießen.

Eriksen hat sich ins Schaufenster gespielt

Das Spiel der Dänen ist dabei komplett auf Eriksen zugeschnitten, der sich in der abgelaufenen Saison ins Schaufenster für die ganz großen Klubs in Europa gespielt hat. Mit elf Toren in der Qualifikation unterstrich der junge Vater, dass er nicht nur ein genialer Einfädler und Passgeber ist, sondern auch ein torgefährlicher Entscheider. "Mit Eriksen sind wir sehr variabel", sagt Trainer Hareide. Damit Eriksen sein kreatives Potenzial ausspielen kann, liegt viel strategische Verantwortung auf den beiden Sechserpositionen im defensiven Mittelfeld. Nach aktuellem Stand wird beim ersten WM-Spiel am kommenden Samstag in Saransk gegen Peru wohl neben Delaney der ehemalige Stuttgarter William Kvist auf der Doppelsechs auflaufen.

Thomas Delaney schießt auf das Tor von Mexikos Torwart Guillermo Ochoa. (Foto: Lars Moeller/Ritzau Scanpix/AP)

Hareide vertraut dem 33-Jährigen, obwohl dieser in den vergangenen drei Monaten beim FC Kopenhagen kaum Spielzeit bekommen hat. Doch vor allem seine starke Leistung beim 0:0 vor zehn Tagen beim Test in Schweden schob die Zweifel über Kvists Wettkampftauglichkeit beiseite. Durch intelligentes Stellungsspiel kaschierte er seine Schnelligkeitsdefizite und nahm Schwedens Kreativkraft Emil Forsberg aus dem Spiel. Der routinierte Kvist und der athletische Delaney ergänzen sich in der Zuarbeit für Spielmacher Eriksen. "Die beiden kennen sich gut aus gemeinsamen Zeiten beim FC Kopenhagen", erklärt Hareide.

Delaney wollte lieber nach Dortmund als nach England

Delaney kann durch seine Laufstärke, Schusskraft und Kopfballstärke auch torgefährlich werden. Delaney soll angeblich für rund 20 Millionen Euro nach Dortmund gewechselt sein. Damit ist der 26-Jährige der teuerste Fußballer in der Geschichte des dänischen Fußballs. Angesichts der außergewöhnlichen Fußballer, die das kleine Land (knapp 5,8 Millionen Einwohner) in der Vergangenheit hervorgebracht hat - etwa die Brüder Michael und Brian Laudrup -, ist das erstaunlich.

Delaney sagt von sich selbst: "Ich bin ein Anführer." Seinen Traum von der Premier League gab er trotz aktueller Angebote aus England auf, um zur Borussia zu wechseln: "Dortmund gehört zu den zehn Topvereinen in Europa, und das Stadion ist sowieso das beste in ganz Europa." Die Dänen verfügen also über eine gestandene Mannschaft mit einigen Talenten, etwa den Außenstürmern Pione Sisto (Celta Vigo) und Yussuf Poulsen (Leipzig). Und dennoch hält sich die Euphorie in Grenzen im Land des Überraschungs-Europameisters von 1992. Zuletzt wurde viel über zu wenig geschossene Tore, ausgemusterte Spieler und einen Marketingstreit zwischen Abwehrchef Kjaer und dem Verband gesprochen.

Dänemarks Nicolai Jorgensen (m.) und Mexikos Jonathan Dos Santos (r.) kämpfen um den Ball. (Foto: Lars Moeller/Ritzau Scanpix/AFP)

Trainer Hareide reagierte genervt, der Norweger kritisierte: "Die Dänen verbringen zu viel Zeit damit, negative Dinge rund um die Nationalmannschaft zu diskutieren." Der 64-Jährige, der 2016 dem ewigen Nationaltrainer Morten Olsen (2000 bis 2015) folgte, spürt: Die Dänen sind von ihrem Team trotz Eriksen und Delaney noch nicht hundertprozentig überzeugt. Der aktuellen Generation fehlt ein Topstürmer, so wie früher Allan Simonsen, Preben Elkjaer Larsen, Ebbe Sand oder Jon Dahl Tomasson, um 20 Jahre nach der besten Leistung bei einer WM (Viertelfinale 1998) eine weitere große Überraschung folgen zu lassen.

© SZ vom 14.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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