Dänemark:Die besten Kaputtmacher

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Dänemarks Handball-Auswahl hat sich nicht nur dank der wieder überragenden Offensivfähigkeiten von Mikkel Hansen zum ersten WM-Titel gesiegt - die clever geformte Defensive glänzte ebenso.

Von Joachim Mölter, Herning

Wohin Norwegens Handballer auch schauten am Sonntagabend, nach rechts, links, vorne, hinten - sie sahen rot. Die Tribünen rund um das Spielfeld in der Jyske Bank Boxen in der dänischen Kleinstadt Herning waren mit so vielen rotgekleideten Menschen besetzt, dass andere Farbtupfer in der Masse untergingen. Die Norweger standen einer Kulisse von 15 000 Zuschauern gegenüber und beeindruckenden Gegnern auch - 16 dänischen Handballspielern. Die nutzten ihren Heimvorteil am Ende des gemeinsam mit Deutschland ausgerichteten Turniers und gestalteten das WM-Finale zu einer Machtdemonstration, wie man sie im Handball selten gesehen hat: Sie siegten 31:22 (18:11).

"Wir haben einen Teufelskreis durchbrochen", sagte Niklas Landin, der Torwart und Kapitän. Für Dänemark, zweimal Europameister (2008, 2012) und einmal Olympiasieger (2016), war es der erste WM-Titel; zuvor gingen drei Finals verloren, 1967, 2011 und 2013. "Es bedeutet die Welt, diese Null gelöscht zu haben", fand Landin: "Es war irre, ein olympisches Finale zu gewinnen, aber da sind noch viele andere Sportarten. Hier dreht sich alles um Handball." In Dänemark ist das der Sport Nummer eins, entsprechend war die Begeisterung. "Das hier ist das Größte für mich", versicherte Trainer Nikolaj Jacobsen, der das Amt nach dem überraschenden Achtelfinal-Aus bei der WM 2017 übernommen hatte. "Da sind alle möglichen Gefühle, die wild herumfahren", fuhr der 47-Jährige fort: "Ich fange im einen Moment an zu heulen und bin im nächsten megastolz. Und ich habe wirklich große Lust auf ein Bier."

Jubelorgie in Rot: Die dänischen Handballer waren schon Olympiasieger und Europameister – jetzt dürfen sie sich auch Weltmeister nennen. (Foto: Fabian Bimmer/Reuters)

Einen kleinen Umtrunk hatten sich die Dänen verdient, deutlicher ist bislang erst ein WM-Endspiel zu Ende gegangen: 2013 deklassierten die gastgebenden Spanier eben jene Dänen 35:19, die nun ihrerseits einen Triumphzug krönten. Seit das globale Championat mit 24 Teilnehmern ausgetragen wird, haben nur die Franzosen bei ihren Heim-WMs 2001 und 2017 alle Spiele gewonnen, außerdem die Russen einmal, 1997. Früher summierte sich das auf neun Siege, weil es nach der Vorrunde direkt in die K.-o.-Duelle ging; die Dänen toppten das nun mit zehn Erfolgen, weil eine Hauptrunde eingeschoben worden ist. Obendrein gerieten sie bei keinem ihrer Erfolge ernsthaft in Bedrängnis. "Jedes Mal, wenn sie Probleme hatten, hat Mikkel Hansen den Ball genommen und was Überragendes gemacht", fand Norwegens Kapitän Bjarte Myrhol.

Hansen war der auffälligste Mann des Turniers, nicht nur wegen seiner schulterlangen, von einem Stirnband zusammengehaltenen Haaren. Der 31-Jährige wurde als bester Spieler ausgezeichnet, er warf die meisten Tore (72, davon sieben im Finale), schuf aber auch Freiräume für seine Nebenleute und setzte sie in Szene; im Endspiel verteilte er die Torausbeute fast gleichmäßig auf seine Rückraumkollegen Morten Olsen (fünf), Rasmus Lauge und Mads Mensah (je vier). "Wenn Hansen so trifft wie bei diesem Turnier, ist es schwer, Dänemark zu stoppen", sagte Myrhol.

Bester Werfer des Turniers: Der kraftvolle Däne Mikkel Hansen kam in zehn Partien auf 72 Tore. (Foto: Martin Meissner/dpa)

Es hielt die Dänen nicht mal auf, dass sie keinen richtigen Linkshänder im Rückraum hatten. Für diese Position war der im Sommer zu den Rhein-Neckar Löwen nach Mannheim wechselnde Niclas Kirkelökke, 24, vorgesehen, doch der erlitt vor Weihnachten einen Kreuzbandriss. Jacobsen hatte zwar einen Halbrechten in seinen Kader berufen, aber wenig eingesetzt mangels internationaler Erfahrung: Es war einer der drei Spieler im Team, die in der heimischen Liga aktiv sind. Zehn Dänen verdienen ihr Geld in der Bundesliga, vier allein beim deutschen Meister SG Flensburg - für den Finalgegner Norwegen gilt das zufälligerweise exakt genauso.

Falls dessen Trainer Christian Berge studierte haben sollte, wie die Dänen das Manko im rechten Rückraum überspielten, wurde er im Finale vom Taktikfuchs Jacobsen austrickst: Mensah, der die meiste Zeit als falscher Linkshänder agiert hatte, blieb zunächst auf der Bank, Hansen rückte von links nach rechts, der etatmäßige Spielmacher Lauge nach links und der bis dahin kaum eingesetzte Olsen lenkte das ganze Geschehen. Bei all der Angriffswucht, die die Dänen entfalten können, wird leicht der Anteil der Defensive am Erfolg übersehen. Landin vereitelte etliche Gelegenheiten der Norweger, seine Vorderleute unterbanden das Zuspiel von Regisseur Sander Sagosen auf Kreisläufer Myrhol, das der deutschen Mannschaft beim 25:31 im Halbfinale zum Verhängnis geworden war. "Wir haben es geschafft, ihr Spiel kaputt zu machen", fand Dänemarks Keeper Landin.

Die Frage ist nun, wie lang Dänemarks Dominanz anhalten wird? Die Mannschaft hat ja ein stolzes Durchschnittsalter von 30,1 Jahren. "Mindestens bis zum nächsten Turnier", glaubt der auch schon 34 Jahre alte Olsen an die Vorherrschaft seines Teams. Das nächste Turnier ist die EM 2020, da sollen dann ihre Gegner ein blaues Wunder erleben, hoffen die traditionell in Dunkelblau auflaufenden Norweger. Sie haben nun zum zweiten Mal ein Finale gegen den Turnier-Gastgeber verloren, bereits 2017 widerfuhr ihnen das bei der WM in Frankreich. Nächstes Jahr soll das nicht noch mal passieren, da gehören sie selbst zu den drei Ausrichtern. Dummerweise findet das Endspiel dann in der schwedischen Hauptstadt Stockholm statt.

© SZ vom 29.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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