Cristiano Ronaldo:Ronaldos Ellenbogen

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Elfmeter verschossen, dann fast vom Platz gestellt: Eine Tätlichkeit von Portugals Ausnahmekönner, die mit Gelb statt Rot bestraft wird, sorgt für eine globale Rechtsdebatte.

Von Javier Cáceres, Saransk

Manchmal sind Nahaufnahmen erhellend. Und man konnte regelrecht dankbar sein, dass die Broadcaster der Weltmeisterschaft in Russland die Idee hatten, das Gesicht von Cristiano Ronaldo in der Totalen anzubieten, als der paraguayische Schiedsrichter Enrique Cáceres in der 81. Minute der Partie zwischen Portugal und Iran, die für den Europameister von 2016 den Einzug ins Achtelfinale bedeutete, von der Seitenlinie zurückkehrte.

Cáceres hatte dort eine Szene am Bildschirm geprüft, auf die ihn der Videoschiedsrichter aufmerksam gemacht hatte. Und Ronaldo, von dem man annehmen muss, dass er sogar noch dann einen bronzenen Teint haben würde, wenn er im grauen Brüssel lebte, war auf einmal blasser als der späte Michael Jackson. Er hatte Angst, das war unverkennbar. Cáceres nestelte die gelbe, nicht die rote Karte heraus. Und Ronaldo brauchte eine Weile, bis er sarkastisch - oder höhnisch? - den Kopf schüttelte, so wie er es immer tut, wenn er sich ungerecht behandelt fühlt, was immer mal wieder vorkommt. Doch diesmal wirkte es so, als ob er Erleichterung verspürte. Er hatte sich wohl schon draußen gesehen.

Schmerzhafte Begegnung: Nach einem Ellbogenschlag von Cristiano Ronaldo windet sich Gegenspieler Morteza Pouraliganji auf dem Spielfeld. (Foto: Ivan Alvarado/Reuters)

Ronaldo hatte allen Grund für diese Vermutung: Er wusste, dass seine Aktion auch gut als Tätlichkeit hätte bewertet werden können. Bei einem Zweikampf mit Morteza Pouraliganji hatte er seinem Widersacher einen Ellenbogenschlag versetzt. Es mag in der Geschichte der Kampfsportarten heftigere und genauere Hiebe gegeben haben. Aber an der Absicht Ronaldos, seinem Gegenspieler einen mitzugeben, ohne dass der Ball im Spiel gewesen wäre, war eigentlich nichts zu deuteln.

Umso empörter waren - mit Ausnahme der portugiesischen Medien - so ziemlich alle Beobachter der Welt über den Schiedsrichter Cáceres aus Paraguay. Besonders in Italien, wo sie sich mit der Institution Videoschiedsrichter besonders gut angefreundet haben, weil er so gut funktioniere, und zunehmend überrascht sind, dass er bei der WM zunehmend floppt, war die Empörung groß. "Cáceres war in allen Schlüsselszenen ein Desaster", ereiferte sich La Gazzetta dello Sport. "Cáceres hätte mal besser nichts gemacht als eine salomonische gelbe Karte zu zeigen", ergänzte Corriere dello Sport, die nahelegte, der italienische Videoschiedsrichter Massimiliano Irrati habe Cáceres zu Rot geraten.

Nicht Rot, sondern Gelb zückt Schiedsrichter Cáceres aus Paraguay, was Ronaldo grinsend zur Kenntnis nimmt – er darf ja weiterspielen. (Foto: Mladen Antonov/AFP)

Auch Irans Trainer Carlos Queiroz, der pikanterweise aus Portugal stammt, war in der Pressekonferenz außer sich. "Ein Ellbogenschlag heißt: Rot. Egal, ob der Ellbogen von Messi oder Cristiano Ronaldo kommt. Wenn das Spiel angehalten wird, um zu prüfen, ob es einen Ellbogenschlag gab oder nicht, gibt es nur Ja oder Nein. Es gibt keine halben Ellbogenschläge." Ob Ronaldo wegen seiner Bekanntheit vom Weltverband Fifa geschützt worden sei? "Gute Frage ...", sagte Queiroz und mochte nicht ins Detail gehen: "Die Fifa ist ja hier." Als diese Äußerungen dem portugiesischen Stürmer Ricardo Quaresma hinterbracht wurden, war er kurz davor, Queiroz des Vaterlandsverrats zu bezichtigen. "Als Portugiese sollte er den Portugiesen mehr Respekt entgegenbringen", erklärte Quaresma, der mit einem magischen Kunststoß die Portugiesen in Führung gebracht hatte: Per Außenrist schickte er den Ball vom Sechzehner in den Winkel. Fernando Santos wiederum, der Trainer der Portugiesen, hatte seine Meinung wohl exklusiv: Er fand, dass Ronaldos sich in der fraglichen Szene mit Pouraliganji einen "völlig normalen" Zweikampf geliefert hatte.

Das war freilich eine originelle Deutung. Es war ja vielmehr einer dieser periodisch auftretenden Anfälle Ronaldos, in denen sich üblicherweise Frust entlädt. Sein Ehrgeiz und seine Ansprüche an sich selbst sind ausufernder als jene von Vasco da Gama entdeckten Weltmeere. Kritisch wird es bisweilen, wenn sich Widerstände als zu beharrlich erweisen, oder er aus anderen Gründen die Frustrationsschwelle erreicht. Dann wird Ronaldo schon mal zur Furie. Im Moment feilt er an zwei Zielen: Er will mit Portugal Weltmeister werden und den großen Eusébio als den Portugiesen mit den meisten Toren bei einem einzigen WM-Turnier übertreffen. Eusébio hatte bei der WM 1966 in England neun Tore erzielt. Ronaldo war bei dieser WM ganz gut unterwegs: In den ersten beiden Spielen beschaffte er vier Tore, drei davon im Auftaktspiel gegen Spanien. Und gegen Iran hatte er die gewaltige Chance, ein fünftes nachzulegen: Lange bevor der Gegner durch einen Strafstoß von Ansarifard (93.) das 1:1 erzielte, hatte Ronaldo einen Elfmeter herausgeholt, auf den Referee Cáceres vom Videoschiedsrichter aufmerksam gemacht werden musste. Doch vom Elfmeterpunkt versagten Ronaldo die Nerven, zum ersten Mal seit Monaten. Auch sonst kam der Angreifer kaum zum Abschluss, weil die Taktik von Irans Trainer Queiroz, der Ronaldo einst in der Nationalelf betreut hatte, ihn nun von sämtlichen Passwegen abschnitt. Der Frust darüber dürfte dann in Aggressivität umgeschlagen sein.

Nicht zum ersten Mal, wobei Ronaldo sich zuletzt etwas besser im Griff hatte. In Madrid kursiert die - kaum überprüfbare - Legende, dass seine Mutter auf ihn eingewirkt habe, damit er sich besser unter Kontrolle hat. In seiner ersten Saison bei Real Madrid (2009/2010) hatte Ronaldo zwei Mal wegen Tätlichkeiten einen Platzverweis kassiert; beim letzten spanischen Supercup-Finale schubste er den Schiedsrichter leicht, der ihm einen Elfmeter verwehrt hatte; zuvor war er zweieinhalb Jahre ohne rote Karte durch die Liga gekommen. Allerdings hat Ronaldo in Spanien auch manches Mal davon profitiert, dass die Schiedsrichter im Zweifel sehr wohlwollend zu seinen Gunsten richteten - wie auch am vergangenen Montag bei seinem Ellbogenschlag in Saransk.

© SZ vom 27.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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