Costa Rica im Viertelfinale:Heldentat für die Nachfahren

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Costa Ricas Waylon Francis (re.) und José Miguel Cubero: Unbändige Freude in Recife (Foto: REUTERS)

Kleines Land im großen WM-Viertelfinale: Costa Rica besiegt Griechenland im Elfmeterschießen und zieht trotz langer Unterzahl erstmals in seiner Historie unter die besten Acht der Fußball-WM ein. Die entscheidende Aktion gelingt Torwart Keylor Navas.

Von Boris Herrmann, Recife

Der Innenriststoß steht im Ruf, eine der simpelsten Übungen im Fußballsport zu sein. Der reinen Lehre nach wird er vor allem beim Kurzpassspiel angewendet. Zu Torschusszwecken aus größeren Entfernungen ist demnach der Vollspann zu bevorzugen. Bryan Ruiz, 28, hat am Sonntag auf die reine Lehre gepfiffen. Nach 52 Minuten schlenzte er aus Vollspanndistanz (ca. 17 Meter) mit seiner linken Innenseite in Richtung Tor. Der Ball flutschte unhaltbar neben dem Pfosten in Netz. Es sah so einfach aus, aber wenn es so einfach wäre, würden es wahrscheinlich alle machen, und die reine Lehre hätte ein Glaubwürdigkeitsproblem.

Die Mannschaft von Costa Rica, die der beim PSV Eindhoven beschäftigte Ruiz als Kapitän anführt, siegte unter anderem durch dieses bezaubernde Tor 5:3 im Elfmeterschießen (1:1 n. V.) gegen Griechenland. Und damit steht dieses kleine Land erstmals in seiner Geschichte in einem großen WM-Viertelfinale. Am Samstag geht es in Salvador gegen die Niederlande.

Die Griechen sind zwar keine Meister der Innenriststöße, dafür sind sie die Experten der Nachspielzeit. Durch einen Last-Minute-Treffer gegen die Elfenbeinküste waren sie überhaupt erst in dieses Achtel- finale gelangt. Durch einen Last-Minute-Ausgleich ihres Abwehrspielers Sokratis wendeten sie dort ihr vorzeitiges Ende ab. Darum kümmerte sich schließlich Costa Ricas Torhüter Keylor Navas, als er den entscheidenden Strafstoß von Theofanis Gekas parierte.

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Zahlreiche WM-Touristen, die sich vorab eine Karte für dieses Spiel besorgt hatten, mussten schon ein bisschen schlucken, als die Achtelfinalbegegnungen feststanden. Sie hätten England gegen Kolumbien bekommen können oder Italien gegen die Elfenbeinküste. Stattdessen bekamen sie Costa Rica gegen Griechenland.

Bei allem Respekt vor dem sensationellen Gruppensieg der Mittelamerikaner und der beachtlichen Widerspenstigkeit der Südeuropäer, dieses Duell klang für manch einen dann doch wie eine Vorrundenbegegnung, die sich in die K.-o.-Runde verirrt hatte. Auf dem weiten Weg hinaus zur Arena Pernambuco bei Recife kondolierten sich Ticketinhaber aller Länder gegenseitig zu dieser Spielpaarung.

Wer einmal da war, dürfte es allerdings nicht bereut haben. Was sich auf dem grünbrauen Rasen in der Regenhauptstadt dieser WM abspielte, mag zwar mit Ausnahme von Ruiz' Tor keine Fußballkunst von bleibendem Wert gewesen sein. Aber die rund 40 000 Augenzeugen können jetzt immerhin ihren Enkel erzählen, dass sie dabei waren, als die größte Überraschungsmannschaft der WM 2014 ins Viertelfinale einzog.

Sie können davon berichten, wie nach dem 1:0 ein unterkühlt geführtes Spiel allmählich Feuer fing. Wie Costa Rica früh in Unterzahl geriet. Wie Griechenland sehr spät den Ausgleich schaffte. Wie Ruiz zuvor wohl sein zweites Tor erzielt hätte, wenn Vasileios Torosidis nicht in höchster Not mit der Hand geklärt hätte. Und sie werden sich auch bis in alle Ewigkeit fragen können, wie der Schiedsrichter Benjamin Williams aus Australien das übersehen konnte.

Das Spiel, das keiner auf der Rechnung hatte, lieferte am Ende allemal genug Stoff, um sich auch als neutraler Beobachter die Fingernägel abzukauen. Allerdings merkte man dieser Veranstaltung auch an, dass sich hier zwei Mannschaften trafen, die von den historischen Möglichkeiten, die dieser Abend bot, zunächst ein wenig überwältigt waren.

Costa Rica stand zuletzt 1990 in einem Achtelfinale, da waren die gegenwärtigen Nationalspieler Yeltsin Tejeda und Joel Campbell noch gar nicht geboren. Als die Griechen zuletzt in einem Achtelfinale standen, waren noch nicht einmal die ewigen hellenischen Helden Georgios Karagounis, 37, Otto Rehhagel und Herakles auf der Welt. Denn seit es diese Welt gibt, hat kein griechisches Team eine WM-Vorrunde überlebt. Eingedenk dieser Vorgeschichte konnte es kaum überraschen, dass beide Seiten begannen wie zwei Außenseiter, abwartend, auf Konter lauernd.

Weniger zaghaft ging Costa Ricas Oscar Duarte zu Werke, Schiedsrichter Williams stellte ihn nach gut einer Stunde wegen wiederholten Foulspiels vom Platz. Bis dahin hatten vor allem die Griechen, die einzige Mannschaft, die mit einem negativen Torverhältnis ins Achtelfinale eingezogen war, alles andere als einen Sturmlauf entfacht. Und wenn sie tatsächlich einmal mit dem Ball hinter die Fünfer-Abwehrkette Costa Ricas gelangten, dann scheiterten sie zumeist am glänzenden Torhüter Navas, der ja manchmal auch den Eindruck erweckt, als habe er noch vier Leute neben sich.

Navas, 27, spielt bei Levante und gilt als einer der besten Keeper der spanischen Liga. Aus dem Spiel heraus fing er sich bei dieser WM kein einziges Gegentor - bis zur ersten Minute der Nachspielzeit des Viertelfinales. Er wird es unterm Strich verschmerzen können. Im Elfmeterschießen wurden er und der letzte Schütze Umaña dann zu Helden.

© SZ vom 30.06.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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