Corona-Beschränkungen in Bayern:500 - die bayerische Geisterzahl

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Vor Publikum werden Vilsbiburgs Volleyballerinnen vorerst nicht jubeln - zumindest nicht zu Hause. (Foto: Kai Peters/imago images/Jan Huebner)

Große, überregionale Sportereignisse haben seit Samstag in Bayern ohne Publikum stattzufinden. Trotzdem gibt es weiter vereinzelt Bundesligaspiele vor Fans. Wie immer ist die Sache etwas kompliziert.

Von Andreas Liebmann

Da wären, kurz durchgerechnet, der Fast Kopflose Nick und die Maulende Myrte aus der Harry-Potter-Welt; Hui Buh, das Schlossgespenst; Aladin aus der Wunderlampe; Freddy und natürlich Sam aus dem Film Ghost. Zusammen mit den Protagonisten des Spukschlosses im Spessart und der Ghostbusters-Filme, ja: 32 sollte man doch auf die Schnelle zusammenbringen - und da ist der Geist der Weihnacht noch nicht mal mitgezählt. Auch so ließe sich also leicht erklären, wieso in Bayern seit vergangener Woche seitens der Staatsregierung Geisterspiele im Profisport angeordnet wurden, aber zum Beispiel das jüngste Tischtennis-Bundesligaspiel des TSV Schwabhausen am vergangenen Sonntag trotzdem vor 32 Zuschauern stattfand.

Und das ist nicht der einzige Ausreißer. Das Badminton-Zweitligateam des TuS Geretsried plant zwei Heimspiele am kommenden Wochenende mit je 58 zugelassenen Geistern, die selbstverständlich die 2-G-plus-Regeln erfüllen müssen. Hachings Erstliga-Volleyballer dürfen zu ihrem Heimspiel gegen die Berlin Recycling Volleys am Freitag sogar 300 Seelen einlassen - mit Genehmigung des Gesundheitsamtes. Die ganze Sache ist, mal wieder: kompliziert.

Schwabhausen zum Beispiel hatte sich über Umwege sogar beim Ministerpräsidenten persönlich rückversichert, alles richtig zu machen. Trotzdem geriet Abteilungsleiter Helmut Pfeil wieder ins Zweifeln, als er Markus Söder dann in der Pressekonferenz sagen hörte, alle großen, überregionalen Sportveranstaltungen hätten vom vergangenen Samstag an bis zum Jahresende ohne Zuschauer stattzufinden. Was zunächst eindeutig klingt, bedarf eben doch einer genauen Erklärung. Was ist groß? Was überregional? Die Antworten befinden sich sozusagen im Kleingedruckten, genauer: in der "Begründung der Verordnung zur Änderung der Fünfzehnten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung" vom 3. Dezember, die man allerdings erst mal irgendwo aufstöbern muss.

Die entscheidenden Fragen: Was genau heißt groß? Und was überregional?

Als groß, steht dort, gilt eine Sportveranstaltung, "wenn zu ihr unter den Maßgaben der 15. BayIfSMV regelmäßig nach der Kapazität der Sportstätte mehr als 500 Zuschauer kommen könnten". Überregional "sind Sportveranstaltungen von Wettbewerben und Ligen, in denen bayerische Mannschaften oder bayerische Sportler (auch) gegen außerbayerische Mannschaften oder Sportler antreten". Über den Freistaat hinausreichende Spielklassen sind demzufolge vom Geisterspiel-Erlass betroffen - sofern die Heimspiele des jeweiligen Klubs potenziell vor mehr als 500 Zuschauern stattfinden. Der TuS Geretsried und der TSV Schwabhausen zum Beispiel sind damit klar aus dem Schneider, weil man Zuschauer in ihren Sporthallen gar nicht so fein säuberlich übereinanderstapeln könnte, um die 500 zu übertreffen - zumal ja auch noch Mindestabstände gewahrt werden. Erlaubt wären auch nur 25 Prozent der üblichen Kapazität.

Insofern erklärt sich dann auch schlüssig, wieso etwa im Eishockey in der überregionalen DEL2 am vergangenen Freitag in Landshut, Kaufbeuren und Selb letztmals vor Publikum gespielt wurde (im Gegensatz zu den Bayreuth Tigers, die schon vorab angesichts der "unsicheren Lage" auf Fans verzichteten) - die Tölzer Löwen am Sonntag aber ebenso wie das sächsische Crimmitschau vor leeren Rängen antraten. Die rein bayerische Oberliga Süd dagegen darf vor Fans spielen. Und es gibt weiterhin die Ausnahme jener Hotspots, deren Inzidenzen über 1000 liegen, in denen Sportstätten allgemein geschlossen sind und Profisport nur ohne Publikum erlaubt ist, was am vergangenen Wochenende etwa Schwabhausens Ligarivalinnen vom SV-DJK Kolbermoor betraf oder die Basketballerinnen des TSV Wasserburg - wobei dieser lokale Lockdown für den Landkreis Rosenheim an diesem Dienstag auslief.

Der Hintergedanke ist es, große Ansammlungen und Reisebewegungen zu vermeiden

Bernhard Seidenath erzählt sogar, dass jene 32 Schwabhauser Geister ausdrücklich ein Beispiel gewesen seien bei den ausführlichen Beratungen des Kabinetts. Der CSU-Abgeordnete ist Vorsitzender des Ausschusses für Gesundheit und Pflege, und er erläutert die Überlegungen, die letztlich zum genauen Wortlaut des Erläuterungstextes geführt hätten. "Wir wollen ja nicht den Sport verhindern", betont der Jurist, "sondern das Gesundheitssystem entlasten". Gleichzeitig hätte er es für "nicht vermittelbar" gehalten, auch nur 15000 Fans in einem Fußballstadion zu sehen, "wenn gerade im Krankenhaus um das Leben vieler Menschen gekämpft wird". Hinter der aktuellen Regelung habe "der Hintergedanke" gesteckt, all jene Sportereignisse weiterhin zu ermöglichen, die "keine Massenansammlungen" und auch keine nennenswerten Reisebewegungen verursachten.

Ein bisschen Graubereich ist dennoch geblieben, und auch den haben manche Vereine gar nicht oder erst mit Verspätung mitbekommen. Zu Straubings Volleyballerinnen sind die Detailregelungen zumindest durchgedrungen, auch wenn Geschäftsführerin Ingrid Senft sie für "etwas schwammig" hält und darauf hinweist, dass ihre zweite Mannschaft im üblichen Regionalliga-Vorspiel Publikum haben darf, die erste im Anschluss dagegen nicht mehr. Manche Sportart sei für den Profifußball "in Geiselhaft" genommen worden, findet sie. Michael Stolzenberg dagegen, Sprecher der Roten Raben Vilsbiburg, ist auf Nachfrage überrascht. Am Freitag habe er noch beim EV Landshut mit 700 anderen im Eishockeystadion gesessen, im sicheren Wissen, dass dann tags darauf in der ersten Volleyball-Bundesliga der Frauen die "Geisterstunde" begänne. Die Zeiten mit 1200 Zuschauern in Vilsbiburg waren lange vor der Pandemie, mit den jüngeren Zahlen der Raben, etwa 400 bis 600, kämen sie also vielleicht sogar für eine Ausnahme in Betracht. Doch das, glaubt er, könne "ja so nicht gemeint sein". Klingt, als wollten sie in Vilsbiburg schon aus Vernunftgründen diesen Graubereich nicht für sich ausreizen. Im Dezember übrigens stünde noch das Derby zwischen Straubing und Vilsbiburg an.

Dass bei regionalen Sportveranstaltungen mehr Zuschauer zugelassen wären als bei "überregionalen", haben nun auch Großwallstadts Handballer nach genauer Lektüre der Verordnung entdeckt, was Geschäftsführer Stefan Wüst als "Ungleichbehandlung" sieht. Nach Rücksprache mit dem Landratsamt plane nun auch der TVG mit 250 Zuschauern für das Zweitliga-Heimspiel am kommenden Samstag gegen Nordhorn. Geister nicht mitgezählt.

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