Champions League:Südländisch beschwingt

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Wenn es sein muss, spielt Juventus auch brasilianisch: Torschütze Dani Alves (M.) mit den Kollegen Gigi Buffon (l.) und Claudio Marchisio. (Foto: Miguel Medina/AFP)

Juventus Turin zieht gegen Monaco souverän ins Finale der Champions League ein - angeführt von einem italienischen Triumvirat und dem Exzentriker Dani Alves.

Von Birgit Schönau, Turin

Massimiliano Allegri, diese personifizierte Trainer-Coolness, war schon hinter der Tür mit der Aufschrift "Road to Cardiff" in Richtung Kabine verschwunden, als seine Mannschaft auf dem Platz große Gefühle zeigte. Gonzalo Higuaín vergoss Freudentränen, Paulo Dybala tanzte selbstvergessen vor sich hin. Und Gigi Buffon musste schwer schlucken, als er vor eine Fernsehkamera platziert wurde, um das 2:1 gegen AS Monaco zu kommentieren. "Es zählt ja schon nicht mehr, ins Finale eingezogen zu sein", hob Buffon an, das klang noch ziemlich markig. Aber dann wurde er persönlich und die Stimme zitterte. "Vor zwei Jahren haben viele gesagt, das sei mein letztes Finale. Ich war mir da nicht ganz so sicher."

Ziemlich sicher ist, dass das Endspiel in Cardiff tatsächlich das letzte für den 39- jährigen Torhüter sein könnte. Aber wirklich hundertprozentig sicher ist, dass Gianluigi Buffon sein drittes Champions-League-Finale nach 2003 und 2015 erstmals gewinnen will, weniger als Krönung seiner langen und beeindruckenden Karriere denn als logischen Abschluss einer Juve-Ära, die man schon jetzt als monumental bezeichnen muss.

Gegen AS Monaco blieb Juventus auch im 51. Heimspiel unbesiegt, Buffon kassierte den dritten Gegentreffer dieser Champions-League-Saison, den ersten überhaupt der K.-o.-Runde. Monacos Talent Kylian Mbappé nutzte in der 69. Minute den Sekundenschlaf der Abwehr, die bereits dem Finale entgegenträumte. Der junge Franzose verkürzte auf 2:1, der Vorsprung der Gastgeber blieb nach den beiden Hinspiel-Toren und den Treffern von Mario Mandzukic (33.) und Dani Alves (44.) mehr als bequem. Und doch inszenierte Allegri einen bemerkenswerten Tobsuchtsanfall. Er schimpfte und fluchte wie ein Hafenarbeiter aus seiner Heimatstadt Livorno. Ein Gegentor im Halbfinale! Buffon nach 690 Minuten besiegt! Ja, Himmelherrgott noch einmal! Als die Wut verraucht war, gestand der geläuterte Trainer: "Diese Jungs haben Super-Sachen gezeigt."

Man weiß nicht, ob er wirklich glaubt, was er gern verkündet: Ein Trainer dürfe seinen Spielern vor allem nicht im Weg stehen. Tatsächlich gibt es derzeit in Europa kaum einen, der ihnen die Hindernisse effizienter aus dem Weg räumt als dieser 49-Jährige aus der Toskana. Ausgestattet mit einer Weltklasse-Abwehr, überrascht sein Team jeden Gegner mit seiner Flexibilität, den geschmeidigen Wechseln von Rhythmus und Taktik. Als in der 10. Minute Sami Khedira wegen einer Muskelzerrung ausfiel (zum Finale dürfte er wieder fit sein), brachte Allegri als Ersatz Claudio Marchisio, und das Spiel ging weiter, als wäre nichts gewesen. Im Kollektiv Juventus ist außer Buffon jeder ersetzbar. Und alle können über sich hinauswachsen.

Die neuen Erfolge der alten Dame Juve fußen auf Kompetenz und Planung, gepaart mit jener Disziplin, die im Fußball lange als Sekundärtugend galt und bei Juventus Teil der Klub-DNA ist. Verkörpert wird sie durch das Triumvirat Agnelli, Allegri, Buffon. Präsident Andrea Agnelli, 42, schickt sich an, den sechsten Meistertitel in Serie einzuheimsen und damit die fünf Meisterschaften seines Großvaters Edoardo in den 1930er-Jahren noch zu übertrumpfen. Allegri steht nach drei Jahren in Turin vor seinem dritten Meistertitel, vor seinem zweiten Champions-League-Finale und vor einem historischen Triple-Gewinn. Überraschend ist das nur für die anderen, aber es gehört zum Stil der Preußen Italiens, dass man sich daran nicht berauscht. Wie riskant das sein könnte, erfuhr Präsident Agnelli am eigenen Leib, als er angesichts des Treffers von Dani Alves derart ausflippte, dass er über die Sitzreihe stürzte. Agnelli war auf dem Weg zu seiner Mutter, die er herzlich umarmen wollte. Donna Allegra Caracciolo, eine adlige und hoch elegante Dame, ist bei jedem Juventus-Heimspiel dabei. Sie pflegt bei einem Tor nicht aufzustehen. Noblesse oblige.

Dass Dani Alves seinen Chef aus dem Sessel reißt, beweist jedoch eine Leichtigkeit, ja einen Hauch von südländischem Temperament, der neuerdings auch die einst so grauen Straßen und Plätze Turins beschwingt. Turin und Juventus, das sind nicht mehr nur Arbeiterschweiß und Pflichterfüllung, sondern die Wiederentdeckung von Spielfreude und Fantasie. Niemand beweist das eindrücklicher als der Routinier der brasilianischen Seleção. Nach acht Jahren beim FC Barcelona kam Dani Alves im vergangenen Sommer ablösefrei nach Turin und schien zunächst nur ein weiteres Beispiel für jene schon etwas abgehalfterten Profis zu sein, die sich am Karriereende noch ein Jahr in Italien sonnen und dann zum Geldscheffeln in die Golfstaaten weiterziehen. Doch weit gefehlt, Dani Alves erlebt mit 34 Jahren gerade seinen zweiten Frühling und freut sich nach drei Champions-League-Titeln mit Barcelona auf sein erstes Finale mit Juve. "Ein verrückter Typ" sagt sein Kollege Giorgio Chiellini über ihn. "Er sprach eine andere Sprache als wir und spielte einen anderen Fußball. Wir haben uns ordentlich Mühe gegeben, ihn zu integrieren."

Der studierte Stoiker Chiellini und der brasilianische Exzentriker sind Freunde geworden, zusammen bilden sie jenen Januskopf, der Juventus derzeit unwiderstehlich macht. Bei Juventus zeigt der begnadete Dani Alves eine ganz neue Charaktereigenschaft: Hingabe. Niemand hat in dieser Saison mehr Torvorlagen geliefert als er. Keiner kontrolliert die Räume besser. "In Cardiff will ich Klubgeschichte schreiben", hat Dani Alves nach dem Finaleinzug versprochen. Ehrgeizig ist er auch noch.

© SZ vom 11.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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