Champions League:Luftsprung statt Keilerei

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Nach der Teilwende gegen Lyon setzt Bayern-Trainer Klinsmann die Qualitätsprüfung seines Kaders fort, lotet weiter die Grenzen seines Personal aus und provoziert mit Bedacht, nicht mit seiner Rotation.

Andreas Burkert

Seine Geste ist unmissverständlich: Komm' rein, los komm!, wir regeln das unter Männern im Kabinengang, und dir werd' ich's zeigen. Das sind in etwa die Gedanken, die Martin Demichelis in einen gefährlichen Erregungszustand versetzen, nachdem die Partie des FC Bayern gegen Lyon beendet ist. Er stapft sofort zum Ausgang, aber er dreht sich noch einmal um, zu Lúcio, dem Verteidigerkollegen. Wenn Blicke töten könnten, Lúcio und Demichelis würden nun leblos auf den Rasen sinken. Per Fingerzeig hat Demichelis also dem Kollegen bedeutet, sich rasch zu stellen zum Duell im Bauch der Münchner Arena. Lúcio hechtet aufgebracht hinterher. Der Brasilianer, ein gläubiger Christ und liebevoller Familienvater, das ist völlig klar - auch er ist jetzt fest entschlossen zur Keilerei unter Kameraden.

Erlösender Jubel bei den Bayern nach dem 1:1-Ausgleichstreffer von Zé Roberto. (Foto: Foto: AP)

Ehrenrunde statt Ring frei

Das Boxen hat einen verheerenden Ruf, seitdem das Gebührenfernsehen epische Abende versendet mit Kirmesschlägern von irgendwo, die zufällig in Hamburg, Berlin oder sonstwo im Land trainieren. Die zugereisten Kombattanten Demichelis und Lúcio hätten mit ihren seriösen Absichten vermutlich das Image der Disziplin aufgewertet, doch die Einlage ist leider noch aus dem Rahmenprogramm genommen worden. Schon während des mit 1:1 (0:1) gewerteten Champions-League-Duells der Münchner mit Olympique war es zu einem Sparring gekommen, fluchend, schubsend und rangelnd waren sich die Herren eine Viertelstunde vor Schluss begegnet - während vorne bereits der nächste Münchner Angriff lief. Bastian Schweinsteiger trennte die Latinogockel, es war fast seine beste Szene, und nach Spielende ist es letztlich der Assistenztrainer Martin Vasquez, ein Mexikaner, der Lúcio zurückhält.

Sie werden sich inzwischen wohl wieder vertragen haben, den klassischen Konflikt Brasilien gegen Argentinien wird es in München nicht geben. Schon gar nicht jetzt, da Südamerika die Herrschaft übernommen hat in Bayern. Man hat natürlich den Sprint Zé Robertos nach seinem wundersam wuchtigen Kopfstoß zum 1:1-Ausgleich, der in den Armen Jürgen Klinsmanns endete, als Symbol der Zuneigung für den Trainer deuten können (52.). "Ich weiß es nicht, ob das ein Zeichen ist", sagt hinterher der gebürtige Münchner Philipp Lahm, "auf jeden Fall stimmt es bei uns in der Mannschaft."

Aber ebenso schlüssig ist die Vereinigung vor der Spielerbank mit der Zuneigung gerade der Spanisch sprechenden Fraktion zu ihrem Lehrer zu erklären. Er spricht ja ihre Sprache, er kümmert sich sehr um sie, wie manche Runde nach der Trainingsarbeit belegt, wenn die Latinos sich noch ein halbes Stündchen auf dem Rasen dehnen - und Klinsmann ihnen Gesellschaft leistet.

Den Kapitän ausgemustert

Von Klinsmann ist bekannt, dass er jedes Handeln nicht ohne Hintersinn vollzieht. Und so provoziert er gerade mit Bedacht, nicht mit seiner Rotation. Er lotet wohl weiterhin seine und die Grenzen des Personals aus. Sechs Wochen nach Saisonbeginn haben bis auf Rekonvaleszent Sagnol sämtliche Spieler des Profikaders mindestens zwei Einsätze gehabt; es gilt bei ihm das, was in Amerika gilt, wo Klinsmann sich in vielerlei Hinsicht Anleihen nahm: Jeder kann alles schaffen, wenn er nur will. Dem ziemlich gnadenlosen Verdrängungswettbewerb ist nun wohl endgültig Mark van Bommel zum Opfer gefallen, wohl auch wegen verbaler Stockfehler.

Klinsmann wertet es nun als Fehler, ihm die Spielführerbinde übertragen zu haben. Und korrigiert sich. Da mag Manager Uli Hoeneß von "Momentaufnahme" sprechen, von einer "vielleicht nur vorübergehenden Formproblematik" und zudem kundtun, natürlich könne der 31-Jährige Kapitän bleiben. Der Holländer wird dennoch der erste Bayern-Kapitän sein, der keinen Stammplatz hat und nach einer Amtssaison abtritt; sein Vertrag läuft aus.

Nicht umsonst spricht Klinsmann ständig von einem "Projekt" und Hoeneß nun von "einer neuen Konstellation, die Formation in der Mannschaft ist noch nicht so gefestigt, es bildet sich da erst etwas heraus". Im Klinsmann'schen QualitätsKannibalismus. Perspektiven besitzt momentan also Südamerika, Innenverteidiger Breno, 18, ist mit einem Stammplatz gegen Lyon gestärkt worden; brillant spielte er aber nicht. Eher schon Zé Roberto, dem Klinsmann, neben dem noch alten Esprit suchenden Genius Ribéry, das Spiel anvertraute.

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Bayern - Lyon
:Rotieren und granteln

Klinsmann riskiert viel und rotiert viel - nicht alle Bayern-Anhänger sind mit seinen Maßnahmen zufrieden. Gegen Lyon springt ein 1:1 heraus.

Wie lange der Binnenwettbewerb auf dem Drahtseil gutgeht, ist, der simplen Logik des Fußballs folgend, von Resultaten abhängig. Insofern lässt sich Klinsmanns mächtiger Luftsprung nach dem Ausgleich leicht erklären, ebenso seine allzu euphorische Wertung, man sei nun "sehr gut und sehr stark in die Champions League gestartet".

"Das Tor fehlt"

Für ihn ist die Teilwende nach dem Rückstand ein Sieg gewesen. Eine gefestigte, durchstrukturierte Mannschaft hätte Lyon allerdings am Ende noch bezwungen, zu offensichtlich war das Bemühen der Franzosen um Punktsicherung. "Das Tor fehlt", sagt achselzuckend Luca Toni, der sich leicht verbessert präsentierte, eine Handvoll schöner Gelegenheiten aber passieren ließ. "Ein Tor und drei Punkte Samstag gegen Bochum in der Liga", meint der Italiener, "das würde die Moral heben."

Und Demichelis, der Eigentorschütze zum 0:1 (25.)? Die Unlust an Klinsmanns Idee, ihn diesmal vor die Abwehr zu stellen, ist ihm anzusehen gewesen; nicht nur während der diplomatischen Verwicklungen mit Lúcio, mit dem er im Vorjahr ein Rekordgespann stellte (nur 21Gegentore). Diese stabilere "Variante werden wir weiter verfolgen", sagt Klinsmann. Weitere Todesblicke sind nicht ausgeschlossen.

© SZ vom 02.10.2008/mb - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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