Champions League:Die unwiderstehliche Einfachheit des Seins

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Thomas Müller stärken, Sven Ulreich loben, Eckbälle üben und streng nach Hierarchie aufstellen: Das traditionelle Coaching von Trainer Jupp Heynckes führt zu einem lässigen Sieg gegen Celtic Glasgow.

Von Christof Kneer, München

Es ist jetzt also wieder so weit: Arjen Robben grätscht. In höchstem Tempo flitzte er seine Außenlinie entlang, in der verkehrten Richtung allerdings, und als er seinen Gegenspieler erreicht hatte, tat er es wirklich. Robben grätschte, er traf blitzsauber den Ball, rappelte sich samt Ball wieder auf und sauste wieder die Linie entlang, diesmal in die richtige Richtung.

Was in der Datenflut des Fußballs noch fehlt, ist die Arjen-Robben-Grätschen-Datenbank. Am Faktor Stress sollte die Pflege einer solchen Statistik eigentlich nicht scheitern, es würde ja reichen, wenn alle paar Monate ein freier Mitarbeiter drauf schaut und das Ganze aktualisiert. Robben grätscht nicht oft. Man täte ihm aber Unrecht, wenn man behaupten würde, er hätte in den vergangenen viereinhalb Jahren überhaupt keine Grätsche gesetzt. Bloß: Man kann sich halt nicht mehr erinnern.

Was man aber genau weiß: dass er zum Beispiel im Frühjahr 2013 leidenschaftlich grätschte, vor allem im Champions-League-Halbfinale gegen den FC Barcelona. Außerdem hat er seinen Gegenspieler regelmäßig bis an die eigene Eckfahne zurückverfolgt, und er hatte diese für einen Außenstürmer vorbildliche Einstellung nur deshalb nicht exklusiv, weil Franck Ribéry auf dem anderen Flügel dasselbe tat. Überhaupt machten die Bayern-Spieler merkwürdige Sachen damals, sie spielten zum Beispiel eine Art Willenspressing, das nicht auf vorberechneten Wegen beruhte, den Gegner aber trotzdem wahnsinnig nervte. Die Bayern wollten ganz dringend diese Champions League gewinnen, und am Ende gewannen sie sie auch.

Und jetzt grätscht Robben also wieder, und er hat aufdringlich gute Laune dabei. Er habe dem Trainer gesagt, "dass ich auch auf die rechte Verteidigerposition gehe, wenn wir hinten Probleme haben", witzelte er später. Der Trainer ist selbstverständlich derselbe wie vor viereinhalb Jahren.

Achtung Abwehrspieler: Mats Hummels, Torschütze zum 3:0, stellte auch gegen Celtic seine Kopfballstärke unter Beweis. (Foto: Peter Schatz/imago)

Während Robben witzelte, lief auf der anderen Seite der Interviewzone gerade Uli Hoeneß vorbei, nein, rief Hoeneß rüber, heute wolle er nichts sagen. Das musste er aber auch nicht. Er leuchtete von innen.

So wie diesen Abend, so wie dieses 3:0 gegen Celtic Glasgow stellt sich Uli Hoeneß wohl das Leben vor: Sein ziemlich bester Freund (Jupp Heynckes) trainiert seinen ziemlich besten Freund (FC Bayern). Auf diese Art ist den Bayern der Fußball halt doch am liebsten: Sie haben jetzt wieder einen hoch engagierten Trainer, der einerseits Fachwissen, Hingabe und die Liebe zum Detail zu einem zeitlosen Erfolgsrezept vermischt und die Burschen endlich wieder zum Rennen bringt. Andererseits erliegt er nicht der Versuchung, die sehr ereignislose zweite Hälfte für wissenschaftliche Zwecke zu nutzen. Pep Guardiola hätte die notorische Unterlegenheit der Schotten gewiss als Einladung verstanden, um mittels 17 verschiedener Handzeichen ein paar schicke Testreihen durchzuführen. Aber Heynckes ist nicht Guardiola, ebenso wenig, wie er Carlo Ancelotti ist.

Der Ball muss am Fuß kleben: Trainer Jupp Heynckes achtet wieder auf die Details des Spiels. (Foto: Michaela Rehle/Reuters)

Die Art, wie Jupp Heynckes den FC Bayern anfasst, ist ein demonstratives Bekenntnis zur Gegenwart. Gegenwart kann Heynckes ausgezeichnet, sehr professionell unternimmt er all das, was im Hier und Jetzt wichtig ist: Er installiert ein Spielsystem, in dem sich die Spieler zu Hause fühlen; er stärkt Thomas Müller und stellt ihn ins Zentrum, wo er sich zu Hause fühlt; er lobt den Reservetorwart Sven Ulreich, damit der sich auch zu Hause fühlt; er sagt Kingsley Coman, dass er sein Sprinttempo vorm Flanken etwas reduzieren soll, damit die Flanke auch ankommt (wie vor Kimmichs Kopfballtor zum 2:0); er lässt Eckbälle üben, damit der Ball nicht mehr so ziellos durch die Gegend fliegt (was zum Ecke-Robben-Kopfball-Hummels-Tor zum 3:0 führte). Und vor allem: Er coacht die Hierarchie runter, ganz klassisch von oben nach unten. Hinten spielen natürlich die etablierten Mats Hummels und Jérôme Boateng und nicht der unetablierte Niklas Süle; und wenn Thiago vom Feld darf, kommt natürlich der etablierte Arturo Vidal und nicht der unetablierte Correntin Tolisso.

Über die Zukunft des Klubs ist durch solche soliden Handgriffe allerdings nichts ausgesagt, und ob sich ausbaubedürftige Zugänge wie Süle und Tolisso in den nächsten Monaten entwickeln dürfen, ist eher ungewiss. Aber nachdem Spielstil, Sitten und Gebräuche unter Ancelotti offenbar zunehmend verkommen sind, bleibt Bayern nichts anderes übrig, als erst mal auf hohem Niveau auf die unwiderstehliche Einfachheit des Seins zu vertrauen. Heynckes' Betonung traditioneller Weisheiten ("Man muss immer zu null spielen, das hat Priorität") trifft zurzeit auf dankbare Abnehmer, und die Spieler sind ohnehin gut genug, um auch mal ohne die ultrakreative Anleitung eines hippen Neuzeitcoaches übers Jahr zu kommen. Vor ihrem neuen, alten Trainer haben die Profis so viel Respekt, dass sie auch dessen wackere Appelle an Pünktlichkeit und Sauberkeit als leistungs-und betriebsklimafördernd loben.

Gröbere Katastrophen haben die Bayern bereits jetzt abgewendet, ein Weiterkommen in der Champions League darf nach diesem lässigen 3:0 als sicher gelten. Wie weit der neue, alte Stil aber schon trägt, werden die nächsten Wochen zeigen, in denen die Heynckes-Bayern zweimal gegen RB Leipzig und einmal gegen Borussia Dortmund antreten müssen. Vorher dürfen sie allerdings noch zum HSV.

© SZ vom 20.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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