Triathlon in Roth:Der sonst so wütende Vogel lächelt

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Endlich geschafft: Schneller als die 8:08:21 Stunden der Schweizerin Daniela Ryf in Roth war noch keine Triathletin auf der Langdistanz. (Foto: Daniel Löb/dpa)

Zwei Weltbestmarken und eine Region, die vibriert: Der Langdistanztriathlon in Roth gleicht in diesem Jahr einer Vorab-Weltmeisterschaft - vor allem die Schweizerin Daniela Ryf beeindruckt.

Von Johannes Knuth

Angry Bird, so lautet der Spitzname der Triathletin Daniela Ryf, wie die wütenden Vögel, die im gleichnamigen Videospiel Gebäude und Schurken zu Fall bringen. Ryf pulverisiert zwar nur Trainingszeiten und Rekorde, es gebe dabei aber kaum eine, sagen Kenner, die es so gut schaffe, die Wut und Schmerzen, die auf der Langstrecke unweigerlich auf einen einstürzen, in Energie zu verwandeln. Wie ein selbstgemachtes, emotionales Kraftwerk.

Fünf Mal hat die 36-Jährige aus Solothurn in der Schweiz auch deshalb die mythenumrankte Langdistanz auf Hawaii gewonnen, die 3,86 Kilometer Schwimmen, 180 Kilometer Radfahren und 42,195 Kilometer Laufen durch Ozean, Fallwinde und Lavafelder. Den Sonntag in Roth, dem zweiten großen Sammelpunkt der Szene, dürfte Ryf indes auch nicht zu niedrig einhängen. 8:08:21 Stunden, schneller hat noch keine Frau einen Langdistanztriathlon absolviert. Und auch wenn sich Zeiten auf der Langstrecke schwer vergleichen lassen, weil sich Strecken und Wetter oft gewaltig unterscheiden: Solche Marken üben am Ende dann doch große Faszination aus. So wie die neue Weltbestzeit des Roth-Siegers Magnus Ditlev: 7:24:40 Stunden, knapp zwei Minuten flotter als der Franzose Denis Chevrot vor drei Wochen in Hamburg.

Vor einem Jahr wurde Ryf nur Achte auf Hawaii, eine Schmach

Ryfs Leistung erhielt ihre Besonderheit auch dadurch, dass sie sich in den vergangenen Jahren in ein Tief manövriert hatte. Sie hatte sich 2021 von ihrem Trainer Brett Sutton getrennt, einem Australier, der nicht unbedingt als Jünger des datenbasierten Trainings der jüngeren Generation gilt. Sutton, heißt es oft, könne die Form eines Schützlings erahnen, wenn er sehe, wie dieser eine Treppe erklimme. Ryf wollte damals mit Suttons Trainingslehre weitermachen, nur ohne sein scharfes Auge. Die Kurzversion: Es ging ziemlich schief. 2022 wurde sie Achte auf Hawaii, eine Schmach.

Sie heuerte also wieder bei Sutton an (der gerade in China lebt und die dortigen Kurzdistanz-Triathleten für Olympia 2024 fitmachen soll). Man fand offenbar recht schnell wieder zueinander. Sutton, 64, reizt es offenbar, allen zu zeigen, dass sein Auge nichts an Schärfe verloren hat. Und Ryf möchte sich mit 36 Jahren noch einmal an die Spitze eines Feldes klemmen, das in den vergangenen Jahren massiv an Stärke gewonnen hat. Roth war insofern ein willkommener Stresstest, die Veranstalter hatten ein Feld zusammengezogen, das einer vorgezogenen Hawaii-Entscheidung glich. Neben Ryf hatten sich allein die drei derzeit besten Läuferinnen angemeldet: die Amerikanerin Chelsea Sodaro (Hawaii-Siegerin 2022) sowie die starken Deutschen Anne Haug (Hawaii-Siegerin 2019) und Laura Philipp (8:18:20 Stunden vor einem Jahr in Hamburg).

Ryf tat nun das, womit sie die Konkurrenz früher für gewöhnlich zerfleddert hatte: Beim Radfahren schien sie mit jedem Tritt mehr Abstand zwischen sich und den Rest zu legen. 4:22 Stunden auf 180 Kilometern, schneller war auch noch keine Frau bei einer Langdistanz. Die besten Läuferinnen brachen mit 15 Minuten Verspätung und mehr in den Marathon auf, das holte selbst Haug nicht mehr auf. Platz zwei in 8:21:09 Stunden war dennoch beachtlich; Philipp wurde Dritte (8:25:31), Sodaro gab auf. Als Ryf auf die letzten Meter eintauchte, lächelte der sonst so wütende Vogel: Die alte Weltbestzeit der Britin Chrissie Wellington, jene 8:18:13 Stunden von 2011 in Roth, waren zertrümmert, um rund zehn Minuten. Diese Marke habe ihr noch gefehlt, sagte Ryf, "das ist unbeschreiblich".

Tour-de-France-Stimmung in Franken: Daniela Ryf erklimmt den Solarer Berg. (Foto: Daniel Karmann/dpa)

Und die Männer? Die sind zuletzt auch nicht langsamer geworden, und ob das nun an besseren Neoprenanzügen, Rädern und Schuhen liegt, am Rückenwind, weniger Nutella oder noch ganz anderen Dingen - sie ließen die guten Bedingungen am Sonntag in Roth nicht aus. Ditlev, der Vorjahressieger aus Dänemark, erarbeitete sich im Schwimmen und Radfahren ein Guthaben von zwölf Minuten auf Patrick Lange. Der Hawaii-Sieger von 2017 und 2018 aus Hessen hat seine großen Siege meist auf der Laufstrecke an sich gezogen, für Roth hatte er sich 2:30 Stunden im Marathon vorgenommen. Nur: Ditlev weigerte sich schlicht, mehr als fünf Minuten von seinem Vorsprung herzurücken. Lange ärgerte sich dann auch nur kurz über Rang zwei und die vier Sekunden, um die er die Marke von 7:30 Stunden verpasst hatte ("Keine Schande"). Er war schon im Vorjahr hinter Ditlev in Roth eingetroffen. Der Sieg damals, hatte der 25-Jährige zuletzt berichtet, habe seiner Karriere einen ganz neuen Drall verliehen: Es habe ihm ermöglicht (und auch gezwungen), ein neues Betreuerteam um sich herum aufzuziehen, alles in den Dienst des Profisports zu stellen.

Es wird spannend zu sehen sein, wie die Triathleten einmal auf dieses Jahr zurückblicken werden, vor allem auf diesen Sonntag in Roth. Hawaii steht für die Männer in diesem Jahr ja nicht im Plan, der Veranstalter Ironman erprobt erstmals sein Rotationsprinzip: Nur die Frauen starten diesmal in Kona, die Männer weichen nach Nizza aus; 2024 ist es umgekehrt. Nicht wenige sehen das so wie Ryf, die zuletzt sagte: "Ich finde es nicht intelligent, den Mythos zu zerstören" - Lavafelder und Fallwinde lassen sich nun mal nicht so leicht umtopfen. Die Motivation hat Ironman nicht verhüllt: Zwei Orte, das macht mehr Startplätze für Profis und vor allem für Amateure und somit: mehr Startgebühren.

Das Rennen der Challenge-Konkurrenz in Roth? Vibrierte so wie immer, mit 300 000 Zuschauern im Zielstadion, an der Strecke, vor allem am Solarer Berg, wo sie die Radfahrer so hinaufbrüllen wie das Publikum bei der Tour de France. Seit Jahren schaffen sie es in Franken, trotzdem wie eine Familienzusammenkunft zu wirken, wie eine Fabrik der Emotionen, wie es Sebastian Kienle nannte, der Hawaii-Sieger von 2014, der am Sonntag seinen letzten Triathlon im Profigewerbe beendete, als 14.. Das alles gilt es im Herbst erst mal zu überbieten.

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