Bundesliga:Zweiter Corona-Fall in Hannover

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Nach Gladbachs 2:1 gegen Köln wird in der Bundesliga die Frage diskutiert, ob die sogenannten Geisterspiele wirklich die Lösung sein können.

Von Philipp Selldorf, Mönchengladbach

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(Foto: Fabian Strauch/dpa)

"Tausche Eintrittskarte gegen Klopapier" - ein Borussen-Geist vor dem ersten Bundesliga-Geisterspiel.

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(Foto: Fabian Strauch/dpa)

Am Ende immer noch ein ganz normales Fußballspiel, mit Eckbällen, Chancen und sogar Toren. Gladbach gewann mit 2:1.

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(Foto: Roland Weihrauch/dpa)

Und doch: "Ein historischer Moment - wir durften, mussten, konnten das erste Geisterspiel der Geschichte bestreiten", sagt Borussia-Manager Max Eberl.

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(Foto: Jörg Schüler/Getty Images)

Draußen vor dem Tore: Trotz aller Warnungen versammelten sich Gladbach-Fans vor dem Stadion.

An diesem Wochenende soll die Bundesliga noch ihren geordneten Spielbetrieb aufrechterhalten, Geisterspiele allerorten sind angesetzt, obwohl die erste Auflage dieses Notprogramms, die am Mittwochabend in Mönchengladbach stattfand, alles andere als eine Werbeveranstaltung war. "Bundesliga ohne Fans macht keinen Spaß", befand Horst Heldt, nachdem der 1. FC Köln das Nachholspiel in Mönchengladbach im quasi menschenleeren Borussia-Park 1:2 verloren hatte. Doch es geht jetzt längst nicht mehr um Befindlichkeiten. Die Nachrichten in der Corona-Krise beschleunigen sich in einer Weise, dass der gesamte Ablauf im durchkalkulierten, durchterminierten und globalisierten Profifußball in Frage steht.

Am Donnerstagnachmittag bestätigte Hannover 96, dass es nach Timo Hübers einen zweiten Corona-Fall im Team gebe, der Verteidiger Jannes Horn wurde positiv getestet. Wie der Zweitligist mitteilte, befindet sich nun der gesamte Kader für 14 Tage in Quarantäne, man werde die Absetzung der nächsten beiden Ligaspiele beantragen. Weitere Fälle könnten folgen und den Spielplan durcheinanderwirbeln. Der am Donnerstag erschienene Gastbeitrag, den DFB-Generalsekretär Friedrich Curtius für die Fachzeitung kicker geschrieben hatte, bekam somit prophetische Wirkung: "Wir müssen uns mit allen Szenarien beschäftigen, um vorbereitet zu sein, wenn der Fall eintreten sollte, dass der Spielbetrieb unterbrochen oder die Saison sogar vorzeitig beendet werden müsste." Ziel bleibe es, die Saison regulär zu Ende zu spielen. "Das entscheidende Wort aber haben die Gesundheitsbehörden." Deren Vorgaben können dafür sorgen, dass der Fußball in Deutschland über Wochen oder Monate stillstehen muss.

DFB-Generalsekretär Curtius wirft die Frage auf, ob die Saison vorzeitig beendet werden muss

Am Mittwochabend aber wurde erst einmal die Behelfslösung in Szene gesetzt, und der Mann, der im Borussia-Park den Ansagedienst versieht, ging auch diesmal in gewohnter Art seiner Tätigkeit nach. Er las den Spielern die Aufstellungen vor, sagte ordnungsgemäß die Hymne an ("die Seele brennt im Borussia-Park"), drückte die üblichen Knöpfe für die üblichen Soundsignale und verkündete den neuen Spielstand, wenn beizeiten ein Tor gefallen war, was an diesem sonderbaren Abend dreimal vorkam: 1:0 Embolo (32.), 2:0 Eigentor Meré (70.), 2:1 Uth (80.). Einzig bei der Ansage der Besucherzahl wich der Moderator vom Protokoll ab: Firma X "präsentiert die Zuschauerzahl: Heute gibt es keine."

Diese trockene Botschaft hinterließ eine Menge Raum für Notizen: Man konnte sie als lakonischen Kommentar auf die Leere verstehen, die diesem Fußballspiel innewohnte, als Formulierung eines philosophischen Mysteriums - oder als den einzig möglichen Versuch, durch das stoische Festhalten am Gewohnten die Essenz des Anlasses zu wahren. Profisport bleibt Profisport bleibt Profisport, so haben es am Ende alle Beteiligten sehen wollen, die sich in dem von Amts wegen leeren Stadion zum rheinischen Derby getroffen hatten. "Irgendwann ist es dann einfach ein Fußballspiel", stellte der Borusse Christoph Kramer fest. Borussia Mönchengladbach steht nach dem 2:1 in der nun wieder geradegerückten Tabelle auf Platz vier. Die Sinnfrage, die diese Premiere aufgeworfen hatte, war damit allerdings nicht beantwortet.

Einerseits war es, wie Borussia-Manager Max Eberl sagte, "ein historischer Moment - wir durften, mussten, konnten das erste Geisterspiel der Geschichte bestreiten". Andererseits mochte er darauf nicht stolz sein. Die Hausherren freuten sich über den Sieg und feierten ihn mit den Fans, die sich draußen vor den Toren im Regen versammelt hatten, und die Kölner ärgerten sich, dass ihnen trotz guter Chancen nicht noch der Ausgleich geglückt war. Doch hinter all dem Alltagsgebaren stand die Beklemmung, dass man soeben in einen Abgrund geblickt hatte. Wie er die unheimliche Stille im Betonrund empfunden habe, wurde Jonas Hector gefragt: "Ist einfach scheiße", sagte der Nationalspieler.

Noch prägnanter beschrieb das Unbehagen keiner der Künstler, sondern der sogenannte 23. Mann. Schiedsrichter Deniz Aytekin empfängt im Stadion seltener Beifall als Beschimpfungen, aber nun vermisste er die "Fußball-Mafia" Rufe aus der Kurve sehnsüchtig. "Irgendwie beängstigend", fand er das Geschehen - "ohne Fans ist das nicht mal halb so viel wert."

Die Klubs bitten ihre Fans, am Spieltag auch nicht in die Nähe der Stadien zu kommen

Dieses war die eine elementare Lehre des Abends: "Jetzt wissen wir noch mehr, wie wichtig Fans für unseren Sport sind", wie Borussia-Trainer Marco Rose feststellte. Die andere Erkenntnis reicht jedoch sehr viel weiter: Das Schauspiel am Niederrhein hat klargemacht, dass Geisterspiele nicht die Lösung sein können, um zu retten, was zu retten ist. Es sei jetzt die Zeit, dass Fifa und Uefa "aus der Deckung" kämen, forderte der Kölner Manager Horst Heldt. Er zielte damit nicht nur auf die beiden Länderspieltermine in zwei Wochen, die er wegen der internationalen Reisepflichten der Profis zum "Oberwitz schlechthin" erklärte.

Heldt meinte auch die Europameisterschaft im Sommer: Deren Verlegung könne für die nationalen Ligen die Rettung bedeuten. Dieser Gedanke, mit dem sich außer Heldt auch andere Verantwortliche der Bundesligavereine längst beschäftigen, dürfte ein gewichtiges Thema darstellen bei der außerordentlichen Vollversammlung der Profiklubs, die am Montag am Sitz der DFL in Frankfurt stattfinden wird.

Die Krisenlage im Profifußball ändert sich derzeit beinahe stündlich. Was am Mittwochabend noch folkloristisch wirkte, das Ausharren der Mönchengladbacher Hardcore-Fans hinter ihrer Kurve, das soll sich am Wochenende keineswegs wiederholen. Borussia Dortmund forderte seine Anhänger vor dem Revierderby am Samstag gegen Schalke 04 auf, auch die Umgebung des Stadions auf jeden Fall zu meiden. "Seht bitte davon ab, das Spiel in unmittelbarer Nähe des Signal-Iduna-Parks zu verfolgen", teilte der BVB in einer "dringenden Bitte" mit. Die Gesundheit stehe eindeutig im Vordergrund. Andere Vereine, etwa die TSG Hoffenheim, richteten ähnliche Appelle an ihre Anhänger.

Die Botschaft ist in der Branche angekommen, so scheint es. Der Fußball müsse sich "solidarisch" verhalten, hatte Borussia-Trainer Rose am Mittwoch gesagt: "Im Sinne der Gesundheit jener Personen, für die es schwierig werden könnte", wenn sich das Virus immer weiter und immer schneller ausbreite.

© SZ vom 13.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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