Zuschauer bei Sportveranstaltungen:Die größte Not trifft nicht den Fußball

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Handball in Corona-Zeiten: Wie lange überleben die Vereine ohne Zuschauer? (Foto: Ronny Hartmann/dpa)

Wenn der Profifußball zuletzt über fehlende Zuschauer in den Arenen geklagt hat, ging es um Folklore und Fröhlichkeit. Doch wenn andere Sportarten über leere Hallen sprechen, geht es um die Existenz.

Kommentar von Joachim Mölter

Es hat nicht lange gedauert, bis die Fußballer die Deutungshoheit übernommen haben über das, was Bundeskanzlerin Angela Merkel und die Ministerpräsidenten der Länder am Donnerstag beschlossen haben in Sachen Großveranstaltungen. "Meiner Meinung nach sind die Beschlüsse ein Zeichen der Politik, dass man ab Anfang November wieder mit Zuschauern spielen möchte", erklärte Borussia Dortmunds Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke der Zeitung WAZ.

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Gibt der Beschluss diese Interpretation her? Unter Punkt 14 der Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie steht: "Großveranstaltungen, bei denen eine Kontaktverfolgung und die Einhaltung von Hygieneregelungen nicht möglich ist, sollen mindestens bis Ende Dezember 2020 nicht stattfinden. Zum einheitlichen Umgang mit Zuschauern bei bundesweiten Sportveranstaltungen wird eine Arbeitsgruppe auf Ebene der Chefs der Staatskanzleien eingesetzt, die bis Ende Oktober einen Vorschlag vorlegen soll."

In der Fußballerblase empfindet man den zweiten Satz als Bremse, die verhindert, zum Saisonstart im September die Stadien wieder mit Zuschauern zu fluten: Kontaktverfolgung und Hygieneregeln kriegen sie ja hin, so die Selbsteinschätzung. Außerhalb der Blase interpretiert man den Satz als Privileg, das dem Sport gewährt wird. Im Gegensatz zu Konzert-, Messe- oder Festveranstaltern hat der zumindest die Aussicht, schon vor Jahresende wieder ein größeres Publikum einzulassen. Aus dieser Perspektive betrachtet, kommt Watzke mit seiner Meinung schon recht forsch und fordernd daher.

Fußball ist zweifellos der wichtigste Sport hierzulande, aber er ist nicht der einzige, und schon gar nicht ist es derjenige in größter Not. Wenn die Kickerbranche zuletzt über fehlende Zuschauer in den Arenen geklagt hat, ging es um Folklore und Fröhlichkeit, um gute Stimmung. Wenn andere Sportarten über leere Hallen sprechen, geht es um die Existenz. Eishockeyvereine, Hand-, Basket- und Volleyballklubs sind zum wesentlichen Teil auf die Einnahmen aus dem Eintrittskartenverkauf angewiesen; sie trifft die Entscheidung vom Donnerstag härter als die Fußballer, die immer noch auf vergleichsweise üppige Sponsoren- und Fernsehgelder zurückgreifen können.

Dass die Fans beim Torjubel Abstand einhalten, ist unwahrscheinlich

Es ist jedenfalls nicht übertrieben, wenn Jennifer Kettemann, die Geschäftsführerin des Handball-Bundesligisten Rhein-Neckar Löwen, vor einem Vereinssterben außerhalb des Profifußballs warnt, wie sie es gerade im Mannheimer Morgen getan hat: "Es wird für uns ein Drahtseilakt werden, den Spielbetrieb unter diesen Bedingungen aufzunehmen."

Die Handballer wollen im Oktober in die Ligasaison starten, Basketballer und Eishockeyspieler im November. Bis dahin könnte zumindest ein dringender Wunsch der übrigen Teamsportarten erfüllt sein: "verlässliche Rahmenbedingungen, mit denen man planen kann", wie es Stefan Holz formulierte, Geschäftsführer der Basketball-Bundesliga.

Merkel und Co. haben am Donnerstag bundesweit einheitliche Regelungen für den Sport angekündigt; bislang unterscheiden die sich ja von Bundesland zu Bundesland: In Berlin sind beispielsweise 1000 Zuschauer bei Sportveranstaltungen zugelassen, in Bayern null. Es ist sicher sinnvoller, diese Zuschauergrenzen erst auf zwei-, drei-, viertausend anzuheben, ehe man den Fußballern zwanzig-, dreißig-, vierzigtausend gestattet. Dass die Fans beim Torjubel Abstand einhalten und Masken auflassen, ist ja unwahrscheinlich, die Gefahr einer Corona-Infektion mithin größer. Und es ist nicht so, dass die Politik möchte, dass vor Zuschauern Fußball gespielt wird, wie Watzke meint. Sie möchte, dass alle Menschen gesund durch den Winter kommen.

© SZ vom 29.08.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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