British Open in Royal St George's:Mit Höhenangst im Himalaja

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Bemerkenswerte Pressekonferenz: US-Open-Sieger Jon Rahm (hier bei einer Proberunde) berichtete, dass er mit einem Klumpfuß geboren wurde. (Foto: Ian Walton/AP)

Die British Open ist immer wieder die Essenz des puren Golfens. Bei keinem Major-Turnier wird den Profis so viel taktisches Geschick abverlangt - selbst Longhitter wie Bryson DeChambeau müssen ihren Stil anpassen.

Von Gerald Kleffmann, Sandwich/München

Die Presserunde lief inhaltlich zunächst gewöhnlich ab. Jon Rahm sprach über seine tolle Form, auch wenn er bei der Scottish Open gerade knapp dem Australier Min Woo Lee den Sieg überlassen musste. Aber jetzt sei er "sehr aufgeregt", im Royal St George's Golf Club zu sein, in Sandwich, nördlich von Dover. 32 000 Fans werden von Donnerstag an auf den Links-Kurs, wie Golfplätze entlang den Küsten heißen, pilgern - die größte Zahl an Menschen seit Ausbruch der Pandemie in diesem Sport. Die gesetzlichen Regeln erlauben tatsächlich maximalen Besuch bei der British Open oder vielmehr The Open Championship, wie das älteste Golfturnier der Welt (seit 1860) auf der Insel genannt wird. Es ist ein heiliges Turnier für jeden Profi, ein Fest für Fans. "Ich werde es genießen", sagte Rahm.

In diesem Moment war es kaum vorstellbar, dass es Minuten später um ein Thema von ganz anderem Gewicht gehen würde - um eine Fehlbildung. Aber dann kam diese Frage: Sie erwähnten kurz, dass Sie beim Schwung physisch limitiert seien - können Sie das erklären? Und Rahm erklärte.

"Ich wurde mit einem Klumpfuß am rechten Bein geboren", eröffnete der 26-jährige Baske den verdutzten Berichterstattern. Sein Fuß sei nach innen verwachsen und um 90 Grad verdreht gewesen. "Er war komplett auf der anderen Seite." Mit Gesten veranschaulichte er, wie das ausgesehen hatte. Schlimm. "So ziemlich jeder Knochen im Knöchel wurde gebrochen", schilderte Rahm. Woche für Woche sei der Fuß dann ausgerichtet worden. "Von meinem Knie abwärts wuchs mein Bein nicht in gleichem Maße. Deshalb bin ich im Knöchel meines rechten Beines nur beschränkt beweglich." Eineinhalb Zentimeter kürzer sei dieses Bein als das linke. Dieses Defizit bewirke, dass ihm die Stabilität im Rückschwung fehle und er entsprechend kürzer mit dem Schläger ausholen muss.

Aus gutem Grund wird der Sieger "Champion Golfer of the Year" genannt

Ja, da saß Rahm, Nummer zwei der Golfweltrangliste, über den schon Tausende Berichte erschienen sind, der vor vier Wochen bei der US Open seinen ersten Major-Titel errang, und packte diese Begebenheit aus. Für alle, die auch dem Golfsport verfallen sind wie er und auf ihre Weise mit dem Schwung kämpfen, hatte Rahm überdies eine Lehre parat: "Lass deinen Körper bestimmen, wie du schwingen kannst. So einfach ist das."

Für sein Bekenntnis hätte es keinen besseren Ort geben können als die British Open. Die englischen Fußball-Anhänger intonierten zuletzt ja gerne "football's coming home". Es war ein Ausspruch, über den man auch anderer Ansicht sein kann. Im Golf nicht. Wenn Golf bei der British Open gespielt wird, ist das jedes Mal tatsächlich ein Nach-Hause-Kommen zu den Wurzeln dieses Sports. Wobei der speziellste dieser speziellen Orte natürlich auf immer und ewig der Old Course im schottischen St. Andrews sein wird; neun Klubs wechseln sich jährlich bei der Ausrichtung dieses Klassikers ab.

Tribünenmonster aus Stahl: Im Royal St George's Golf Club werden täglich 32 000 Zuschauer erwartet, die höchste Zahl seit Beginn der Pandemie bei einem Golfturnier. (Foto: Lee Smith/Reuters)

Nirgends werden die Spieler so sehr sich selbst überlassen, auf diesen Plätzen voller Unwägbarkeiten. Eine Tasche mit Schlägern, eine hart gepresste, oft braunstellige Wiese, so viele Wellen, wie sie die Natur weitgehend hergibt - die British Open ist die Essenz des puren Golfens, das Gegenteil so vieler Disneyland-hafter Kurse der US Tour vor allem. "Champion Golfer of the Year", so unaufgeregt wird am Sonntagabend der Sieger ausgerufen, was die höchste Huldigung bereits zum Ausdruck bringt: Der Gewinner des vierten, letzten Majors 2021 (auch Martin Kaymer, Marcel Siem, Matthias Schmid und Marcel Schneider starten) muss ein Meister seines Fachs sein.

Der Amerikaner Brooks Koepka, viermaliger Major-Sieger, aber noch nie bei The Open, brachte die Kniffligkeit auf den Punkt: "Du hast vielleicht noch 50 Yards, aber du kannst sechs Schläger nehmen." Weil der in alle Richtungen schiefe Untergrund die Bälle oft genug unberechenbar weiterrollen lässt. Zusätzlich lauern Pot-Bunker, topfartig im Boden versenkte Sandhindernisse. Einer in St George's heißt nicht ohne Grund Himalaya, auf Bahn vier. Man schaut, im Sand stehend, regelrecht ins Hochgebirge.

DeChambeau und Koepka setzen ihre Fehde mit lächerlicher Ernsthaftigkeit fort

Tiger Woods, weiter in Reha nach seinem Autocrash, ist einer der größten Patrioten seines Landes. Aber wenn es auf die Insel ging, ergriff ihn jedes Mal ein ganz eigener Respekt vor der Historie und dem facettenreichen Charakter der Open. "Du musst hier einfach versuchen, deine mechanischen Bewegungen richtig auszuführen, aber auch deine athletischen Fähigkeiten und dein Instinkt müssen durchscheinen", betonte nun Rory McIlroy, 32. Der Nordire hatte 2014 in Liverpool die Claret Jug in Besitz genommen, eine ulkige Weinkaraffe, die aktuell noch im Besitz des Iren Shane Lowry, 34, ist, der 2019 im Royal Portrush GC siegte; 2020 fiel die Veranstaltung Corona-bedingt aus.

Sogar Bryson DeChambeau, Kraftpaket und Longhitter der Tour, will umdenken. Nicht in der Fehde mit Koepka; diese setzten die zwei in ihren jeweiligen Pressekonferenzen mit lächerlicher Ernsthaftigkeit fort. Aber der 27-jährige Kalifornier will nicht mehr nur ballern, sondern sich etwa das Spiel von Tiger Woods aus dessen besten British-Open-Jahren zum Vorbild nehmen - und auch mal kürzere Eisen verwenden, Schläger, mit denen die Bälle aufgrund des größeren Neigungswinkels der Schlagflächen nicht so weit fliegen. "Wenn du mit 300 Yards vom Tee abschlägst und im Gras landest", meinte DeChambeau, "ist es nicht einfach, aufs Grün zu kommen." Nicht einfach - nichts hören die Veranstalter lieber als diese zwei Worte bei der Suche nach dem Champion Golfer of the Year.

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