Bremen:Die Entdeckung der Cleverness

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Ein höflicher Chef: Werders Trainer Florian Kohfeldt bedankt sich nach dem 3:1 gegen Wolfsburg bei Mittelfeld-Arbeitskraft Maximilian Eggestein. (Foto: Carmen Jaspersen/dpa)

Werder belohnt sich doch noch für viel Aufwand, der VfL Wolfsburg führt dagegen scharfe Betriebsdebatten.

Von Jörg Marwedel, Bremen

Es wird ja nicht nur Deutsch gesprochen bei Werder Bremen. Aber auch auf Englisch, wie es der Schwede Ludwig Augustinsson bevorzugt, wird klar, wie es derzeit rund ums Weserstadion zugeht: "We feel very strong", sagte der Außenverteidiger, der schon in der vierten Minute per Kopf das erste Tor beim verdienten 3:1-Sieg gegen den VfL Wolfsburg erzielt hatte. Ja, man fühlt sich inzwischen stark in Bremen. Bei den Niedersachsen dagegen flogen in der Pause einige Kisten durch die Kabine. Trainer Martin Schmidt war beim Halbzeit-Stand von 2:0 derart aufgebracht wegen der desolaten Vorstellung seiner Profis, dass er ein paarmal gegen die Blechbehälter trat.

So unterschiedlich ist gerade die Stimmung bei den norddeutschen Klubs, die nur noch einen Punkt auseinander liegen, aber im Kampf gegen den Abstieg nun sehr unterschiedliche Voraussetzungen haben. Martin Schmidt hat in knapp fünf Monaten aus Einzelspielern kein Team geformt und zuletzt in neun Spielen nur einen Sieg erwirtschaftet. Jetzt sagte er: "Es steht fünf vor zwölf, oder sogar drei oder zwei vor zwölf." Sein Kollege Florian Kohfeldt hingegen ist dabei, aus einer unter seinem Vorgänger Alexander Nouri verunsicherten Elf eine Mannschaft zu modellieren, die auf gutem Bundesliga-Niveau mitspielen kann. Nouris Ausbeute waren in zehn Spielen fünf Punkte, Kohfeldt gewann in zwölf Partien schon 18 Zähler.

Unter der 35-jährigen Trainer-Begabung Kohfeldt scheint sich ein Kollektiv zu entwickeln, in dem immer mal wieder andere als Max Kruse, der unangefochtene Leader, herausragen können. Am Sonntag war es der zweimalige Torschütze Florian Kainz, 25, dem beim 2:0 mit einem Schlenzer "eines der schönsten Tore meiner Karriere" gelang. In vielen Gesprächen ist es Kohfeldt offenbar gelungen, selbst Führungsspieler wie Zlatko Junuzovic oder Thomas Delaney davon zu überzeugen, dass es aus taktischen Gründen auch mal sinnvoll sein kann, dass sie erst später als Einwechselkräfte wichtig sein können. So wie diesmal Delaney, der erst in der 56. Minute auf den Rasen kam, aggressiv zu Werke ging und einmal mit einem Blocker gegen Yunus Malli sogar den Ausgleich verhinderte, nachdem VfL-Kapitän Paul Verhaegh mit einem Elfmeter im Nachschuss kurz nach der Pause das 2:1 erzielt hatte.

Variationsmöglichkeiten wie Kohfeldt hat Schmidt derzeit nicht, beim VfL sind sieben potenzielle Stammspieler verletzt. Gerade deshalb war es verwunderlich, dass Divock Origi, der Mario-Gomez-Nachfolger als Sturmspitze, zunächst auf der Bank blieb. Begründung: Origi habe "zuletzt zweimal 90 Minuten durchgespielt". Der Belgier ist vom FC Liverpool ausgeliehen, wo Englische Wochen permanent auf der Tagesordnung stehen.

In Wolfsburg hat man jetzt Sorgen, die über dieses miese Spiel hinausgehen. Sportdirektor Olaf Rebbe, ein alter Schüler des früheren Bremer und Wolfsburger Managers Klaus Allofs, kündigte schon einmal an, dass man "im inneren Zirkel die Dinge genau durchleuchten" müsse. Vermutlich meinte er damit eher Mannschaft und Trainerstab. Aber bei VW wird man sich zunehmend die Frage stellen, ob auch für ihn der Job eine Nummer zu groß ist. Er hat seit seinem Amtsantritt im Dezember 2016 fast 125 Millionen Euro für Transfers bewegt. Mehr als ein Dutzend neue Profis wurden verpflichtet, ebenso viele abgegeben, darunter Profis wie Ricardo Rodriguez (AC Mailand), Luis Gustavo (Olympique Marseille) und Torwart Diego Benaglio (AS Monaco). Rebbe wollte dem VfL ein neues Gesicht geben, eine Mannschaft ist dabei noch nicht herausgekommen.

Vielleicht müsse man sich fragen, "wie so eine Leistung zustande kommt, ob alle alles dafür getan hätten, dass wir erfolgreich sind", schob der Sportdirektor noch nach. Einen erneuten Trainerwechsel würde Rebbe kaum überstehen. In Jörg Schmadtke (zuletzt Köln) und Hansi Flick (vor dem Aus in Hoffenheim) geistern schon Namen potenzieller Nachfolger durch Wolfsburg. Vorerst aber steht das Heimspiel am Samstag gegen den FC Bayern an. Eine Partie, in der man sich, so Schmidt, keine Sorgen machen muss, weil da "eh alles geklärt ist". Vermutlich wird eher das dann folgende Aufeinandertreffen bei seinem früheren Klub Mainz 05 das Schicksalspiel für ihn und/oder Rebbe.

Florian Kohfeldt kann die Duelle in Freiburg und dann daheim gegen den Hamburger SV mit deutlich mehr Optimismus angehen. Vergangene Woche hat er beim Training das Wort "clever" zum Thema gemacht. Denn bei den beiden 2:4-Niederlagen bei den Spitzenklubs FC Bayern und im Pokal bei Bayer Leverkusen hatte es an fehlender Cleverness gelegen, dass bei diesen ansehnlichen Auftritten nicht mehr herausgekommen war.

Nach dem 3:1 gegen Wolfsburg sagte Augustinsson, man habe nicht so gut gespielt wie in München und Leverkusen, dafür erfolgreicher. "Es war ein cleverer Sieg", bestätigte Kohfeldt.

© SZ vom 13.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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