Brasilien:Eine Sache des Vertrauens

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Wegbereiter: Philippe Coutinho feiert seinen ersten Treffer für Brasilien beim 3:0 im Auftaktspiel gegen Bolivien. (Foto: Ueslei Marcelino/Reuters)

Für den verletzten Neymar übernimmt Coutinho bei der Südamerika-Meisterschaft Brasiliens Kreativzentrum.

Von Javier Cáceres

An der rechten Halsseite von Philippe Coutinho, 27, geht ein feiner Tintenstrich hoch, der sich, wenn der Betrachter den Kopf etwas nach links neigt, leichter entziffern lässt als andere Fußballer-Tätowierungen. "Coragem" hat jemand dem brasilianischen Nationalspieler in die Haut gebrannt, das portugiesische Wort für: Mut. Kurios, diese auf ewig angelegte, nur unter Schmerzen zu tilgende Erinnerung an die Courage: Es gibt ja Menschen, die Coutinho mitunter nachsagen, es mangele ihm genau daran. Andererseits: Am Freitag, beim Eröffnungsspiel der diesjährigen Copa América, zeigte er gegen Bolivien ebendies - Mut.

Kurz nach der Pause trat er zum Elfmeter an und verwandelte diesen sicher (50.), nachdem es in der Nachspielzeit der ersten Hälfte im Estádio Morumbi von São Paulo deutlich vernehmbare Pfiffe gegeben hatte. Wenige Minuten danach traf er per Kopf zum zwischenzeitlichen 2:0, ehe Everton mit einem Traumtor den 3:0-Endstand herstellte (85.). "Das war ein guter Start in die Copa América", sagte der introvertierte, künstlerisch veranlagten Coutinho, ohne auch nur den Anflug eines Lächelns zu zeigen. Das tat er erst später, als ihm gesagt wurde, er habe eher fachfremd per Kopf getroffen. "Mir tut der Kopf auch ganz schön weh", juxte er nach seinem 50. Länderspiel.

Ansonsten entsprach seine Miene aber der Lage. Denn: Die Südamerikameisterschaft stellt Coutinho vor eine besondere Herausforderung, die bei ihm Ernsthaftigkeit hervorruft. Die Nachricht von der Verletzung Neymars, der wegen eines Bänderrisses im Sprunggelenk kurzfristig für das Turnier absagen musste (und sich nun ganz dem Kampf gegen die Vergewaltigungsvorwürfe eines Models widmen kann), lenkte all die Scheinwerfer der gastgebenden Brasilianer auf Coutinho.

In Barcelona konnte Coutinho seine Ablöse nicht rechtfertigen

Schon vor einem Jahr war das so gewesen, vor der Weltmeisterschaft in Russland 2018 stand wegen eines Mittelfußbruchs infrage, ob Neymar überhaupt an der WM teilnehmen könne. Er schaffte es zwar bis nach Russland, doch das kreative Zentrum des Spiels war Coutinho; er schoss dort zwei Tore und bereite zwei weitere vor. Am Freitag, in São Paulo, überzeugte Coutinho zwar nicht so wie zu Beginn der Russland-WM. Aber er übernahm gegen die Bolivianer durchaus Verantwortung, exemplarisch demonstriert durch den Elfmeter. Er verstehe nicht, warum das verwundere, sagte Brasiliens Kapitän Dani Alves: "Couto macht das schon lange."

Überhaupt ergoss sich der Rechtsverteidiger in Elogen auf den Spielgestalter der Seleção. "Er ist ein Phänomen. Er ist unsere Referenz, vor allem jetzt, ohne Neymar. Er braucht nur Vertrauen, um diese Rolle ausfüllen zu können", versicherte Alves.

So gesehen hat der umstrittene Nationaltrainer Tite ganze Arbeit geleistet. Denn die Saison beim FC Barcelona war für Coutinho sowohl nach Ergebnissen wie emotional so verbesserungswürdig, dass er wohl aufgerichtet werden musste. Im Camp Nou konnte er nur selten daran erinnern, warum der Verein zum Jahreswechsel 2016/17 einen Betrag jenseits der 160 Millionen Euro nach Liverpool überwies. Aus dem Geraune auf den Rängen wurden rasch Pfiffe, die Coutinho so tief in der Seele trafen, dass er eine infantile Antwort lieferte. Beim Champions-League-Spiel gegen Manchester United erzielte er ein großartiges Tor und reagierte auf den Applaus von den Rängen mit passiver Aggression. Er hielt er sich die Ohren zu, als wollte er sagen: Nach den Pfiffen braucht ihr mir mit Lob nicht zu kommen. Spätestens seit jener Episode stehen die Zeichen auf Trennung.

Eingeweihte berichten, dass Coutinho seinem Manager auftrug, bei Barcelonas Vereinsführung seinen endgültigen Wechselwillen zu hinterlegen. Nur: Sein exorbitanter Preis und sein beachtliches Gehalt schränken die Optionen ein. Manchester United zeigte Interesse. Aber vor dieser Möglichkeit schreckt Coutinho zurück, da er noch immer Bande nach Liverpool hat, in seiner Freizeit oft im Privatjet hinfliegt. Da geht man nicht so einfach zum Erzfeind der "Reds". Der FC Chelsea soll erwogen haben, ihn als Ersatz für den soeben nach Madrid abgewanderten Belgier Eden Hazard zu holen; der spülte mehr als 80 Millionen Euro in die Kasse. Aber an der Stamford Bridge käme Coutinho kaum auf die angeblich 12 Millionen Euro netto, die er bei Barça verdienen soll. Jährlich, versteht sich.

Bliebe Paris Saint-Germain - doch um das Verhältnis zwischen dem Klub des deutschen Trainers Thomas Tuchel und dem FC Barcelona ist es nicht zum Besten bestellt, seit PSG den Stürmer Neymar im Sommer 2017 für 222 Millionen Euro in der katalanischen Hauptstadt ablöste. Dort freut man sich, wie zu hören ist, an guten Leistungen Coutinhos bei der Copa América, noch mehr als die Brasilianer. Denn mit jeder guten Szene, und jedem guten Tor erholt sich Coutinhos zuletzt gefallener Marktpreis.

© SZ vom 17.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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