Boxen:Zwei Onkel beim Grillfest

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Bart ab und Bäuchlein wegtrainiert: Die früheren Box-Weltmeister Mike Tyson (links) und Roy Jones können immer noch austeilen. (Foto: Joe Scarnici/Afp)

Immerhin: Beim Kampf der gealterten Recken Mike Tyson und Roy Jones hat sich keiner blamiert.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Um diesen Boxkampf zwischen Mike Tyson, 54, und Roy Jones junior, 51, zu erklären, konnte es am Ende helfen, an Oscar Wilde zu denken, den großen Erklärer der menschlichen Psyche. Er hat der Welt folgende wunderbaren Sätze geschenkt in seinem Roman "Das Bildnis des Dorian Gray": "Sie haben nur ein paar Jahre, wo Sie wahrhaftig vollkommen, restlos leben können. Indem Ihre Jugend verrauscht ist, nimmt sie die Schönheit mit, und dann werden Sie plötzlich entdecken, dass Ihrer keine Siege mehr warten, oder dass Sie sich mit jenen traurigen Siegen werden begnügen müssen, die Ihnen die Erinnerung an die Vergangenheit bitterer machen wird als Niederlagen."

Von einem Unentschieden schreibt Oscar Wilde nichts. Das ist schade, weil man den Rat des irischen Schriftsteller dringend bräuchte nach diesem, nun ja, Kampf im Staples Center in Los Angeles, den man auch "längste Umarmung in der Geschichte des Boxens" nennen könnte. Hin und wieder ließen die zwei in die Jahre gekommenen Akteure ihr Können aufblitzen: der linke Doppel-Haken von Tyson, zum Beispiel, oder die Links-Rechts-Links-Kombinationen von Jones, aber gut: Lothar Matthäus zwirbelt beim Benefizspiel auch hin und wieder den Ball in den Winkel. Ansonsten tanzten sie innig durch den Ring und atmeten schon ab Runde zwei schwer.

Ein Unentschieden also, warum auch nicht? Es ging um rein gar nichts in diesem Kampf; außer, dass zwei ehemalige Boxer es sich selbst noch einmal beweisen wollten und viel Geld eingesammelt haben für sich selbst und für wohltätige Zwecke. "Ich dachte, dass ich gewonnen hätte, aber ein Unterschieden ist schon okay", sagte Tyson, der sich zu Bestzeiten nach so einem Kampf und so einem Urteil (er war der bessere, aktivere Akteur) wohl selbst ins Ohr gebissen hätte. Jones lobte Tyson und damit indirekt sich selbst: "Egal, wo er dich trifft: Kopf, Körper, alles tut weh. Der ist so stark, dieses Unentschieden geht schon in Ordnung." Mister Wilde, was nun?

Vielleicht so: Man darf nicht über den Sinn dieser Veranstaltung debattieren. Unvernünftig, klar, aber Tyson ist auch deshalb eine Legende, weil er ein unvernünftiges, wahnwitziges Leben geführt hat. Deshalb fasziniert er die Leute, und Tyson im Ring ist wie James Bond im Flugzeug oder Ozzy Osbourne auf der Bühne: Egal, was passiert - man will es sehen. 50 Millionen Dollar hat Warner-Bros-Pictures-President Ryan Kavanaugh für die Rechte bezahlt, er wollte damit in den USA das soziale Netzwerk Triller bekannter machen, an dem er über seine Investmentfirma die Mehrheitsanteile hält. Die Amerikaner bezahlten 50 Dollar, um den Kampf zu sehen, in Deutschland waren es 20 Euro bei Sky.

Warum man Geld ausgibt für so ein Duell? Nun, haben nicht viele Leute während der Corona-Ausgangssperre die grandiose Doku-Serie "The Last Dance" über die Chicago Bulls der 90er Jahre geschaut? Haben sie danach nicht ihre Kollegen von einst angerufen - egal, ob das Fußball-Kreisliga war, regionale Turn-Meisterschaften oder Profi-Schwimmen? Und haben nicht viele vereinbart, sich möglichst bald zu treffen und vielleicht noch einmal miteinander oder gegeneinander zu spielen? Wegen der guten alten Zeit, in der alles besser war, weil man selbst besser war?

Tyson und Jones waren auf den jeweiligen Höhepunkten ihrer Laufbahnen die zweifelsohne Besten der Welt, wer kann das von sich behaupten? Sie haben in Los Angeles gegeneinander geboxt, acht Runden à zwei Minuten, mit besser gepolsterten Handschuhen. Das ist so üblich beim Altherren-Boxen - und das war es ja auch. Rapper Snoop Dogg, im US-Fernsehen der Co-Kommentator, sagte schon während der ersten Runde: "Das sieht aus wie meine beiden Onkels bei einer Schlägerei beim Grillfest." Genau so war es, obwohl Jones vor dem Kampf geprahlt hatte, dass er bereit sei, bei diesem Kampf zu sterben.

Das war freilich übertrieben, doch würden wir nicht alle bei einem Duell mit den Tennis-Rivalen von einst noch einmal an diese Grenze gehen, die wir nur wegen diesen Rivalen erreichen, und würden wir nicht auch lieber Schmerzen ertragen, statt zu verlieren? Deshalb zur Entwarnung: Beide überlebten den Kampf. Und sie sahen danach vitaler und lebendiger aus als bei den Pressekonferenzen vor einigen Monaten, als sie mit Bäuchlein und grauen Bärten erklärten, noch einmal boxen zu wollen für eine Börse von zehn (Tyson) und drei Millionen Dollar (Jones).

Nun standen zwei Männer im Ring, sie wirkten erschöpft, aber sie wirkten auch glücklich und zufrieden.

Es war von vornherein klar, dass es kein Klassiker werden würde, und der Schlüssel zu einem glücklichen Leben sind niedrige Erwartungen. Die Leute gucken Profisport aus zwei Gründen: Sie wollen sehen, wie jemand etwas leistet, das ein Mensch nicht zu leisten imstande sein sollte. Und natürlich weil sie nicht wissen, wie es ausgeht. Ein Unentschieden war dann tatsächlich überraschend, obwohl man es wirklich hätte kommen sehen müssen.

So geschah, was passiert wäre, hätte ein Hollywood-Produzent das Drehbuch geschrieben. Beide durften zeigen, wie erstaunlich austrainiert sie sind. Beide durften vergangene Erfolge feiern, es hatte eine 16-teilige Dokuserie gegeben. Keiner wurde blamiert, wie es beim Kampf davor dem einstigen NBA-Star Nate Robinson passierte, der von You-Tube-Star Jake Paul in den Ringstaub geschickt worden war. Und beide können nun sagen, dass sie den (bislang) letzten Kampf ihrer Karriere nicht verloren haben. Besser geht's nicht.

Vielleicht haben Mike Tyson und Roy Jones gar nicht geboxt, um noch einmal alte Erfolge und vergangenen Ruhm zu erleben. Vielleicht wollten sie sich vergewissern, dass ihre Gegenwart auch nicht schlecht ist. Ein Unentschieden ist das perfekte Ergebnis, um die Erinnerung an frühere Siege nicht so schlimm werden zu lassen. Hätte Oscar Wilde das mal Dorian Gray geraten.

© SZ vom 30.11.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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