Boxen:Mit Hüftschwung auf die große Bühne

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"Ich bin erwachsen geworden, ich bin nicht mehr so voreilig": James Kraft, Boxer. (Foto: Torsten Helmke/Imago)

Der Waldkraiburger Halbschwergewichtsboxer James Kraft fordert am Samstag in Hamburg den fünfmaligen Weltmeister Felix Sturm heraus. Dabei hofft der 24-Jährige, dass ihm sein tänzelnder Stil Vorteile bringt.

Von Benedikt Warmbrunn, Hamburg/München

Das Leben ist für James Kraft ein Tanz. Er tanzt beim Kochen. Er tanzt beim Duschen. Er tanzt vor dem Sport und nach dem Sport und manchmal tanzt er auch eine ganze Sporteinheit lang, am liebsten zu albanischer Musik. "Wo Musik läuft, hole ich meinen Hüftschwung raus", sagt Kraft. Manchmal tanzt er aber auch, wenn keine Musik läuft. Nämlich dann, wenn er einen Boxring betritt.

Der Tänzer und der Boxer, findet Kraft, bewegen sich gar nicht so unterschiedlich, "es geht zunächst einmal um die Schritte", erklärt er, "wer einen Salsa-Tänzer sieht, kann da schon eine Ähnlichkeit zum Boxer erkennen". Dann geht es weiter mit den Beinen, auf der Tanzfläche und im Boxring "arbeitest du unglaublich viel mit den Beinen", aber da endet es nicht, sondern erst, sagt Kraft, mit einem "leichten, lockeren Hüftschwung". Füße, Beine, Hüfte, so arbeitet sich bei beiden, Tänzer und Boxer, die Energie im Körper nach oben, ein guter Tänzer nutzt sie weiter für einen beweglichen Oberkörper, und ein guter Boxer geht noch ein bisschen weiter mit dem Schwung: Dann bündelt sich all die Energie in einem Schlag.

Ein tänzerischer Boxer muss nicht immer ein erfolgreicher Boxer sein, fast nie aber schadet es, und James Kraft ist vor seinem nächsten Kampf im Halbschwergewicht sogar davon überzeugt, dass das Tänzelnde so wichtig werden kann wie nie zuvor in seiner Karriere.

Sturm ist der Favorit, auch wegen seiner Routine. Aber Kraft ist 18 Jahre jünger - und "schnell auf den Beinen"

An diesem Samstag tritt Kraft zum 21. Kampf seiner Karriere an, sein Gegner in Hamburg ist Felix Sturm, der fünfmal Weltmeister war, der immer noch einer der bekanntesten Boxer Deutschlands ist, der auch in diesem Kampf der Favorit sein wird. Sturm ist ein technisch starker Boxer, der variabel kämpfen kann, der eine sichere Defensive hat, gegen Kraft zählt auch seine Routine, dass er mit all seiner Erfahrung Situationen im Ring besser einschätzen kann. Aber das mit der Routine, das könnte für Sturm auch ein Nachteil sein: Er ist 42 Jahre alt, 18 Jahre älter als Kraft. Und er war noch nie ein Boxer, der zu den allerschnellsten gehört hat. Kraft sagt sogar: "Er ist langsam auf den Beinen - ich bin schnell auf den Beinen." Aber Sätze wie dieser gehören zur Psychotaktik vor einem Kampf, um den Gegner zu verunsichern, vor allem aber auch, um sich selbst stark zu reden.

Kraft, der in Waldkraiburg aufgewachsen ist und im Gym von Profi-Weltmeister Robin Krasniqi in Augsburg trainiert, ist groß geworden mit den Kämpfen von Sturm im Fernsehen; auf den Arm hat er sich "ALL 4 MOM" tätowieren lassen, auch auf seine Hosen hat er es sich schon sticken lassen. "Das habe ich von Felix Sturm", sein Gegner vom Samstag war einst selbst mit dieser Aufschrift auf einem Stirnband in den Ring gelaufen. Kraft respektiert den Boxer Sturm, unterschätzen wird er ihn nicht. Er weiß aber auch, was für eine Chance dieser Kampf ist, wahrscheinlich die größte seiner Karriere. Sturm hat für den Herbst bereits einen Kampf gegen Vincent Feigenbutz ausgemacht, der Gewinner dieses Duells soll um eine WM antreten dürfen. Besiegt Kraft also Sturm, kommt er selbst einem großen Titelkampf näher, er wäre auch über die eigene Branche hinaus auf einmal bekannt. Um zu gewinnen, muss der Jüngere den Kampf allerdings womöglich vorzeitig beenden, nach Punkten dürfte er es schwer haben. Wegen Sturms Routine und auch, weil die Punktrichter in knappen Runden wohl eher für Sturm werten werden. Denn so läuft das im Preisboxen: Bevorzugt wird derjenige, der später das größere Geld verspricht.

"Ich war ein kleiner Psychopath", sagt Kraft, der in Waldkraiburg aufgewachsen ist und in Augsburg trainiert

Im Boxen profitiert allerdings nicht immer nur der Gewinner, auch Felix Sturm hat das einmal erfahren, im Sommer 2004, als er gegen den weltberühmten Oscar De La Hoya der bessere Mann war, aber dennoch verlor, sehr umstritten. Sturm war nach dieser Niederlage, die eigentlich keine war, anerkannt in der Branche, er hatte viele weitere gute Chancen, die meisten nutzte er (ehe es in den vergangenen Jahren nur noch um Steuerhinterziehung und Doping-Vergehen ging; Sturm saß sogar in Untersuchungshaft). Und so könnte auch für James Kraft gegen den zwar nicht weltberühmten, aber dennoch bekannten Felix Sturm selbst eine Niederlage ein Sieg sein - dann, wenn über ein Punkturteil gestritten werden kann, wenn Kraft es in mehreren Runden schafft, das Geschehen zu bestimmen. Was wieder zurück zu seinen Fähigkeiten als Tänzer führt.

Als der heute ja immer noch junge James Kraft ein sehr junger Boxer war, da waren seinen Auftritten zwei Sehnsüchte anzusehen: Er wollte im Ring nicht nur ein Boxer sein, sondern auch ein Entertainer. Und am liebsten wollte er Unterhaltung im Schnelldurchlauf bieten. "Ich war ein kleiner Psychopath", sagt Kraft heute, "ich wollte rein, jung und dynamisch, und dann wollte ich wieder raus." Doch je älter er wurde und je besser seine Gegner, umso mehr spürte er, dass dies nicht der richtige Ansatz war. "Ich bin erwachsen geworden, ich bin nicht mehr so voreilig." Es darf jetzt auch mal ein bisschen länger dauern.

Der erfahrene Sturm versteht es, sich auch mal bei einer wilden Attacke hinter seiner Doppeldeckung zu verstecken, Kraft muss also agil bleiben, er muss sich so um ihn herumbewegen, wie er es auch sonst im Leben macht: wie ein Tänzer. Mal vor, mal zurück, mal nach links, mal nach rechts, dazu schnelle Schläge, die den Kampf vielleicht nicht vorzeitig beenden, die Sturm aber hilflos aussehen lassen. "Wir wollen einfach nur boxen, das ist unser Ansatz", sagt Kraft. Er muss jetzt alles sein: jung, dynamisch - und geduldig. Kraft sagt: "Ich bin bereit, ich will jetzt endlich nur noch in den Ring und Spaß haben."

Und sollte er dann noch ab und zu seinen Hüftschwung rausholen, würde ihm das sicher auch nicht schaden.

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