Boxen: Manny Pacquiao:Die Hoffnung einer Nation

Lesezeit: 4 min

Der weltweit beste Boxer Manny Pacquiao ist in seiner philippinischen Heimat ein Volksheld. An seinem Werdegang lässt sich die Situation einer ganzen Nation erklären.

Jürgen Schmieder

Wenn Emmanuel Dapidran Pacquiao am Samstagabend den Ring betreten wird, um im Stadion der Dallas Cowboys gegen Antonio Margarito um die Weltmeisterschaft im Superweltergewicht anzutreten, dann dürfen sich die Polizisten in der philippinischen Hauptstadt Manila ein wenig ausruhen. Wenn "Manny" Pacquiao boxt, dann sinkt die Kriminalitätsrat in einer der gefährlichsten Metropolen weltweit um mehr als 60 Prozent, weil selbst böse Buben gebannt vor dem Fernseher sitzen.

Manny Pacquiao besiegte im Jahr 2008 Oscar De La Hoya durch technischen K. o. nach der achten Runde. (Foto: Steve Marcus/AP)

Pacquiao sieht dem Kampf pragmatischer entgegen: "Wie so viele Pinoys arbeite ich im Ausland, damit es den Menschen in der Heimat besser geht", sagt er. Pinoy ist der Spitzname, mit dem Filipinos sich selbst bezeichnen, und fast jede Pinoy-Familie hat so ein Mitglied wie Manny Pacquiao - jemanden, der seine Liebsten verlässt, um seine Liebsten zu retten. Etwa zehn Prozent des Bruttoinlandsproduktes stammen vom im Ausland lebenden Filipinos, die Geld in die Heimat überweisen. Sie arbeiten als Putzfrauen, Ärzte, Köche, aber auch als Prostituierte und Ehefrauen, die aus einem Katalog bestellt werden. "Ich bin eben Boxer", sagt Pacquiao, und fügt auf Tagalog - der am weitesten verbreiteten Sprache auf dem Archipel - hinzu: "Di ako bobo." Ich bin nicht dumm.

Pacquiao ist nicht nur ein Volksheld auf den Philippinen, an seinem Werdegang lässt sich die Situation einer ganzen Nation erklären. Vor 31 Jahren wurde er auf Mindanao geboren, jener Insel, die bekannt ist für den Guerillakrieg zwischen Christen und Muslimen und die außerordentlich hohe Kriminalitätsrate. Wie seine fünf Geschwister verkaufte er an der Straße Snacks und Schmuckstücke, dazu nahm er jede Woche an einem Bukbukanay teil - das ist ein Kampf, der einer Rauferei ähnlicher ist als dem Boxen. Pro Sieg gab es 100 Pesos, das sind weniger als zwei Euro.

Im Alter von 13 Jahren flog er von der Highschool - nicht weil seine Leistungen zu schlecht gewesen wären, vielmehr konnte seine Mutter das Schulgeld nicht mehr bezahlen. Also beschloss Pacquiao, von zu Hause wegzugehen und anderswo Geld zu verdienen. Er reiste in die Hauptstadt Manila und verdingte sich als Hilfsarbeiter, in seiner Freizeit nahm er an mehr oder weniger legalen Boxkämpfen teil, bei denen nicht selten einer starb. Pacquiao sah ein, dass er mit diesen Kämpfen seiner Familie nicht weiterhelfen köne. Di ako bobo.

Er wurde 1995, im Alter von 17 Jahren, professioneller Boxer. Er kämpfte sich in Südostasien nach oben, im Juni 2001 bekam er dann die Chance seines Lebens: Weil der Gegner von Lehlohonolo Ledwaba kurz vor dem Kampf abgesagt hatte, durfte Pacquiao in Las Vegas um die Weltmeisterschaft im Bantamgewicht boxen - und gewann durch K. o. in der sechsten Runde.

In den folgenden neun Jahren gewann er Titel um Titel, er besiegte namhafte Gegner wie Oscar De La Hoya und Ricky Hatton, seine Börse stieg auf bis zu 15 Millionen Dollar pro Kampf. Am Samstag werden in der Arena in Arlington mehr als 80.000 Zuschauer erwartet, sollte er gegen Margarito siegen, dann wäre das Superweltergewicht die achte Gewichtsklasse (vom Fliegengewicht bis zum Superweltergewicht), in der er sich den Gürtel des Titelträgers umschnallen dürfte. Seine Profikarriere startete er mit 49 Kilogramm, mittlerweile bringt er 69 Kilo auf die Waage. "Das wäre mir wichtig, weil mich die Leute dann auf die Liste der Boxlegenden setzen müssen", sagt Pacquaio.

Neben der Forderung, ihn niemals als dumm zu bezeichnen, ist die Gier nach Respekt die herausragende Eigenschaft des philippinischen Boxers.

Boxen: Klitschko siegt
:Er fällt einfach nicht um

Vitali Klitschko verteidigt in Hamburg zwar seinen WM-Gürtel - der ersehnte K.o.-Sieg gelingt ihm jedoch nicht. Dafür ist sein Gegner Shannon Briggs einfach zu zäh. In Bildern.

Wer einen Kampf von Pacquiao betrachtet, der wird nicht umhinkommen, die Fernbedienung zu prüfen, ob nicht der Schnellvorlauf eingestellt ist. Der 1,70 Meter große Rechtsausleger bewegt sich schnell um seine Gegner und schlägt dann nicht nur Kombinationen, sondern Kombinationen von Kombinationen. Sein Trainer Freddie Roach, mit dem Pacquiao seit neun Jahren arbeitet, beschreibt seinen Stil so: "Er schlägt eine Kombination - und wenn du denkst, er hört jetzt auf, dann schlägt er einfach weiter."

Wahlkampf auf den Philippinen: Manny Pacquiao mit seiner Frau Jinkee (links) und seiner Mutter Dionesia (rechts). (Foto: AFP)

Er gilt derzeit als der über die Gewichtsklassen hinweg beste Boxer der Welt. Die amerikanischen Box-Journalisten haben ihn zum "Kämpfer des Jahrzehnts" gewählt, das Magazin The Ring in den vergangenen vier Jahren drei Mal zum "Kämpfer des Jahres".

Seit kurzem indes wird Pacquiao mit Vorwürfen konfrontiert, leistungsfördernde Mittel einzunehmen. Der Kampf gegen Floyd Mayweather jr., bei dem die jeweiligen Promoter Anfang des Jahres eine Rekordbörse von insgesamt 80 Millionen Dollar verhandelt hatten, kam deshalb nicht zustande, weil Pacquiao sich weigerte, den von Mayweather geforderten Dopingtests der Antidoping-Agentur Wada zuzustimmen. "Vier Wochen vor einem Kampf Blut abzugeben würde meinen Körper schwächen", sagt Pacquiao. Eine abenteuerliche Begründung, wegen der der höchstdotierte Kampf aller Zeiten vorerst platzte.

Seitdem muss sich Pacquiao immer wieder gegen Vermutungen wehren, seine unnatürliche Schnelligkeit sei tatsächlich unnatürlich. "Ich bin verärgert über die falschen Anschuldigungen, dass ich Dopingmittel benutzt hätte", sagt Pacquiao, der bislang weder im Training noch nach Kämpfen positiv getestet wurde. "Meine Anwälte werden Klage erheben und meinen Namen reinwaschen."

Es wäre die traditionelle Geschichte vom Aufstieg aus dem Nichts zum Weltmeistertitel, wäre Pacquiao nur Boxer. Doch er ist mehr - und will noch viel mehr sein. Der Filipino Rolando Navarrete etwa war in den achtziger Jahren Weltmeister im Superfedergewicht, nun verkauft er unweit von Pacquiaos Villa Fische. So möchte Pacquiao nicht enden. Di ako bobo.

Er schickt nicht einfach nur Geld zurück in die Heimat - bei einem seiner letzten Kämpfe gab er etwa 600.000 Euro dafür aus, dass die Auseinandersetzung überall auf den Philippinen zu sehen war -, sondern engagiert sich. Er investiert Millionen Dollar in den Aufbau der Infrastruktur auf Mindanao. Nach einer Naturkatastrophe, in seiner Heimat wahrlich keine Seltenheit, unterbricht er schon einmal das Training, um persönlich zu helfen. Er lässt sich nicht medienwirksam beim Säckeschleppen ablichten, sondern packt auch dann mit an, wenn keine Kamera in der Nähe ist.

Pacquiao möchte etwas verändern in seiner Heimat, in der so vieles im Argen liegt. Er will Politiker sein. Vor drei Jahren kandidierte er für das Repräsentantenhaus - und verlor. Seine Gegnerin sagte damals bescheiden: "Die Menschen sind noch nicht bereit, Manny Pacquiao als Boxer zu verlieren." Eine andere Begründung für die Niederlage lautete: Die Menschen auf den Philippinen wissen, dass die meisten Politiker korrupt sind, und sie wollen nicht, dass der integre Pacquiao so endet.

In diesem Jahr kandidierte er erneut und gewann überzeugend, weil er vor der Wahl angab, auch bei einem Erfolg weiter boxen zu wollen und sich nicht in das politische System pressen zu lassen. "Di ako bobo", sagte er. Für die Vorbereitung auf den Kampf gegen Margarito ließ er eine Trainingshalle neben dem Parlament errichten. "Ich möchte beide Aufgaben gewissenhaft erfüllen", sagt Pacquiao. Er weiß, dass dieses Land ihn braucht - oder wie es sein Promoter Bob Arum formuliert: "Auf den Philippinen gibt es zahlreiche Probleme, aber auch das beste Sozialhilfesystem der Welt. Es heißt Manny Pacquiao."

© sueddeutsche.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: