Boxen:Die fetten Jahre bei Sauerland sind vorbei

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Wilfried Sauerland führte mit Henry Maske (li.) das Boxen in die Mitte der Gesellschaft. (Foto: Horstmüller/imago)
  • Der frühere Box-Weltmeister Jürgen Brähmer wirft dem Promoter Wilfried Sauerland vor, Rechnungen falsch ausgestellt und verspätet überwiesen zu haben.
  • Der Beschuldigte räumt Fehler ein und versichert, alle Forderungen beglichen zu haben.
  • Der 78-Jährige, der einst viel Geld mit dem Boxen verdient hat, will sich nun wieder intensiver um seine Geschäfte kümmern, um sein Lebenswerk zu retten.

Von Benedikt Warmbrunn, München

Den größten Kampf seiner Karriere bestritt der Boxer Jürgen Brähmer am 22. August 2009 in Budapest. Gegen den Polen Aleksy Kuziemski hatte er anfangs Schwierigkeiten, irgendwann fand er seine Linie, er schlug harte Hände, wieder und wieder, er zauberte nicht, aber er arbeitete hart und unnachgiebig. Es war der Kampf seines Lebens, weil es ein Kampf war wie sein Leben. Brähmer siegte vorzeitig in der elften Runde, drei Monate später war er Weltmeister.

Brähmer war Junioren-Weltmeister bei den Amateuren, er war zweimal Weltmeister bei den Profis, von 52 Kämpfen gewann er 49, in diesem Jahrzehnt war kein deutscher Boxer so erfolgreich wie er. Doch der größte Kampf des Boxbegeisterten Jürgen Brähmer hat gerade erst begonnen. Es ist ein Kampf für die Gerechtigkeit.

Seit Februar 2013 hat Brähmer für das Team Sauerland geboxt, es war eine Zusammenarbeit, von der beide Seiten profitierten. Brähmer bekam mit Mitte 30 noch einmal die Chance, Weltmeister zu werden, und indem Sauerland einen Weltmeister im Programm hatte, verdiente das Team noch einmal gutes Geld. Doch über seinen früheren Arbeitgeber sagt Brähmer nun: "Der Zustand bei Sauerland Event ist mehr als schlecht. Um ihn darzustellen, müsste ich eigentlich die Sprache aus der Trainingshalle verwenden."

Brähmer, 39, der inzwischen nur als Trainer des 13 Jahre jüngeren Tyron Zeuge arbeitet, wirft Sauerland vor, dass Geld zu spät überwiesen wurde, dass Versprechen nicht eingehalten wurden, dass Boxer vernachlässigt wurden. Er sagt: "Jeder weiß, dass sie dem Boxsport, wenn sie so weiter machen, nur noch mehr schaden. Aber keiner traut sich, sich gegen sie zu stellen. Aber mir reicht es jetzt. Ich habe lange stillschweigend viele Umstände hingenommen, weil mir der Sport am Herzen liegt und mir tausendmal Versprechungen gemacht wurden, was sich alles ändert."

Jahrelang, sagt Brähmer, habe er intern angemahnt, dass sich das Team anders aufstellen müsse, in den vergangenen Monaten hielt er seine Kritik nicht mehr ganz so geheim. Angefangen hatte es damit, dass Zeuge im Frühjahr seinen Vertrag gekündigt hatte - was Sauerland nicht akzeptierte. Richtig laut formulierte Brähmer seine Wut erstmals Mitte Juli in Offenburg. Zeuge hatte gegen Rocky Fielding seinen WM-Titel im Supermittelgewicht verloren, die Schuld sah Brähmer bei Sauerland. Erst Anfang Juni sei der Vertrag fertig gewesen, das sei zu wenig Zeit für die Vorbereitung - Brähmer schimpfte über einen "Saftladen". Irgendwann flog eine Flasche, die Sauerlands warfen Brähmer vor, dass er sie gezielt nach dem früheren Geschäftsführer und jetzigen Berater Frederick Ness geworfen habe. Brähmer teilte schriftlich mit: "Es kann keine Rede davon sein, dass ich auf einen der Beteiligten gezielt geworfen habe. Wenn ich ziele, treffe ich."

Sauerland komme den Zahlungsverpflichtungen nicht nach, behauptet Brämer

Anfang August sitzt Brähmer in einem Ferienhaus an der Ostsee, er brüllt in sein Telefon, so sehr ärgert er sich über Sauerland. "Die ganz großen Probleme sind die extreme Unzuverlässigkeit, die mangelnde Kommunikation und das Nicht-Einhalten von Absprachen, mündlich wie schriftlich. Ich habe den Eindruck, dass an jeder Ecke versucht wird, den Boxern ein bisschen mehr Geld aus der Tasche zu ziehen, über Managerleistungen bis hin zu Trainingskosten." Brähmer, der eine Forstwirtschaft betreibt, der Ferienanlagen baut, der mit einer Controllerin verheiratet ist, geht dann sehr ins Detail, er beschwert sich über formale Fehler auf Rechnungen, über fehlende Quittungen, alles habe er erst auf Nachfrage erhalten. Er sagt: "Sie kommen ihren eigenen, sich selbst auferlegten Zahlungsverpflichtungen nicht nach." In Offenburg habe es für Zeuge zudem keinen Sicherheitsdienst gegeben, das habe den ohnehin verunsicherten Boxer weiter verwirrt.

Das Boxen ist eine geschwätzige Branche, unter Managern geht es auch darum, wer mit wem wie hart gefeiert hat; im Zweifel sind das Informationen, die bei Deals helfen. Nachdem Brähmer geschimpft hatte, mehrten sich die Stimmen, die - verdeckt - von ähnlichen Erfahrungen berichten. Boxer klagen, dass sie ihr Geld später als vereinbart erhalten haben, teilweise geht es um knapp 1000 Euro. Von nicht eingehaltenen Versprechen berichten viele, es geht um Kampftermine oder um Titel, zu denen es nie gekommen ist. Auch Partner erzählen von Unzuverlässigkeiten, dass Terminvorschläge monatelang unbeantwortet geblieben sind. Langjährige Mitarbeiter klagen über schlechte Umgangsformen auf der Geschäftsstelle. "Zurzeit weiß niemand, wer den Durchblick hat", sagt Brähmer. All dies fügt sich zum Bild eines Boxstalles, der unter großen Schwierigkeiten in der Gegenwart ankommt.

Die Lebensleistung von Wilfried Sauerland, dem Gründer des Teams, ist es, dass er das Profiboxen in Deutschland aus dem Rotlichtmilieu in die Mitte der Gesellschaft gezogen hat. Dem Publikum präsentierte er anständige Kerle wie Henry Maske oder Axel Schulz, die Kämpfe sahen bis zu 18 Millionen Menschen. Irgendwann finanzierte die ARD das Boxteam, teilweise mit mehr als 10 Millionen Euro pro Jahr. Doch je länger der Vertrag mit der ARD lief, so berichten Eingeweihte, umso mehr sei das Team davon ausgegangen, dass alles "ohnehin ein Selbstläufer" sei. In den Städten wurde kaum Werbung gemacht, die Hallen waren nicht voll, das Niveau der Kämpfe ließ nach. Bei der ARD vermissten sie ein Konzept für die Zukunft, sie klagten über Streit im Team Sauerland. Der Vertrag lief aus, Sauerland wechselte zu Sat.1. Der Sender zahlt weniger als die ARD, aber immer noch gut. Doch auch dort änderte sich nichts. Die Hallen wurden kleiner, voll wurden sie nicht. Auch Sat.1 verlängerte den Vertrag nicht. Seit diesem Jahr überträgt der Nischensender Sport1.

Die höchste Kategorie, die sogenannten Highlight-Veranstaltungen, bringen laut Branchenkennern jetzt eine knappe halbe Million Euro an Einnahmen. Zu dieser Kategorie zählen WM-Kämpfe oder Kämpfe mit Arthur Abraham. Zurzeit aber hat Sauerland keinen Weltmeister, und Abraham, 38, hat seit Jahren kein großes Duell gewonnen - er verdient aber weiter pro Kampf einen gehobenen sechsstelligen Betrag. Für alle anderen Veranstaltungen erhält Sauerland eine niedrige sechsstellige Summe. Das Team, das jahrelang siebenstellige Summen pro Kampfabend einnahm, muss auf einmal sparen.

Wilfried Sauerland, 78, ist gerade in Tel Aviv, ein Krankenbesuch. Am Telefon klingt er erschöpft. Er kennt die Vorwürfe, er sagt: "Verzögerte Zahlungen hat es gegeben, ja. Wir müssen manchmal auf Geld von anderen Seiten warten, und wenn es dann um Summen von über einer Million Euro geht, können auch wir erst später zahlen." Er gesteht auch: "Wir hatten vor wenigen Wochen erst eine Veranstaltung, und da sind natürlich noch Zahlungen offen. Es hat es bei uns aber noch nie gegeben, dass jemand sein Geld nicht bekommen hat." Ende 2016 habe er 1,5 Millionen Euro investiert, Ende des Jahres wird er voraussichtlich noch einmal so viel einzahlen. Sauerland ärgert sich aber darüber, dass nur von ihm und seinen Mitarbeitern, allen voran seinen Söhnen Nisse und Kalle, erwartet werde, dass sie mit weniger Geld zurechtkommen, nicht aber von den Boxern. Brähmers Ärger erklärt er sich dadurch, dass Boxer wie Zeuge von ihren Börsen inzwischen selbst ihre Trainer und überhaupt ihre Vorbereitung bezahlen müssen.

Sauerland will einen Kaufmann einstellen

Sauerland, der viel Wert auf Manieren legt, versucht aber, sich den Vorwürfen zu stellen. Er sagt: "Wir haben vielleicht einen Fehler gemacht: Wir haben zu sehr die neue Superserie unterstützt." Im vergangenen Jahr gründete sich die World Boxing Super Series (WBSS), in der Boxer einer Gewichtsklasse in einem Turnier den Besten unter sich auskämpfen. Wichtigster Organisator der Serie: Kalle Sauerland, für viele einer der kreativsten Köpfe im Profiboxen. "Dadurch war Kalle total verschwunden, und einige Angestellte sind auch mitgegangen", sagt Vater Sauerland, "was an die WBSS an Erfahrung ging, das haben wir unterschätzt. Das konnten wir nicht immer auffangen." Wilfried Sauerland engagiert sich nun selbst wieder stärker in seinem Box-Team. Er will einen neuen Geschäftsführer einstellen, "einen Kaufmann"; er will eine Woche pro Monat persönlich in der Zentrale in Berlin anwesend sein. Er will, dass es sich wieder mehr anfühlt wie zu den Zeiten um die Jahrtausendwende. Gefragt nach einem neuen Konzept, wie Brähmer es fordert, erzählt Sauerland von den Anfängen mit Maske.

Einen "Neustart" sieht der Manager nun darin, dass er am Freitag den Vertrag von Zeuge gekündigt hat. Der Boxer darf sich selbst aussuchen, für wen er boxt. Sauerland hätte ihn weiter gerne im Team - allerdings ohne Brähmer. Der Boxer aber vertraut dem Trainer, nicht ausgeschlossen, dass ihm dieser bald die ganze Veranstaltung organisiert. Er habe das nie vorgehabt, sagt Brähmer, "ich muss nicht in der ersten Reihe sitzen, ich bin nicht gerne der große Zampano". Er sagt aber auch: "So wie es zurzeit im deutschen Boxen aussieht, fühle ich mich aber verpflichtet, mich zu engagieren und einzubringen."

Jürgen Brähmer glaubt, dass es nach all den Jahren bei Sauerland gerade ein guter Zeitpunkt ist, um im Boxen etwas Neues entstehen zu lassen.

© SZ vom 07.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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