Borussia Dortmund:Dortmund 3, Dornröschen 0

Lesezeit: 3 min

Abgehoben: Dortmunds Pierre-Emerick Aubameyang freut sich über sein 3:0 gegen Leverkusen, sein sechstes Tor im fünften Bundesligaspiel. (Foto: Martin Meissner/AP)

Auch gegen Leverkusen bringt der BVB seinen neuen Dominanz-Fußball souverän ins Ziel. Doch der Tabellenführer bleibt demütig.

Von Freddie Röckenhaus, Dortmund

Überschwang ist kein Begriff, den man sofort mit Thomas Tuchel in Verbindung bringt. 3:0 gegen Champions-League-Teilnehmer Bayer Leverkusen, Tabellenführung in der Bundesliga, fünf Siege, 18:3 Tore und in allen Pflichtspielen zusammen sogar elf Siege aus elf Spielen - Borussia Dortmund produziert gerade einen Superlativ nach dem anderen. Aber diese durchaus erstaunliche Siegesserie versetzt den Trainer anscheinend immer noch eher in stille Freude und Nachdenklichkeit als in unvernünftigen Euphorie.

Nein, nach der 1:0-Führung sei er nicht so zufrieden gewesen, kritisierte Tuchel stattdessen am Sonntagabend nach dem 3:0 gegen Leverkusen, sein Team habe "die Klarheit verloren" und erst nach einer Weile den "Passrhythmus wiedergefunden". Erst nach diesem Nasenstüber stimmte der Trainer in die Lobpreisungen für die aktuelle Form und die dominanten, mitunter glänzenden Auftritte seiner Elf ein und schwärmte ein bisschen von der "Schärfe in unseren Aktionen" - und davon, dass er "echte Wettbewerber" in der Mannschaft habe, "die diese Bühne wollen und brauchen, um sich auszudrücken".

Bayer hinkt plötzlich weit hinterher - Rudi Völler grantelt

Das Spiel gegen Leverkusen war als erste wirkliche Bewährungsprobe angesehen worden - Tenor: Bis dahin habe der BVB in der Liga und Europa fast ausschließlich gegen Underdogs oder kriselnde Gegner gewonnen. Als Dortmund dann auch über Leverkusen wie ein früher Herbststurm hinweggedonnert war, hatten viele das Gefühl, dass auch Bayer 04 nicht das richtige Kaliber war, um die tatsächliche Stärke des BVB seriös einschätzen zu können. Zu tief sitzt offenbar noch das Misstrauen nach den Erfahrungen der Vorsaison, als die personell beinahe identische Mannschaft im Winter auf dem letzten Platz lag und jeder zarte Aufschwung sogleich von der nächsten Pleite beantwortet wurde.

"Wir sind viel entschlossener und konsequenter als in der letzten Saison", findet Verteidiger Marcel Schmelzer; "wir sind viel besser im Abschluss", sagt Kollege Mats Hummels. Aber den meisten Dortmundern merkt man an, dass sie selbst noch nicht recht wissen, wie weit sie der Sache trauen sollen. Das Publikum sieht das naturgemäß anders: "Deutscher Meister wird nur der BVB" skandiert die Südtribüne wie im Rausch. "In zwei Wochen werden wir sehen, wie weit wir sind", kündigte Hummels schon mal an, denn am 4. Oktober tritt die Borussia in München an. Vielleicht ist das in dieser Saison tatsächlich der einzige wahre Gradmesser. Torjäger Pierre-Emerick Aubameyang hatte schon vor dem Sonntag angekündigt, er glaube "nicht, dass Bayern Meister wird". Er ließ offen, wer es stattdessen werden könnte.

Tatsächlich hätte Dortmund gegen die stärker eingeschätzten Leverkusener gut auch 5:0 gewinnen können, so dominant wirkte der BVB, so stabil, so wenig von den Zufälligkeiten des Spiels abhängig. Aber zugleich war nicht alles so makellos, dass man die Tuchel-Borussen schon als sicheren Bayern-Herausforderer einschätzen dürfte. Spielmacher Gündogan schwächelte über weite Strecken des Spiels, ebenso wie zuvor im Europa-League-Vergleich gegen Krasnodar. Und vorne erinnerten die vergebenen Chancen von Mkhitaryan, Kagawa oder Aubameyang an die Malaise der Vorsaison; nur, dass die Angriffs- Maschinerie des BVB trotzdem nicht mehr ins Stottern zu geraten scheint und immer weiter Chancen produziert.

Die neuen BVB-Daten: weniger laufen, häufiger den Ball haben

"Man sieht ihnen das Selbstvertrauen schon an", bestätigte Leverkusens fast bedrückt wirkender Trainer Roger Schmidt. Er spürt gerade, wie schnell sich die Dinge gegen einen wenden können in der immer schwerer auszurechnenden Bundesliga. Bayer hat zwei Auswärtsspiele in München und Dortmund verloren - relativ normal - und dazu eine außerplanmäßige Heim- niederlage gegen Aufsteiger Darmstadt erlitten - schon hat Leverkusen satte neun Punkte Rückstand auf Bayern und Dortmund. Sportdirektor Rudi Völler wähnte sein Team beim 0:3 im "Dornröschenschlaf", auch Schmidt quittierte die Leistung mit ungewohnt kritischen Tönen.

Kein Wunder, dass sie sich auch in Dortmund in einer seit Jahren nicht mehr so gehörter Demut üben. Beim BVB wissen sie: Schon am Mittwoch in Hoffenheim, wo man sich schon häufig schwer getan hat, kann die schöne Serie dahin sein. Allerdings wirkt Dortmund spielerisch wieder stabil, Totaleinbrüche wie im Vorjahr werden immer unwahrscheinlicher. Mit Ball- besitz-Quoten von 60 bis 70 Prozent dominieren die BVB-Spieler meist nach Belieben. Spielern wie Hummels, Gündogan, dem trotz seiner erst 20 Jahre erstaunlich konstanten Weigl, dem diesmal auffälligen Kagawa (Vorlage und Tor), Mkhitaryan (eine Vorlage), Hofmann (Tor zum 1:0) oder Aubameyang (sechstes Tor im fünften Ligaspiel) kommt die neue Betonung der eigenen Kreativität sehr zugute. Das Ballerobern und Gegenpressen bleibt auch unter Tuchel im Werkzeugkasten, aber es beherrscht nicht mehr allein das kollektive BVB-Denken. Stattdessen sind sicheres Positionsspiel und Ballzirkulation nun die Kennzeichen einer Klasse-Mannschaft.

Statistiken sagen bisweilen wenig. Beim neuen BVB aber ist interessant, wie sehr der Ballbesitz gestiegen ist - und zugleich die gelaufenen Kilometer weniger geworden sind. Im Schnitt rennen die BVB-Profis unter Tuchel zehn Kilometer weniger als in der vermaledeiten letzten Saison, sogar weniger als Abstiegskandidaten der Liga. Aber dafür genauso "wenig" wie die Bayern-Spieler.

© SZ vom 22.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: