Borussia Dortmund:Die lila Wand

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Vor allem dank Torwart Roman Bürkis Paraden gegen Slavia Prag steht Borussia Dormtund im Achtelfinale der Champions League - und lässt die Kritiker nun vorerst verstummen.

Von Ulrich Hartmann, Dortmund

Akut betroffene Zeugen eines unbegreiflichen Phänomens am Dienstagabend im Dortmunder Süden waren die Herren Ondrej Kudela, Peter Olayinka, Nicolae Stanciu, Milan Skoda, Lukas Masopust und Tomas Soucek - und zwar in genau dieser Reihenfolge. Als die sechs Fußballer vom SK Slavia Prag von ihrer Begegnung mit dem Torwart Roman Bürki berichteten, hätte man eine unheilvolle Musik unterlegen und das Ganze in ein mystisches Fernsehformat packen können. Bürki hatte alle ihre Schüsse und Kopfbälle pariert, mit Händen und mit Füßen und zum Teil wider die Gesetze der Physik. Weitere Augenzeugen beschrieben diese Ereignisse als "unglaublich" (Lucien Favre) und "unfassbar" (Julian Brandt), aber der Trainer und der Torschütze von Borussia Dortmund machten dabei weniger einen verängstigten als vielmehr einen überschwänglichen Eindruck.

Mats Hummels sagt, Bürki sei ein "Asket" - und empfiehlt als Belohnung "Birchermüsli"

Sechs teils übersinnliche Paraden hat der BVB-Torwart Bürki im finalen Gruppenspiel der Champions League gezeigt, und wer das binnen 95 Minuten für nicht besonders spektakulär erachtet, der sollte sich mal Bürkis Paraden-Statistik in der Bundesliga anschauen. Dort steht er auf Platz 20 mit 18 gehaltenen Bällen in elf Spielen. Das macht im Schnitt 1,6 Paraden pro Partie. Diese Quote, mit der Bürki natürlich selbst nicht ganz glücklich ist, hat er am Dienstag nahezu vervierfacht. Außer Acht gelassen werden kann übrigens das Gegentor zum 1:1 durch Soucek kurz vor der Pause. Es hatte am Ende keinen Einfluss, denn Dortmund gewann mit 2:1.

Als die Fußballer von Slavia nach dem Spiel den Kabinengang verließen und Bürki draußen im zugigen Stadionumlauf den Journalisten von seinen beinahe tränentreibenden Gefühlen nach dem Schlusspfiff vor der riesigen Südtribüne berichtete, da glaubte man argwöhnische Blicke in den Augen der Prager Spieler zu erkennen. Sie schielten zu diesem Torwart. Würde er auch noch versuchen, sie am Einstieg in den Bus zu hindern? Würde er auch noch dessen Abfahrt blockieren? Würde er ihnen noch in ihren Träumen erscheinen?

Doch Bürki ist in Zivil ein friedlicher Mensch. Er beklagte in den Interviews, dass ihm die Beine wehtäten und dass er am Mittwoch gerne ein bisschen ausgeschlafen hätte, aber dass ja vormittags schon wieder ein Training angesetzt war. Die Mitspieler überlegten, wie sie ihrem Torwart explizit danken könnten für seine prächtigen Paraden, mit denen er ihnen ins Achtelfinale der Champions League verholfen hatte, aber Abwehrspieler Mats Hummels verriet, dass Bürki ein ziemlicher "Asket" sei. Hummels hatte aber trotzdem eine Idee, wie man einem Schweizer Asketen eine Freude machen könne: "Vielleicht mit einem Birchermüsli."

Der kleine Dank für Bürki und all jene, die am Abend zuvor auf dem Platz gestanden hatten, war am Mittwochmorgen eine leichte Regeneration im warmen Inneren des Trainingszentrums. Die Bankdrücker mussten hingegen raus bei vier Grad und Dauerregen. Der großartige Dank für Bürki und alle BVB-Spieler hingegen war natürlich dieser Einzug in die K.o.-Runde der Königsklasse, mit dem so recht niemand mehr gerechnet hatte. Der Dortmunder Sieg gegen Prag war nicht die alleinige Voraussetzung dafür, sondern auch, dass das zuvor punktgleiche Inter Mailand im Parallelspiel nicht gegen den FC Barcelona gewinnen durfte. Die Katalanen, für die es in diesem Spiel angesichts ihres bereits feststehenden Gruppensieges um nichts mehr ging, spielten aus genau diesem Grunde mit einer B-Elf, der die meisten ihrer Stars fehlten. Aber sie gewannen trotzdem mit 2:1 und verhalfen den Dortmundern damit ins Glück. Niemand wagte zu vermuten, dass Bürkis Ausstrahlung an diesem Abend sogar bis zu 700 Kilometer hinunter nach Mailand reichte und auch dort im Sinne seines BVB wirkte.

"Vor ein paar Wochen sah alles noch ganz anders aus", sagt Torschütze Julian Brandt

Dass Bürki so toll gehalten, Barça mitgeholfen und Brandt nach einer Stunde den Siegtreffer für Dortmund erzielt hatte, gefiel all jenen Journalisten, die gerne mit Stabreimen arbeiten: Bürki, Barça und Brandt bescheren Borussia - so lautete eine beliebte Zeile. Nach Wochen wechselhafter Leistungen und steter Kritik durch Medien und Branchen-Experten durften die Dortmunder diesmal sogar guten Gewissens ignorieren, dass die Leistung einiger Feldspieler gegen Prag eigentlich wieder nicht gerade überwältigend ausgefallen war. Eine Parade weniger von Bürki und ein weiterer Inter-Ball, der sich in Mailand ins Tor gemogelt hätte, dann wäre Dortmund aus der Champions League ausgeschieden. Das große Wehklagen über die selbsternannten, aber oft nur mauen Meisteranwärter wäre nahtlos weitergegangen.

Und so war es auch der durch den Sieg vorerst erworbene Waffenstillstand mit allen Skeptikern und Kritikern, über den sich der Torschütze Julian Brandt besonders freute: "Vor ein paar Wochen sah alles noch ganz anders aus - und jetzt überwinterst du sowohl im DFB-Pokal als auch in der Champions League." Sogar in der Bundesliga dürfen sie weiterhin versuchen, Punkte zu sammeln: am Samstag in Mainz und drei Tage später am Dienstagabend gegen Leipzig.

© SZ vom 12.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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