Borussia Dortmund:Aus Nord mach Süd

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Verkehrte Welt: Die Dortmunder Spieler applaudieren diesmal in eine andere Richtung - die leere "Süd" im Rücken. (Foto: Kolvenbach/imago)

Nach dem versöhnlichen 3:0 gegen Wolfsburg vor einer leeren Stehplatztribüne hofft der BVB, die schwersten Konflikte überwunden zu haben.

Von Ulrich Hartmann, Dortmund

Der Fußballmanager Hans-Joachim Watzke hat am Samstag "schreckliche Bilder" gesehen. Das ließ aufhorchen. Unter schrecklichen Bildern bei Borussia Dortmund stellt man sich seit den brutalen Zwischenfällen vom Heimspiel gegen Leipzig vor zwei Wochen etwas anderes vor als eine leere Tribüne. Watzke erweckte den Eindruck, als könne er den Blick auf die leere Südtribüne kaum aushalten. Er nannte die Aussperrung von 25 000 Fans "eine tiefe Zäsur" - und vermittelte die Hoffnung, dies möge nie wieder vorkommen.

Hinterher, als das Heimspiel gegen den VfL Wolfsburg mit 3:0 gewonnen war, klang der BVB-Geschäftsführer schon wieder fröhlicher. Trotz der Tribünensperre - eine Folge hasserfüllter Ultras-Banner zwei Wochen zuvor - gelang am Wochenende ein ansehnlicher Auftritt. Begleitet von allgemeinem Jubel und gefolgt von einer Liebeserklärung des Trainers Thomas Tuchel an seinen Abwehrspieler Lukasz Piszczek. Herz war Trumpf. Die Dortmunder gehen jetzt sogar mit neuer Zuversicht in die kommenden Wochen, in denen sich in Liga, Pokal und Champions League entscheiden wird, wie es mit dem Klub und Trainer Tuchel im Sommer weitergeht.

Massive Gitter versperrten am Samstag den Zugang zur Südtribüne, der größten Stehplatztribüne Europas. Dort, wo bei jedem Heimspiel 25 000 Fans in Schwarz-Gelb feiern, war diesmal kein einziger Mensch zu sehen; nur grauer Beton. Geisterspiel-Atmosphäre herrschte im Stadion dennoch nicht, es waren ja trotzdem noch 57 000 Menschen anwesend. "In der ersten Halbzeit war es komisch", berichtete der Kapitän Marcel Schmelzer, "weil wir da auf die leere Südtribüne gespielt haben."

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Vielleicht benötigten die klar überlegenen Dortmund deshalb ein Eigentor des Wolfsburgers Jeffrey Bruma, um in Führung zu gehen. In der zweiten Hälfte wurden sie effektiver. Da blickten sie Richtung Nordtribüne, auf der diesmal sogar in den eigentlich für Gäste-Fans vorgesehenen Blöcken 60 und 61 alles gelb leuchtete.

Während sich die knapp 2000 Wolfsburger Fans im Oberrang tummelten, zeigten die BVB-Anhänger diesmal hinter dem nördlichen Tor ihre Präsenz. Sogar die Wolfsburger Fußballer wirkten überrascht: Als sie zum Aufwärmen auf den Rasen kamen, wurden dort, wo sie ihre eigenen Fans vermuteten, BVB-Fahnen geschwenkt. Die Ultras-Gruppierungen "Desperados", "Jubos" und "Unity" hatten ihre Banner angebracht. Dabei hätten gerade sie durch die Südtribünen-Sperre eigentlich gar keinen Zugang zum Stadion erhalten sollen. Der BVB teilte dazu mit, die Tickets für diese beiden Blöcke seien bereits an eigene Fans vergeben gewesen, bevor die Sperrung der Südtribüne beschlossen wurde. Bei Spielen mit nur wenigen Gäste-Fans bringe man diese gelegentlich komplett im Oberrang unter.

In jedem Fall ist es den Dortmundern an diesem Tag gelungen, die beiden Gästeblöcke auf der Nordtribüne in eine Mini-Südtribüne zu verwandeln. Das half den dazugehörigen Fußballern. Während Stürmer Aubameyang erneut ein bisschen mit dem Ball fremdelte und nun auf die magere Bilanz von nur einem Tor in sieben Pflichtspielen kommt, drehten Angreifer Dembelé und Rechtsverteidiger Piszczek auf. Piszczek provozierte das 1:0 durch Wolfsburgs Bruma, traf zum 2:0 und flankte zum 3:0 auf Dembelé. Dafür machte ihm der Trainer jene Liebeserklärung, die man in dieser Form auch nicht alle Tage zu hören bekommt: "Pischu ist seit Wochen in herausragender Form", schwärmte Tuchel, "es ist ein Geschenk, einen Spieler wie ihn in der Mannschaft zu haben; es vergeht kein Tag, an dem er nicht mit einem Lächeln zu uns kommt; ich liebe ihn als Persönlichkeit und als Menschen - er verkörpert alles, was den BVB auszeichnet und für was der BVB stehen soll."

Damit hat das den Dortmundern verhasste Spiel ohne Südtribüne nicht nur einen Sieg, sondern sogar ein neues Vorbild hervorgebracht, das in schwierigen Zeiten zum Sinnbild der Versöhnung werden könnte: den stets lächelnden Fußballer Lukasz Piszczek, einen "echten Familienmenschen", wie Tuchel sagt - und als harmonische Familie würde der BVB sich und seine Fans ja auch gern wieder häufiger sehen. Doch das könnte noch dauern. Manager Watzke ist damit beschäftigt, "eine dreistellige Anzahl" von Problemfans aus soeben ermittelten 61 Ultras und 88 Hooligans so umfassend wie möglich aus dem Vereins- und Stadion-Umfeld zu entfernen. Er fordert für Gewalttäter "soziale Ächtung und auch mal einige Nächte im Gefängnis". Der Bild am Sonntag sagte Watzke, er habe nach dem Leipzig-Spiel Morddrohungen erhalten. So sei ihm geschrieben worden: "Wir hängen dich auf."

Abseits dieser Sorgen arbeiten Tuchel und die Mannschaft weiter am Erreichen der Saisonziele. Erstmals seit November stehen sie wieder auf dem dritten Tabellenplatz. "Wir haben den Fuß in der Tür", sagte Tuchel über seine Eindrücke aus den vergangenen beiden Spielen. "Das ist die Leistung und die Konstanz, die wir brauchen - aber wir können noch mehr." Und so hat der BVB ausgerechnet an diesem Tag ohne 25 000 seiner treuesten Fans Signale des Aufbruchs gesendet.

© SZ vom 20.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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