Bobsport:Schrauben für Gold

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Umgestiegen: Ex-Sprinterin Kim Kalicki, im Bob nun Weltmeisterschafts-Zweite. (Foto: Ed Gar/imago)

Vier Teams, aber nur drei Startplätze: Zum Auftakt des Bob-Weltcups in Lettland hat das deutsche Frauenteam ein bislang nicht geahntes Niveau erreicht.

Von Volker Kreisl, München

Die Bobbahn in Altenberg zählt zu den gefährlichsten der Welt. Das Tempo erreicht bis zu 140 km/h, für Unerfahrene herrscht Sturzgefahr. Doch oftmals stellen solche Anlagen eine Prüfung für junge Pilotinnen und Piloten dar. Wie zum Beispiel für Kim Kalicki und Laura Nolte bei der WM im vergangenen März.

Die 22 Jahre alte Wiesbadenerin Kalicki hatte in Altenberg ihr ganzes Können gezeigt und war Zweite geworden. Die 21 Jahre alte Nolte aus Unna geriet dagegen aus der Fahrlinie, kippte um und rutschte mit ihrer Anschieberin kopfüber die Bahn hinab. Dem einen Großtalent fehlten nur ein paar Zehntel zum Sieg, das andere trug Schürfwunden und einen gewaltigen Schrecken davon, aber das ist heute egal. Beide haben gelernt, Kalicki aus dem Erfolg, Nolte aus dem Schock. Nun, zum Weltcupstart in Lettland, sind sie das Thema im deutschen Bobsport.

Zwar sind da noch Francesco Friedrich, der 2021 mit dem zwölften Titel Rekord-Weltmeister werden könnte. Oder auch Johannes Lochner, der Friedrich abermals herausfordert. Doch was dem Männerteam fehlt, fällt nun beim Frauenteam ins Auge. Dort sind sie mehr als ein Duo, zum ersten Mal gibt es vier gleichstarke Fahrerinnen, so dass René Spies nicht nur als Bundestrainer, sondern auch als Diplomat gefragt ist. Die beiden anderen sind ja auch nicht langsam: Mariama Jamanka, Olympiasiegerin 2018, und Stephanie Schneider, WM-Zweite 2019. Es ist nicht lange her, dass nur eine deutsche Pilotin um den Sieg mitfuhr, nun sind es vier - bei nur drei Startplätzen im Weltcup.

Auch der Weltverband will die Frauendisziplin fördern - mit einem Monobob

Die Ursachen für diesen Aufschwung sind vielfältig. Schon lange ist klar, dass das Lenken von Renngefährten, das Schrauben und Heben schwerer Geräte nicht mehr nur Männern vorbehalten ist, was sich nun eben mehr und mehr an der Bob-Weltspitze zeigt. In Deutschland und Nordamerika ist dies selbstverständlich - möglich wäre es, dass sich bald auch Pilotinnen aus Österreich, der Schweiz, Lettland oder Russland durchsetzen. Dazu braucht es aber Geld und Helfer - etwa die Scouts.

Ob Kim Kalicki sich je in einen Bob gesetzt hätte, wenn sie nicht dazu überredet worden wäre, ist fraglich. Süddeutsche Meisterin war sie, über 100 Meter, aber nicht auf einer Anschub-Eisfläche, sondern im Leichtathletikstadion. Ein Gebiet, in dem Bob-Talentejäger traditionell umherstreifen. Kein leichter Job ist das, muss man doch beides leisten: den jungen Sportlern die Perspektive eines Olympiasiegs skizzieren, zugleich aber auch den Zweifel erhärten, dass das mit dem Leichtathletik-Gold doch eh nichts wird. Kalicki sagte im Sender HR: "Die mussten mich schon überzeugen." Schließlich ließ sie sich begeistern und wurde immer schneller, auch weil sie auf der Bahn in Altenberg das Lenken lernte.

Laura Nolte ist in Winterberg von der Leichtathletin zur Pilotin geworden, was allerdings auch mehr und mehr ein Leben als Kleinunternehmerin bedeutet. In deisem Sommer hat sie zwei neue Anschieberinnen für ihr Team engagiert. Pilotinnen müssen zudem Trainingspläne ausarbeiten, den Etat verwalten, Sponsoren anwerben, Reisen organisieren, usw. Gefahren wird von November bis März, gearbeitet das ganze Jahr, vor allem vor einer Olympia-Saison.

Die Aussicht auf eine Olympia-Medaille war schon der Trumpf der Scouts, nun wird die Perspektive real. Mit dem Ehrgeiz steigt das Niveau, etwas Besseres kann einem Chefcoach nicht passieren. Es sei klar gewesen, dass die Ausscheidungsphase für alle stressig werde, sagt Spies. Durchgesetzt haben sich dann Kalicki und Nolte, sie sind für die ganze Saison nominiert, Jamanka als Dritte und Schneider (Vierte) teilen sich den dritten Startplatz im Laufe der Saison. Das muss für die Frage, wer bei der WM im Februar startet, noch nichts bedeuten. Im Gegenteil, Rückstufungen wecken in diesem Team offenbar Kräfte. In der vergangenen Saison musste Kalicki zunächst in der zweiten Klasse antreten - und gewann dann WM-Silber. Nolte fuhr auch erst ab Januar im Weltcup und holte dann vier Podestplätze in Serie. Voraussetzung wird wie immer die kluge Einteilung der Kräfte sein. Die Prioritäten müssen exakt geprüft werden, womit man am Ende der Betrachtung des Bob-Aufschwungs der Frauen beim Weltverband IBSF angekommen ist, genauer, beim Monobob.

Mit dem neuartigen Einsitzer will die IBSF die Frauenquote fördern, was jeder begrüßt, jedoch nicht uneingeschränkt. Denn er ist wie ein Kleinwagen, wird standardmäßig geliefert, weshalb fast nicht geschraubt werden muss. Und er ist, der Name sagt es, alleine zu fahren, wodurch Tempo fehlt. Das macht kaum Spaß, viele würden sich den Aufwand gerne sparen. Doch Mitte Dezember startet der Monobob-Weltcup, auch weil man eine Olympia-Qualifikation braucht, denn Monobob wird in Peking 2022 olympisch. Und damit werden auch die vier deutschen Top-Pilotinnen, ob sie wollen oder nicht, in den Kleinwagen steigen. Denn eine Olympia-Medaille, das war schon immer klar, darf man sich nicht entgehen lassen.

© SZ vom 21.11.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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