Bob-Weltmeisterschaft:Der Nachrichtensprecher bleibt sachlich

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Francesco Friedrichs Vierer im Training bei der Fahrt durch den Horseshoe - eine der schwierigsten Passagen in St Moritz. (Foto: Memmler/Eibner/Imago)

Francesco Friedrich, der dominierende Bob-Pilot dieser Zeit, musste zuletzt Rückschläge einstecken - auch bei der WM in St. Moritz zeigt er ungewohnte Schwächen. Doch so schnell sollte man ihn nicht abschreiben.

Von Volker Kreisl, München/St.Moritz

Auf einmal war da ein Stich, ein kurzer Schmerz im Bein. Francesco Friedrich hatte eigentlich gar nichts Besonderes versucht, er wollte nur das, was er sein gesamtes Leistungssport-Leben praktiziert: Training, harmloses Training für die Beinmuskeln. Doch dann, kurz vorm Saisonbeginn, war's passiert. Friedrich verletzte sich im Oberschenkel, an den Adduktoren.

Das ist ein Schaden, den sich Bobfahrer öfter zuziehen, was mit den konträren Belastungen dieses Sports zusammenhängt. Denn sie müssen einen mehrere Zentner schweren Bob beschleunigen. Zudem sind sie selber schwere Athleten, fast so massig wie Gewichtheber, diesen Kräften müssen die Muskeln beim Sprint erst einmal standhalten. Denn beim Anschieben geht es um jeden Sekundenbruchteil, weil sich aus der Startgeschwindigkeit die sich steigernde Fallgeschwindigkeit in der Bahn aufbaut. "Beim Anschieben", sagt Bundestrainer René Spies, "gehen die Fahrer immer ans Limit".

Er überlässt nichts dem Zufall, Formtiefs hat er stets zügig gemeistert

Bei Friedrich hat der Körper also gestreikt. Für einen Spitzen-Piloten ist das eigentlich kein großes Problem, für den Rekordlenker Friedrich nun womöglich schon. Er ist 32 Jahre alt und kennt seit Jahren nichts anderes als den Sieg. Der Athlet aus Oberbärenburg im Erzgebirge überlässt kaum etwas dem Zufall, er hat es auch in formschwachen Phasen immer geschafft, den Rest des Feldes hinter sich zu lassen. Seit 2017 war er stets vorne, auch die je zwei olympischen Goldmedaillen in Pyeongchang 2018 und Peking 2022 gingen an ihn und seine Teams - genauso wie die acht jüngsten WM-Titel am Stück, die Friedrich nach einer ohnehin schon erfolgreichen ersten Karrierephase einfuhr. Nun aber, bei der Weltmeisterschaft in St. Moritz in der Schweiz, geschah das, was für die gefühlt nächsten Jahrzehnte doch eigentlich ausgeschlossen war: Friedrich fuhr im Zweierbob zusammen mit Alexander Schüller in der ersten WM-Entscheidung auf Rang - zwei!

Dass dafür sein Teamgefährte Johannes Lochner mit einem fabelhaften zweiten Lauf Weltmeister wurde, war ein schwacher Trost. Bob-Piloten sind Kleinunternehmer, sie leben und trainieren mit ihren Anschiebern lange Phasen des Jahres für sich. Francesco Friedrich weiß zudem, dass es irgendwann an der Zeit ist, dass seine jüngeren Teamkonkurrenten mal aus seinem Schatten treten und ihn überholen. Zudem ist in diesem Winter ja nicht immer alles so glatt gelaufen wie sonst, in Park City etwa ist er im Training gestürzt, insgesamt wirkte er auf die Trainer etwas anders als die Jahre zuvor. "Er ist ruhiger und nachdenklicher geworden", sagt Spies.

Sind das also alles Anzeichen erster mentaler Schwächen nach grob eineinhalb langen Dekaden an den Lenkseilen? Friedrich aber, der in diesem Winter noch länger mit Nackenschmerzen wegen des Sturzes zu kämpfen hatte, ist wegen seiner Form ganz entspannt. Er sagt, im Vierer bestünde nun eine andere Situation. Denn schon die Ausgangslage sei wieder neu. Den Fehler bei der Materialauswahl am vergangenen Wochenende im Zweier können sie nun vermeiden. Da hatten sie zu breite Kufen gewählt, um nicht in der recht warmen Eisschicht zu versinken. Langsamer waren sie dann trotzdem, weil die Bahn doch nicht zu weich war und Lochner ihn mit schmalen Kufen abhängte. Nun aber, im Vierer, glaubt Friedrich, fürs Material habe er wieder "alle Möglichkeiten".

Die Gegner sind zu dritt: Neben Lochner haben noch ein Brite und ein Schweizer Chancen auf Gold

Schon immer war Friedrich eine wichtige Person fürs ganze Team, sagt Spies: "Er ist das beste Beispiel dafür, wie wichtig es ist, einen Profi in der Mannschaft zu haben." In den vielen Herausforderungen, der Kufenarbeit, der Trainingsmethodik oder auch für die Ernährung gebe Friedrich den Jüngeren Ratschläge - sein Hauptverdienst aber liege darin, die Jüngeren "nachzuziehen", und somit entscheidende Zukunftsarbeit für den Verband zu leisten.

Gerade aber beschäftigt er sich mit seinen Gegnern. Außer Lochner ist auch der 25-jährige Schweizer Michael Vogt dabei, Mitfavorit ist zudem Brad Hall, 32. Der Brite gilt als großes Talent und liegt im Gesamtweltcup mit Friedrich fast gleichauf. Was aber wohl allen aktuellen Kontrahenten fehlt, ist das ruhige Temperament Friedrichs. Anders als zahlreiche aufgepeitschte Sportler in dieser Kombination aus Schnellkraft und Hochgeschwindigkeit, als die im Ziel brüllenden und auf Schultern hauenden Muskelmänner, wirkt Friedrich nach dem Aussteigen gefasst, wenn er den Erfolg erklärt, sachlich wie ein Nachrichtensprecher.

Es ist wahrscheinlich diese Art, wegen der er schon so lange der Beste seines Sports ist. Friedrich ist ein Analytiker, er sucht wohl schon im Ziel innerlich wieder jene Stellen der Bahn, an denen er womöglich um Hundertstel zu früh oder zu spät gelenkt hat. "Francescos Analyse ist professionell, er beschäftigt sich stundenlang mit den Kurven, und sein Geheimnis ist es, keine Emotionen reinzubringen", sagt Trainer Spies. Und wegen all dem dürfte Friedrich auch weiterhin derjenige bleiben, den es zu schlagen gilt.

Schließlich hütet auch er seine Geheimnisse, sogar gegenüber Teamkollegen. Die entscheidenden Details, etwa die Stärke der dämpfenden Mini-Gummis zwischen Haube und Rahmen, oder die Größe der kleinen Gummi-Puffer, die als Federelement dienen, oder die gesamte Lenkeinstellung und so weiter - all das ist Ergebnis von langer Erfahrung, die jeder für sich selbst sammeln muss.

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