Bob-WM:Den Bob fliegen lassen

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In Altenberg zieht Francesco Friedrich mit dem Italiener Eugenio Monti gleich und jagt nun den nächsten Rekord. Doch bei der WM trennt sich auch der gemeinsame Weg einer goldenen Generation.

Von Thomas Gröbner, Altenberg/München

Über die Angst wird im Bobsport eigentlich nicht gesprochen. Und vielleicht ist das auch gar nicht notwendig. "Denn die Angst", glaubt Bundestrainer René Spies, "sieht man sofort." Als in Altenberg am vergangenen Sonntag die Medaillen verteilt wurden nach dem Weltmeisterschaftsfinale im Viererbob, da war die Angst dann aber plötzlich doch da.

Eigentlich war ja alles angerichtet gewesen für eine weitere Zeremonie, nach der die Rekordbücher erneut umgeschrieben werden müssen, weil Francesco Friedrich die Jahrzehnte alte Bestmarke erreicht hatte - und mit seinem neunten WM-Titel mit dem Italiener Eugenio Monti gleichzog. Doch dann nahm sich Bronzemedaillengewinner Nico Walther das Mikrofon. "Ich bin nicht mehr bereit, dieses Risiko für die letzten Hundertstel zu gehen. Es gibt Wichtigeres", sagte Walther und verkündete damit den Abschied in Altenberg. Hier hatte sein Karriereende vor einem halben Jahr quasi den Anfang genommen.

Der Sonntag war nun noch einmal ein emotionaler Tag für Walther. Vor dem finalen Durchgang lag er noch zeitgleich mit seinem Klubkollegen Friedrich und mit einem Vorsprung von einem Hundertstel vor Johannes Lochner. "Eine Hundertstel ist quasi nichts. Kopf ausschalten und runter ins Ziel", so tickt Lochner. Alles war offen in diesem besonderen Dreikampf: Friedrich, Walther, Lochner sind ja auch die drei dominierenden Bobpiloten Deutschlands, alle Jahrgang 1990. Sie sind der "goldene Jahrgang", wie Spies sagt. Sie bekämpfen einander, respektieren einander. Doch bei einem der drei fuhr diesmal die Angst mit.

Gemeinsam jubelt es sich schöner: Francesco Friedrich (re.) mit seinem Team und Sohn Karl. (Foto: Sebastian Kahnert/dpa)

In Altenberg war Walther vor einem Jahr schwer gestürzt. Ein Halswirbel war angebrochen, nur knapp schrammte er an der Querschnittslähmung vorbei. Seitdem war eine Blockade in ihm, die nur schwer in Worte zu fassen ist: "Danach gehen im Kopf Dinge vor", sagte Walther nun zu seinen inneren Zweifel, die sich auch im Eiskanal bemerkbar machten. Was für ihn nicht mehr ging: an die Grenzen zu gehen, um den Rückstand aufzuholen, den er sich am Start einfing. Dabei galt doch eigentlich er als Talentiertester an den Lenkseilen. Friedrich und Lochner, das seien "gute Piloten", aber Walther sei ein "exzellenter", urteilte Bundestrainer Spies.

So wie man die Angst sieht, sieht man aber auch, wenn jemand die Furcht abgelegt hat und "den Bob fliegen lassen" kann, wie Spies es formuliert. Er meint damit: Wenn alles gelingt. Wie bei Friedrich und Lochner, die diesmal Gold und Silber unter sich aufteilten. Wie man mit innerem Druck umgeht, mit den inneren Unsicherheiten? "Jeder macht das selbst mit sich aus", weiß Spies. Natürlich aber stünden auch Sportpsychologen bereit.

Es sind im Bobsport eben Wimpernschläge, die darüber entscheiden, was einer erreicht und was er knapp verpasst. In diesem Sport kann eine Hundertstel entscheiden, ob eine Fahrt über eine Karriere hinaus Bestand haben wird. Und ob sie andere vielleicht eines Tages zu ähnlichen Bestleistungen antreiben wird - so wie die Marken von Eugenio Monti nun Friedrich antreiben. Eine "Unsterblichkeitsserie", so nannte Friedrich einmal das, was er sich selbst als Ziel setzte. Er hat tatsächlich viel erreicht. Die einzige bedeutende Bestmarke, die ihm noch fehlt, sind die vier olympischen Goldmedaillen von André Lange. Die Winterspiele in Peking 2022 und in Cortina d'Ampezzo/Mailand 2026, das sind daher nun nächsten Ziele von Friedrich.

Umarmung zum Abschied: Nico Walther (li.) und Francesco Friedrich. (Foto: Lutz Hentschel/imago)

Für Walther haben sie ihren Reiz verloren. Spies hatte versucht, ihn zu halten, er hatte ihm einen Plan präsentiert, bis Olympia 2022. 31 Jahre alt wäre Walther dann, "ideal", das weiß er. Es hätten seine Spiele sein können, glaubt Spies. Nur fünf Minuten dauerte das Gespräch, dann wusste der Bundestrainer jedoch: "Das Thema ist durch." 2015 hatte Walther Silber und dreimal Bronze gewonnen, bei den Olympischen Spielen 2018 zudem die Silbermedaille im Vierer, hinter Friedrich. Doch nun waren die Fahrten mechanisch, ohne Freude am Risiko. Und so hat Walther seine Konsequenzen gezogen. "Traurig", gestand Spies, "man verbringt so viel Zeit mit den Athleten. Und dann gehen sie."

Auch Friedrich hatte einmal erlebt, wie schnell eine Fahrt im Eiskanal alles ändern kann. Sein vier Jahre älterer Bruder David erlebte 2005 in Altenberg einen schlimmen Sturz. Drei Monate lag er mit Kopfverletzungen im künstlichen Koma. Doch er kämpfte sich zurück, ins Leben und dann in seinen Sport - und verletzte sich wieder schwer. Als Bremser im Schlitten seines Bruders brach sich David einen Rückenwirbel, mit 22 verkündete er sein Karriereende. "Natürlich hat mich das geschockt, und ich habe gezweifelt und überlegt. Das war eine schwierige Phase", sagte Francesco Friedrich vor einem Jahr. Irgendwann habe er seine Furcht aber überwunden.

Je größer der Druck, desto entspannter wirke nun der "Franz", wie sie ihn nennen. Er könne Topleistungen reproduzieren, sagt sein Trainer. Das ist eine Fähigkeit, die Friedrich, den guten Bobfahrer, tatsächlich von den anderen guten Bobfahrern unterscheidet.

© SZ vom 03.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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