Big-Wave-Surfer Steudtner:"Ich will eine neue Welle entdecken"

Lesezeit: 7 min

Auf der großen Welle: Sebastian Steudtner vor Portugal. (Foto: imago/ZUMA Press)
  • Deutschlands einziger Big-Wave Surfer Sebastian Steudtner hat in Portugal womöglich die höchste Welle der Welt gesurft.
  • Aber das beeindruckt ihn kaum - der Weltrekord ist nicht sein Hauptziel
  • Sein Traum ist die Entdeckung einer eigenen Welle

Von Fabian Swidrak

Sebastian Steudtner aus Nürnberg ist Big Wave Surfer - der einzige Deutschlands und einer der besten der Welt. Finanziert durch Crowdfunding, ist er derzeit auf Weltrekordjagd. Das Ziel: Die höchste Welle surfen, die je ein Mensch geritten hat. Aktuell liegt die Bestmarke bei 23,80 Metern. Der US-Amerikaner Garrett McNamara hat sie 2011 nahe des kleinen Fischerdorfs Nazaré in Portugal aufgestellt. Genau dort könnte der 29-jährige Steudtner zuletzt eine noch höhere Welle erwischt haben. Der Weltrekord? Ein Interview über Langeweile am Meer, High-Tech-Expeditionen in die klirrende Kälte, die auch im Alltag helfen können, und den Traum von der eigenen Welle.

SZ: Herr Steudtner, Sie haben dieser Tage zwei Röntgenbilder auf Ihrer Facebook-Seite veröffentlicht und angekündigt, ein wenig Zwangsurlaub machen zu müssen. Was ist passiert?

Sebastian Steudtner: Ich habe mich beim Surfen in Irland an der Schulter verletzt und muss jetzt erst einmal zwei bis drei Wochen Pause machen. Nichts Schlimmes. Eine der Wellen hat zugemacht und ist über mir zusammengefallen.

Das hört sich aber schon schmerzhaft an.

Mich hat nur das Wasser getroffen. Mein Rücken war durch das viele Gewicht ziemlich verspannt. Den Schmerz in der Schulter habe ich aber erst auf dem Jet-Ski gespürt, im Wasser war es zu kalt. Als ich dann am nächsten Tag meinen Arm nicht mehr heben konnte, habe ich mit meinem Arzt telefoniert. Er hat mir einen Termin bei einem Schulter-Spezialisten in München besorgt. Ich bin dort in guten Händen.

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Wie geht es Ihnen jetzt?

Ich kann den Arm nicht kreisen, bin also schon ein wenig eingeschränkt, gerade beim Schlafen. Bis die Schmerzen weg sind, wird sicher noch eine Woche vergehen. Aber ich mache fünf bis sechs Stunden Reha-Training am Tag, um so schnell wie möglich aufs Wasser zurückzukehren. Einerseits ist die Situation ärgerlich, andererseits tut die Pause mal ganz gut. Ich war in letzter Zeit wirklich viel auf dem Wasser.

Wahrscheinlich haben Sie dabei einen neuen Weltrekord aufgestellt. Bis zu 26 Meter könnte eine der Wellen hoch gewesen sein, die Sie in Portugal gesurft sind, schätzen Experten. Haben Sie das während des Ritts realisiert?

Nein, da ist man mit ganz anderen Dingen beschäftigt. Wenn ich in eine Welle reinfahre, muss ich mich genau darauf konzentrieren, was vor mir passiert. Man kann sich das vorstellen wie eine Schussfahrt mit Skiern auf einer Buckelpiste. Ich war sehr darauf fokussiert meine Linie zu halten und nicht vom Brett zu fallen. Am nächsten Tag hatten wir nochmal 15 bis 20 Meter hohe Wellen. Irgendwann hörten alle für eine Stunde auf zu surfen und saßen einfach nur da, auch Garrett McNamara und sein Team. Wir waren fast ein bisschen gelangweilt und konnten uns nicht motivieren, weiter zu surfen. Erst da haben wir gecheckt, wie krass der Vortag gewesen war.

Offiziell würde Ihr Rekord erst im März werden. Dann wertet der Surf-Weltverband ASP das Videomaterial aus und gibt den Gewinner des XXL Big Wave Awards bekannt. Werden vorher noch einmal so große Wellen kommen?

Schwer zu sagen. Die Wellen in Nazaré waren schon verdammt groß an diesem Tag, wirklich am Limit. Selbst Garrett hat gesagt, dass es die größten Wellen waren, die er dort je gesehen hat. Auch wenn ich weiß, welcher Hype um diesen Preis gemacht wird und was der Rekord für meine Karriere bedeuten würde, bin ich da sehr gelassen.

Wie würde sich Ihr Leben mit dem Weltrekord verändern?

Ich wäre in Portugal plötzlich ein Superstar. Dort ist Surfen nach dem Fußball die wichtigste Sportart. Das größte sportliche Ereignis des Landes in den vergangenen Jahren war, dass Garrett den Weltrekord vor ihrer Küste bei Nazaré geknackt hat. Dadurch ist die Gegend bekannt geworden, und darauf sind sie sehr stolz. Abgesehen davon wäre ich definitiv einfacher zu vermarkten, auch in Deutschland.

Klassischerweise gilt Hawaii als Surfer-Mekka, auch Sie haben dort das Big Wave Surfen gelernt. Jetzt kommt die Welt-Elite regelmäßig nach Europa. Woher der Sinneswandel?

Lange galt die Welle "Jaws" vor Hawaii als die größte der Welt, mittlerweile ist sie aber auch beim Weltverband komplett in die zweite Reihe gerückt. Das gefällt den Amerikanern natürlich gar nicht. Aber wer sagt, dass er den Rekord brechen will und nicht in Nazaré ist, erzählt dir ein Märchen. Den Rekord kann man derzeit nur dort brechen.

Sebastian Steudtner ist Deutschlands einziger Big-Wave Surfer. (Foto: imago/ZUMA Press)

Woher wissen Sie überhaupt, wann es wo große Wellen gibt?

Das ist ein ganz aufwendiger Prozess. Ich habe mich drei Jahre auf dieses Projekt vorbereitet. Darauf, zu wissen, wo es wann die besten Stürme gibt, die große Wellen erzeugen. Wir nutzen Wettervorhersagen mit Windgeschwindigkeiten, Windrichtungen, Wellenhöhen, Gezeiten, Niederschlägen und Temperaturen. Zudem stehen wir mit erfahrenen Meteorologen in Kontakt, die vergangene Stürme genau beobachtet haben. So können wir hohe Wellen bereits vier oder fünf Tage im Voraus lokalisieren.

Glauben Sie, dass es noch unentdeckte Spots gibt, an denen die Wellen noch höher sind als vor der portugiesischen Küste?

Theoretisch ja. Die Suche nach noch größeren Wellen wird mein nächstes Projekt werden und soll im September starten. Der Weltrekordversuch ist quasi mein Aufbauprojekt, mit dem ich alles vorbereiten will, um das zu machen, was mir noch mehr Freude machen würde, nämlich eine neue Welle zu entdecken.

Wo vermuten Sie solche Monsterwellen?

Vor allem vor der zerklüfteten Küste Irlands. Aber da gibt es auch ganz exotische Orte. Ich saß im deutschen Luft- und Raumfahrtzentrum und habe topografische Karten für Irland ausgewertet. Dort ist mir aufgefallen, dass es die größten Stürme gar nicht unbedingt über dem Atlantik gibt, sondern in der Nähe von Kamtschatka, wo die Taifune entstehen, die Japan erschüttern. Zumindest auf der Wetterkarte hat es dort noch höhere Wellen. Sie sehen, der Prozess wird immer technischer.

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Inwiefern?

In Irland hatten wir auf der Karte eine besonders große Welle gefunden und sind an dem Tag, an dem wir sie vermutet haben, dorthin gefahren. Nach einer Stunde aber mussten wir umkehren, weil es dort so kalt war, dass wir fast erfroren sind. Daraufhin habe ich in den vergangenen zwölf Monaten zusammen mit der Firma Gore-Tex einen Anzug entwickelt, der uns komplett trocken und warm hält. Nur damit wir überhaupt zu der Welle hinkommen und sie uns anschauen können. Wenn wir vier oder fünf Stunden von der Küste entfernt sind, haben wir bei einem Unfall zudem keine Möglichkeit, schnell in ein Krankenhaus zu kommen. Mit einem Arzt von der Bundeswehr habe ich daher einen Rettungsschlitten entwickelt - eine Art kleines Krankenhaus für das Wasser, das wir auf dem Jet-Ski mitnehmen können. Wenn jemand kurz untergeht oder sich schwer verletzt, sind wir vorbereitet.

Lassen sich solche Entwicklungen auch außerhalb des Surfsports nutzen?

Klar, wenn der Anzug fertig ist, kann man ihn zum Beispiel auf eine Ölplattform mitnehmen. Fällt man ins Wasser, geht die Weste auf, und man treibt an der Oberfläche. Eine Heizung sorgt dafür, dass man sieben Stunden nicht auskühlt, und ein GPS-Signal übermittelt automatisch den Standort an die Küstenwache, die dann weiß, dass jemand gerettet werden muss. Durch Haken am Anzug kann man vom Helikopter recht einfach gerettet werden. Der Wasserschlitten lässt sich beispielsweise zur Versorgung von Verletzten bei einem Hochwasser einsetzen.

Müssen Sie auch Ihr Surfbrett anpassen?

Sebastian Steudtner im vergangenen Dezember im Aktuellen Sportstudio (Foto: imago/Martin Hoffmann)

Zusammen mit Motorsport-Experten haben wir mein Brett zuletzt millimetergenau gescannt und vermessen. Ich habe mich sportlich weiterentwickelt, und dadurch passt die Form nicht mehr optimal. Es soll etwas wendiger werden. Wir experimentieren da ähnlich wie bei der Abstimmung von Stoßdämpfern für ein Rennauto. Zudem brauchen wir in Irland ein anderes Brett als in Portugal, weil die Wellen dort ganz anders sind. Sie sind nicht so hoch und nicht so schnell, haben aber fast genauso viel Volumen. Deshalb hat man dort viel kürzere und leichtere Bretter, während man in Nazaré lange und schwere Bretter nutzt, um die nötige Geschwindigkeit besser halten zu können.

Ist es nicht verrückt, welchen Aufwand Sie betreiben?

Ich muss dem Equipment zu 100 Prozent vertrauen können. Ich will nichts machen, wo man denken könnte, ich sei verrückt. Ich bin nicht verrückt. Wenn ich durch meinen Anzug und meine technischen Hilfsmittel irgendwann der Erste bin, der eine noch größere Welle surft, dann ist es verrückt, dass wir das geschafft haben.

Was reizt Sie so sehr an der Entdeckung einer neuen Welle?

Stillsitzen ist nicht mein Ding. Mein Antrieb im Leben und beim Surfen war immer, neue Dinge entdecken zu wollen und herauszufinden, was möglich ist. Darauf stehe ich. Neue Wellen zu finden ist generell der nächste Schritt im Surfen. Wir haben alle großen Wellen, die wir kennen, gesurft.

Sie sind also auf der Suche nach einem echten Abenteuer?

Ich bin ein Naturkind. Obwohl ich in der Stadt aufwuchs, bin ich als Kind immer durch den Wald gerannt. Ich habe wirklich mal Bock darauf, in die Wildnis zu gehen, drei oder vier Wochen am Arsch der Welt in Russland abzuhängen und auf Entdeckungstour zu gehen. Ich will mit einem dreiachsigen Militärfahrzeug durch den Matsch fahren, irgendwann mit der richtigen Ausrüstung an einem Strand ankommen und rausgehen. Dort zu sitzen, einen Tee zu trinken und zu schnallen, dass man eine coole Welle gefunden hat, wäre toll. Diesen Adventure-Charakter kann dir keine bekannte Welle geben.

Sollten Sie die gesuchte Monsterwelle eines Tages finden: Dürften Sie ihr auch einen Namen geben? Steudtner-Welle, wie klingt das?

Ja, ich könnte der Welle meinen Namen geben (lacht). Ich würde mir aber vermutlich einen passenderen Begriff ausdenken. Wellen bekommen traditionell einen Namen, der sie charakterisiert. Die größte Welle auf Hawaii wird meist "Jaws" genannt, heißt ursprünglich aber Pe'ahi, zu deutsch: "Gerufen werden". Früher, als es dort noch keinen Lärm durch Flugzeuge und Autos gab, konnte man die Welle fast auf der ganzen Nordseite der Insel hören. Die Hawaiianer wurden von dem Geräusch angezogen und sind an die Küste gepilgert, um sich die Welle anzusehen. So würde ich auch meinen Namen aussuchen. Das kann der Hafen in der Nähe sein, ein Fischerboot dort oder ein Begriff aus der Landessprache, der den Charakter der Welle beschreibt. Aber darüber mache ich mir derzeit keine Gedanken. Um den Weltrekord oder die Entdeckung einer neuen Welle geht es mir in erster Linie gar nicht.

Worum geht es Ihnen dann?

Ich wollte als Kind Surfer werden. Surfer sein heißt für mich, sich komplett auf das Surfen konzentrieren zu können. Nur dann habe ich Spaß an meinem Sport. Lange habe ich mehr Zeit darauf verwendet, den Leuten zu erklären, was ich mache. Mein Sport war für die Europäer nicht greifbar. Durch mein Weltrekordprojekt kann ich mich jetzt zum ersten Mal komplett auf das Surfen fokussieren. Das war meine größte Herausforderung, mein größtes Ziel. Ein möglicher Weltrekord oder die Entdeckung einer neuen Welle wären nur Nebenprodukte.

© SZ vom 17.01.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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