Biathlon:Wandern ist doch auch schön

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Der Biathlon-Weltcup lässt Ruhpolding diesmal aus - und betreibt stattdessen Clusterbildung in Oberhof. Die Chiemgau-Gemeinde setzt nun auf andere Ideen.

Von Theo Harzer

Thüringer Wald also statt Chiemgauer Alpen. Der Biathlon Weltcup wird im Januar 2021 keine Station in Ruhpolding machen, stattdessen werden sich die Skijäger gleich zwei Wochen lang in Oberhof messen, bevor im italienischen Antholz der dritte Weltcup stattfinden wird. Zum ersten Mal seit 1992/1993 wird in Ruhpolding weder der Weltcup noch die Weltmeisterschaft im Biathlon ausgetragen, dem Ort droht ein Winter ohne sportliches Großevent.

Die Wahl für Oberhof wurde von der Internationalen Biathlon Union (IBU) und dem Deutschen Skiverband (DSV) gefällt. Stefan Schwarzbach, Geschäftsführer der Marketing GmbH beim DSV, betont natürlich, die Entscheidung sei "nicht gegen Ruhpolding gefallen, sondern für Oberhof". Dort findet nämlich 2023 die Biathlon-WM statt, für die "neue Infrastrukturen errichtet und hohe Investitionen getätigt wurden". Diese müsse man unter Wettkampf- und Weltcupbedingungen testen: "Da haben wir nicht mehr allzu viele Möglichkeiten." Deshalb also im Januar mit dem Weltcup-Doppelpack. Und Ruhpolding? Schwarzbach betont: "Ruhpolding gehört sicherlich zu den erfahrensten und besten Weltcup-Organisatoren im gesamten Zirkus." Muss aber eben zurückstecken, zum Wohle aller. Die Option, die Weltcups jeweils an ihren angestammten Orten auszutragen, kam nicht in Frage. Mithilfe der Clusterbildung, dem Austragen mehrerer Weltcups an einem Ort, soll "die Reisetätigkeit, so gut es geht, minimiert und damit das mögliche Infektionsrisiko reduziert werden".

Wirtschaftlich bedeutet das für Ruhpolding den Ausfall einer ganzen Woche touristischen Hochbetriebs. Ruhpoldings neuer Bürgermeister Justus Pfeifer schränkt aber ein: "Der Weltcup wäre ja ohnehin ohne Zuschauer geplant worden, aufgrund der Corona-Regeln. Und der Ort hätte relativ wenig von einem Weltcup ohne Zuschauer." Pfeifer ist der Nachfolger von Claus Pichler, der zwölf Jahre lang die Geschicke Ruhpoldings lenkte. Dessen Bruder Wolfgang Pichler, die Trainer-Legende im Biathlon, erlitt im September einen Herzinfarkt, befindet sich nun aber auf dem Weg der Genesung.

In der Biathlon-Hochburg Ruhpolding bedeuten keine Zuschauer auch: keine Einnahmen. Daher hofft Pfeifer, weiterhin vom Inlandstourismus zu profitieren, der durch die Pandemie und die damit verbundenen Reisebeschränkungen zugenommen hat. "Der war jetzt im Sommer sehr stark, und wir prognostizieren, dass der Inlandstourismus in der Wintersaison auch eine starke Rolle spielen wird." Bereits im August musste die Stadt auf die abgesagte Biathlon-Sommer-WM verzichten.

Deren Ausfall, den des Weltcups im Januar und die Coronakrise ganz generell wolle man aber "als Chance begreifen, mal etwas anderes zu machen", sagt auch Frank Oette, Direktor der Ruhpolding Tourismus GmbH. Denn Ruhpolding verstehe sich auch unabhängig vom Biathlon als attraktives Reiseziel: "Dass man hier Skisport betreiben, langlaufen und, wenn der Schnee nicht da ist, wandern kann - und dass man hier das bayerische Thema erleben kann", das mache die Stadt aus und locke das ganze Jahr über Touristen in die Gegend. Anhand dieser Vorzüge plane man ein Alternativprogramm zum Weltcup: "Im Grunde wird es darum gehen, die Vorzüge unserer Region, des Chiemgaus, die Wintersportmöglichkeiten aufzuzeigen, die Aktivitätsmöglichkeiten, die es gibt. Dass man hier einfach einen schönen Urlaub in Oberbayern machen kann", sagt Oette. Justus Pfeifer stellt zusätzlich "ein kleines Live-Event" in Aussicht: "Eventuell werden wir den Weltcup live übertragen, mit Experten wie zum Beispiel Fritz Fischer, Ricco Groß, die das dann kommentieren und zum Gespräch zur Verfügung stehen." Man will den Biathlon-Fans, trotz aller Einschränkungen, etwas bieten.

Und mit etwas Glück wird man auch ohne Weltcup ein wenig Live-Biathlon in Ruhpolding zu sehen bekommen. Der DSV stimmt gerade darüber ab, ob die World Team Challenge, die eigentlich für den 28. Dezember auf Schalke angesetzt war, pandemiebedingt aber um ein Jahr verschoben wurde, nun doch stattfinden wird - und zwar in Ruhpolding. "Ich kann auf jeden Fall bestätigen, dass die Gespräche hierzu schon relativ weit fortgeschritten sind. Wenn wir das mit der Finanzierung hinbekommen, dann gehe ich davon aus, dass der Wettbewerb in Ruhpolding stattfindet", prognostiziert DSV-Geschäftsführer Stefan Schwarzbach.

Für die Weltcup-Absage gab es von den Sportlerinnen und Sportlern Verständnis, gleichzeitig drückten etwa die deutschen Biathletinnen Denise Herrmann und Vanessa Hinz ihr Bedauern aus. "Es ist unglaublich. Ruhpolding gehört einfach dazu", sagte Hermann auf einer Pressekonferenz des DSV. Hinz fügte hinzu: "Ich bin enttäuscht, es ist mein Heim-Weltcup." Trotzdem zeigten sich beide froh darüber, dass der Weltcup überhaupt stattfindet.

Auch in Ruhpolding kann man die Entscheidung pro Oberhof verstehen. Justus Pfeifer und Frank Oette sind sich einig: "Wir stehen in Ruhpolding hundert Prozent hinter der Entscheidung. Die Vernunft muss da siegen."

© SZ vom 16.10.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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