Biathlon: Miriam Gössner:Schirm mit Löchern

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Miriam Gössner wird Zweite im Sprint von Östersund - ein erster Lichtblick für den Deutschen Skiverband in Zeiten des Biathlon-Umbruchs.

Volker Kreisl

Uwe Müssiggang konnte schon immer gut erklären und vermitteln, einer Sportlerin schlechte Nachrichten überbringen, zum Beispiel die Nicht-Teilnahme bei Olympia, und sie gleich wieder aufrichten. Der Trainer fand immer den Ausgleich zwischen all den starken deutschen Biathletinnen, was auch Ursache für zwei Jahrzehnte Biathlon-Erfolg war.

Miriam Gössner schaffte in Ostersund überraschend Platz zwei. (Foto: REUTERS)

Auch deshalb ist Müssiggang nach Olympia zum Chef-Bundestrainer aufgerückt, zum Leiter aller Biathlontrainer, die fortan in flacher Hierarchie für den DSV arbeiten. "Ich werde eine neutrale Position einnehmen", sagt Müssiggang. Er soll moderieren und motivieren, und die schwierigen Entscheidungen innerhalb der harten Konkurrenz erklären, nach innen und nach außen. Das Problem ist nur: Die gewohnte Konkurrenz starker deutscher Biathletinnen und Biathleten gibt es nicht mehr.

Am Freitagabend im Sprintrennen beim Weltcup von Östersund ist Miriam Gössner Zweite geworden. Das war eine Überraschung und ein Erfolg, welcher der Biathletin aus Garmisch neues Selbstbewusstsein geben wird. Doch am grundsätzlichen Problem der deutschen Mannschaft ändert das wenig. Die ersten Langdistanz-Rennen von Östersund haben bestätigt, dass die Abteilung Biathlon im DSV in einer ungewohnten Lage steckt.

Für die Teams der neuen Männer-Bundestrainer Mark Kirchner und Fritz Fischer sowie der Frauencoaches Gerald Hönig und Ricco Groß war beim jeweils ersten Saisoneinsatz am Mittwoch und Donnerstag ein Podestplatz nicht mal in Reichweite. Die Abteilung befindet sich im Umbruch, und zwar in einem, den es in den 20 Jahren nicht gegeben, in denen deutsche Biathleten von Sieg zu Sieg eilten und einen ungeahnten Fernsehmarkt öffneten.

Die Zahl derer, die auf dem Podest landen können, ist plötzlich überschaubar. Bei den Männern ist es die Gruppe, die im Winter 2009/10 einen Formeinbruch erlitt und ohne Olympiamedaille blieb. Sie sind zwar erfahren, aber bei Olympia hatte jeder seinen Misserfolg. Die Frage ist, wann dieser verarbeitet ist. Nach dem Abschied des Bundestrainers Frank Ullrich öffnen sich für Einige neue Möglichkeiten, weil etwa Fischer Wert auf spezielle Wünsche legt. Die Stimmung war zuletzt wohl auch zuversichtlich. Doch nun, da das Publikum wieder mit Bildern vom Schießstand versorgt wird, müssen die DSV-Männer bald treffen - das Schießen unter steigendem Zeitdruck war 2009/10 das größte Problem.

Mancher Durchhänger fiel nicht auf, weil es ja noch die Siege der Biathletinnen gab, aber dieser Schirm über den Männern hat Löcher bekommen. Kati Wilhelm, Simone Hauswald und Martina Beck sind seit März nicht mehr aktiv, Doppel-Olympiasiegerin Magdalena Neuner war zuletzt krank und dürfte erst spät die alte Form erreichen. Wie bei den Männern, so gab es auch bei den Frauen immer Kämpfe oder zumindest Diskussionen um Kader- und Staffelplätze, aber nun stehen die Talente Miriam Gössner, Juliane Döll und Tina Bachmann, am Freitag überraschend Vierte, kampflos im Mittelpunkt.

"Sie sind im Team, weil die anderen gegangen sind, nicht weil sie die verdrängt haben", sagt Müssiggang. Er hat deshalb bis zuletzt gesagt: "Prognosen stelle ich nicht." Durchschnittlich begabte Biathleten brauchen mindestens drei Jahre im Weltcup, um verlässlich gute Leistungen zu bringen. An dieser Erkenntnis ändert auch das gute Teamergebnis vom Freitag nichts.

Den einen fehlt die Erfahrung, manchen die Fitness und wieder anderen ist in Whistler das Selbstvertrauen abhanden gekommen. Es sieht nach einem längeren Wiederaufbau aus, aber weil der konstante deutsche Biathlonerfolg nicht ewig weitergehen konnte, weil ein solcher Neubeginn irgendwann kommen musste, ist der Zeitpunkt gleich zu Beginn der nächsten Olympiaperiode nicht der schlechteste.

Uwe Müssiggang wird dabei keinen internen Konkurrenzkampf, sondern eine andere Art von Druck moderieren müssen. Beschwichtigendes wird er mehr in Mikrofone und Aufnahmegeräte sprechen müssen und der Öffentlichkeit verdeutlichen, dass auch das möglich ist: eine Saison, in der deutsche Biathlon-Siege keine Selbstverständlichkeit sind.

© SZ vom 04.12.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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