Biathlon:Krone über der Mütze

Lesezeit: 3 min

23 Jahre alt und hoch fokussiert: Hanna Öberg gelingen im Einzelrennen der WM in Östersund vier einwandfreie Schießeinlagen. (Foto: AFP)

Hanna Öberg bestätigt die Erwartungen der Schweden - und ist die Nächste in der Reihe hochkarätiger Biathletinnen, der Trainer Wolfgang Pichler an die Spitze führt.

Von Saskia Aleythe, Östersund

Sie weiß heute schon, wie sie mit Wolfgang Pichler umgehen muss. "In der einen Minute ist er wütend und schreit, in der nächsten ist er schon wieder ruhig", sagt Hanna Öberg, 23 Jahre alt, über Pichler, 64. Ein paar Jahre trainieren sie schon zusammen, und als Öberg in diesem Einzelrennen am Dienstagabend ihre letzten Anstiege in Östersund meisterte, hetzte Pichler neben ihr den Hügel mit hoch. Immer innen lang gehen, habe der Trainer ihr zugerufen, "aber das ging ja nicht: Da war er ja schon", sagte Öberg später und lachte, da hatte sie sich die Freudentränen aus dem Gesicht gewischt. Und Coach Wolfgang, wie die Schweden ihn nennen, war ganz ruhig. Und genoss den Moment.

Wie sie da stand, seine Athletin: Ein Krönchen über die Mütze gezogen, um die erste Medaille der Schweden bei ihrer Heim-WM zu feiern - und dann auch noch Gold. Seit einem Jahr ist Öberg schon die Biathlon-Königin im Nationalteam, hatte sie doch bei Olympia in Pyeongchang Gold im Einzel gewonnen. Das war jedoch überraschend gewesen, weil sie zuvor nie ein Weltcup-Rennen für sich entschieden hatte. Dass sie nun als erste Frau im darauffolgenden Jahr auch das WM-Einzel als Erste beendete, bestätigt Pichler in seiner Arbeit und auch in seiner Prognose für Öbergs Zukunft. Er sagt: "Das ist erst der Anfang."

Am Morgen nach der großen Party fegte Neuschnee durch die Wälder Östersunds, an der Landstraße vor der Arena begrüßte eine große Leinwand die Besucher: "Gratulation zur Goldmedaille, Hanna Öberg!" Schwedische Reporter schrieben Kommentare: Ihr WM-Gold hier in Östersund sei so viel mehr wert als der Olympiasieg. Weil nun auch eine Last auf Öberg lag: Wer sich in Schweden für Biathlon begeistert, wünschte sich auch bei dieser WM eine Medaille von ihr. Im vergangenen Jahr wählten die Schweden sie zur Sportlerin des Jahres, sie prangt auf dem Veranstaltungsheft und all den Stoffplanen, die die Stadt schmücken. Ganz schön viel für eine, die zwar schon 2016 von der Junioren-WM mit Gold in Sprint und Verfolgung sowie Staffel-Silber heimkehrte, aber doch erst noch lernen muss, mit den Erwartungen fremder Leute umzugehen. Oder nicht?

"Olympia war schon sehr emotional für mich. Das ist jetzt ein neues Level"

Dieses Einzelrennen am Dienstagabend kann man auch als Lektion nehmen: Allzu oft reden Sportler davon, wie wichtig es sei, "fokussiert" zu sein während eines Rennens; in Öbergs Fall wurde es anschaulich. Den ganzen Tag schon sei sie "unheimlich fokussiert" gewesen, berichtete sie, konzentriert also, auf sich und ihre Fähigkeiten. Wie im Olympia-Einzel absolvierte sie drei fehlerfreie Schießeinlagen. Wieder skatete sie an Pichler vorbei, der vom schwedischen Fernsehen sogar während seiner Hopser den Berg hinauf interviewt wird. "Warten wir das letzte Schießen ab", rief der Ruhpoldinger den Journalisten zu; einst hatte er Magdalena Forsberg zu Erfolgen angetrieben. Nun kam Öberg zum letzten Mal an diesem Tag zum Schießstand, kaum 100 Meter von der Zuschauertribüne entfernt. Und dann dachte sie sich: "Genau hier möchte ich jetzt stehen und schießen. Jetzt habe ich die Gelegenheit, zu zeigen, dass ich die Olympiasiegerin bin."

Es folgten: fünf Schuss, fünf Treffer. Im Ziel fiel sie ihrem Vater in die Arme, später auch der Mutter. Sie weinten viel an diesem Abend. "Olympia war schon sehr emotional für mich. Das ist jetzt ein neues Level", sagte Öberg, die Schweden die erste WM-Medaille seit 2013 beschert hatte. Als sie in Pyeongchang in ihrem ersten Rennen im Sprint Siebte wurde, war der Flieger der Eltern noch nicht in Südkorea gelandet. "Wir dachten, wir haben das Rennen ihres Lebens verpasst", sagte Viktoria Öberg damals der Zeitung Svenska Dagbladet, "ein siebter Platz bei Olympia ist unglaublich." Nun ist die Tochter sogar Olympiasiegerin und Weltmeisterin.

Die Schweden hatten sich vorher schon Chancen auf WM-Medaillen ausgerechnet, nachdem in Pyeongchang viermal gejubelt werden konnte: Sebastian Samuelsson war Silber in der Verfolgung gelungen, der Männer-Staffel sogar Gold. Öberg rannte nicht nur zu ihrem Einzel-Gold, sondern auch mit der Frauen-Staffel zu Silber. Und nun, in Östersund, war sie auch schon im Sprint nah dran am Erfolg: Da verdrängte Laura Dahlmeier sie mit der Winzigkeit von 0,6 Sekunden vom Bronzerang. In der Verfolgung wurde Öberg trotz fünf Schießfehlern noch Fünfte, Kollegin Mona Brorsson verschoss erst im letzten Durchgang mit vier Fehlern Gold. Pichler hielt eine Motivationsrede, die offensichtlich Wirkung zeigte. "Er lebt dafür, den schwedischen Biathlonsport jeden Tag besser zu machen", sagt Öberg. Zu zahlreichen WM- und Olympiamedaillen hat er seine Athleten geführt, Öbergs Gold war: Nummer 43.

Bis auf einen dreijährigen Abstecher zu den russischen Frauen bis 2014 ist Pichler seit 1995 in Schweden aktiv, nach dieser Saison soll Schluss sein. Als Cheftrainer jedenfalls. Welchen Abschluss er sich wünscht? "Eine Medaille mit der Staffel."

© SZ vom 14.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: