Biathlon:Das Tier in ihm

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Der Norweger Johannes Thingnes Bö zeigt mit seinem knappen Sieg bei der Verfolgung, dass er bald zum überragenden Biathlet aufsteigen könnte.

Von Volker Kreisl, Pokljuka/München

Wahrscheinlich gibt es niemanden, der ihn besser einschätzen kann. Tarjej Bö betreibt den selben Sport, nämlich Biathlon, er ist fünf Jahre älter, er trainiert mit ihm seit sechs, sieben Jahren, und außerdem kennt er ihn ein Leben lang, weil er der Bruder ist von Johannes Thingnes Bö. Nach dessen 35. Weltcupsieg sagte der ältere über den jüngeren Bö im norwegischen Sender NRK: "Johannes ist nie gut im Training. Aber im Wettkampf erwacht das Tier in ihm."

Stark gestartet, nachlässig im Zielsprint: Johannes Thingnes Bö nimmt im Verfolgungsrennen von Pokljuka zu früh das Tempo heraus, rettet aber noch eine Zehntelsekunde Vorsprung vor dem Russen Alexander Loginow. (Foto: Darko Bandic/AP)

Damit hat der 30-jährige Bö über den 25-jährigen Bö fast alles gesagt. Er tadelt - typisch älterer Bruder - Johannes ein bisschen, und deutet aber zugleich an, dass dieser die Fähigkeiten zur ganz großen Karriere hat, wenn er seinen Ehrgeiz doch nur öfter in sich erwachen ließe. Dieser Biathlon-Saisonauftakt in Pokljuka, bei dem die Deutschen bis auf wenige Ausnahmen nicht mithalten konnten, hat die großen Qualitäten des Norwegers unterstrichen. Johannes Thingnes Bö hat mit seinen Siegen in Sprint und Verfolgung Martin Fourcade aus Frankreich erst einmal distanziert. Bö liegt im Weltcup-Klassement auf Platz eins, der siebenmalige Weltmeister und fünfmalige Olympiasieger dagegen auf elf - 79 Punkte hinter Bö.

Einzig Benedikt Doll hatte noch Chancen, vergab sie aber schon im ersten Schießen

Vorerst bleibt der Konkurrenz nur die Hoffnung, dass Bö anders als Fourcade oder sein großer Biathlon-Landsmann Ole Einar Björndalen so schnell kein Perfektionist wird. Dass das Stehendschießen von Bö noch eine Weile so windanfällig bleibt wie in Pokljuka. Da war er auf der vorletzten Runde wie schon öfter im vergangenen Winter alleine durch den Wald in Richtung Sieg geskatet. Womöglich hatte er sich dabei dann wie im Training gefühlt, jedenfalls erwachte der Schlendrian in ihm, und beim abschließenden Stehendschießen verzog er die letzten beiden Schüsse - fand sich aus der Strafrunde kommend in einer Dreiergruppe wieder, setzte sich kurz vor dem Ziel eigentlich schon wieder ab, entspannte sich aber zu früh, erschrak beim Blick zurück und rettete seinen Vorsprung im letzten Moment auf der Ziellinie. Trainer raufen sich da die Haare.

Nur ein Schießfehler: Die noch unerfahrene Anna Weidel aus Oberbayern belegt in ihrem zweiten und dritten Weltcup-Rennen die Plätze neun und elf. (Foto: Darko Bandic/dpa)

Die Trainer der deutschen Männer hatten so einen Wechsel zwischen Glück und Schrecken am Schlusswochenende von Pokljuka nicht erlebt. Benedikt Doll, der von Platz fünf aus gestartet war, hätte noch einen Podestplatz in der Verfolgung erreichen können, doch er verabschiedete sich aus dem Vorderfeld schon nach den Liegend-Einlagen - drei Fehler hatte er da geschossen. "Das Tempo war anfangs wohl zu hoch, da war konzentriertes Schießen nicht mehr möglich", sagte er in der ARD.

Bei den Frauen des Deutschen Skiverbandes verlief es nicht viel besser. Sie schossen zwar präziser als ihre Teamkollegen, konnten sich aber im Vergleich zum Sprint auch nicht verbessern. Gegen die fehlerfreien und laufstärkeren Weltcup-Besten holten sie nichts auf: Kaisa Makarainen aus Finnland gewann vor Dorothea Wierer (Italien) und der Slowakin Paulina Fialkova. Stabil als Neunte blieb Franziska Preuß (Haag) dennoch. Und weil sie sich, falls nicht länger krank, im Laufe eines Winters oft gesteigert hatte, ruhen nun die Hoffnungen auf ihr, jedenfalls so lange, bis Doppel-Olympiasiegerin Laura Dahlmeier aus ihrer Erholungspause zurückkehrt, frühestens Anfang Januar in Oberhof. Mit Platz zehn im Sprint und elf in der Verfolgung kann sich auch die 22-jährige Anna Weidel Hoffnungen auf mehr Einsätze machen. In ihrem zweiten und dritten Weltcup-Rennen hat sie sich bereits für die WM in Schweden qualifiziert. In Pokljuka hielt sie nun mit den Besten mit und leistete sich im Laufe des gesamten Wochenendes nur einen Schießfehler.

© SZ vom 10.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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