Biathlon:Das Rennen ihres Lebens

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Wenn Nadine Horchler ins Ziel kommt, geben die Sieger meist schon Interviews. Doch in Antholz nutzt sie eine unverhoffte Chance - und steht plötzlich selbst ganz oben. Es ist der Lohn für jahrelange Arbeit im Schatten.

Von Max Ferstl, Antholz/München

Als Laura Dahlmeier wieder zu Atem gekommen war, dachte sie vielleicht an Usain Bolt. Deutschlands beste Biathletin imitierte im Zielraum von Antholz jene berühmte Sterndeuter-Geste, die der jamaikanische Sprintstar nach seinen Siegesläufen aufführt. Da aber Dahlmeier keineswegs zur Selbstverliebtheit neigt, zeigten ihre Finger nicht zum Himmel. Sie zeigten auf Nadine Horchler. "Weil ich allen zeigen wollte, dass sie heute die Nummer eins ist", erklärte Dahlmeier, die üblicherweise die Nummer eins ist und es wohl auch am Samstag gewesen wäre. Wäre nicht Nadine Horchler das Rennen ihres Lebens gelaufen.

Als Zweite war Horchler auf die Schlussrunde gegangen. Sie holte zunächst Gabriela Koukalova ein, setzte sich 400 Meter vor dem Ziel ab, und schob sich drei Sekunden vor Dahlmeier über die Linie. "Das Stadion hat gebebt, ich habe meinen eigenen Herzschlag nicht mehr gespürt", sagte Horchler vor den Fernsehkameras, die plötzlich sie zeigten. Im Zielraum lag sie dann ausgepumpt neben Dahlmeier und Koukalova im Schnee. Ein seltenes Bild.

Horchler pendelte bislang zwischen erster und zweiter Liga im Biathlon

Wenn Horchler in der Vergangenheit ins Ziel trudelte, gaben die Besten oft bereits Interviews. Horchler, 30, war stets die Unauffällige, weit entfernt von den Podestplätzen. Sie gilt zwar als sichere Schützin, am Samstag etwa traf sie alle Scheiben. Doch in der Loipe kann sie nicht mit den Schnellsten mithalten. Oft sind auch durchschnittlich begabte Läuferinnen flotter. Deshalb hat Horchler bisher vor allem als Pendlerin Karriere gemacht, die im IBU Cup, der zweiten Liga im Biathlon, zwar regelmäßig mit guten Leistungen auffiel, sich aber im Weltcup bisher nie richtig durchsetzen konnte, wenn sie ihre Chance bekam. Horchler wurde zwischen Weltcup und IBU Cup hin und her geschoben. Sie selbst haderte, ihre Trainer zweifelten.

Vor drei Jahren ließ der damalige Bundestrainer Uwe Müssiggang beim Weltcup in Pokljuka lieber einen Startplatz unbesetzt, als Horchler zu nominieren. Diese machte ihrem Ärger via Facebook Luft, zog daraus jedoch auch Motivation. Sie trainierte hart, bis die Ärzte ein Übertraining feststellten. In der Pause quälte sie sich mit Fragen nach der Zukunft herum. Doch im Nachhinein half ihr die Zeit, um sich zu finden. Sie beendete 2015 ihre Ausbildung zur Heilpraktikerin für Psychotherapie. Und sie erkannte, dass das Sportlerdasein ein Privileg ist, "dass es egal ist, wo ich laufe. Ich will es einfach genießen und ich würde nirgendwo anders gerne zur Arbeit gehen."

Im vergangenen Februar gewann sie Gold im Sprintrennen bei den Europameisterschaften in der zweiten Biathlon-Liga, Schwester Karolin, 27, wurde Zweite. Während Dahlmeier und Co. im Weltcup glänzten, reihten die Horchler-Schwestern eine Etage tiefer gute Ergebnisse aneinander. Anfang Januar dieses Jahres gab es dann die Belohnung: Weil Dahlmeier eine Ruhepause einlegte und Franziska Preuß kränkelte, rückten die Horchlers in Oberhof in die Weltcup-Mannschaft. Das Kalkül von Bundestrainer Gerald Hönig: Die Schwestern sollten den Druck auf die Etablierten erhöhen, allen voran auf die chronisch schießschwache Miriam Gössner.

Sie rutschte nur ins Feld, weil Konkurrentinnen pausierten

"Wenn man die Chance hat, möchte man sie auch nutzen", sagt Nadine Horchler, die damit so oft gescheitert war. Vielleicht musste sie es auch nur oft genug versuchen, diesmal half auch das Glück: Ins Massenstart-Rennen rutschte Horchler nur, weil Konkurrentinnen pausierten. "Ich habe eigentlich gar nicht mehr damit gerechnet, dass ich mitlaufen darf. Ich war daher ganz entspannt", sagte Horchler.

Die Bedingungen in Antholz auf über 1600 Metern Höhe liegen ihr. 2013 hat sie hier mit zwei fünften Plätzen ihre besten Ergebnisse erzielt. Die dünne Luft lässt die Konkurrenz schneller ermüden, Horchlers Schwäche im Laufen wiegt in Antholz weniger schwer. Während Koukalova am Samstag auf der letzten Runde einbrach, konnte Horchler zulegen: "Auf der Schlussrunde habe ich dann gemerkt, dass ich gut drauf bin. Da bin ich einfach vorbeigegangen." Der Sieg kommt zu einem sehr günstigen Zeitpunkt. "Ich weiß gar nicht, wie es jetzt weitergeht", sagte Horchler lachend, denn sie wird umplanen müssen. Statt zur EM ins polnische Duszniki-Zdroj, darf sie nun nach Hochfilzen reisen: zur Weltmeisterschaft.

© SZ vom 22.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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