Biathlon:Baum aus dem Kopf

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Arnd Peiffer, 28. (Foto: A. Ivanov/imago)

Sportlerschicksal: Arnd Peiffer prallte kürzlich gegen ein lächerlich schlecht gesichertes Hindernis. Nun muss er die Begegnung so schnell wie möglich vergessen. "Ich bin froh, überhaupt wieder dabei zu sein", sagt er.

Von Volker Kreisl

Klingt logisch, was Arnd Peiffer sagt. Viele Verletzte, erklärt er, verzweifelten ja manchmal, wenn sie "im Graben liegen". Bei ihm aber sei das anders gewesen. Denn als er im Graben lag, hatte er eine Gehirnerschütterung. Und bei einer Gehirnerschütterung kommt es zum Gedächtnisausfall. Und wegen des Gedächtnisausfalls, sagt er, "kann ich mich auch nicht erinnern". Kein Graben, kein Grübeln, kein Trauma.

Der Biathlet Arnd Peiffer, 28, ist schon auf das nächste Ziel fokussiert, die Weltmeisterschaft in Oslo ab kommenden Donnerstag. Und seit seinem fürchterlichen Sturz vor 14 Tagen in Presque Isle/USA hat sich Peiffers Sichtweise auf die Saison verändert. "Ich bin froh, überhaupt wieder dabei zu sein", sagt er. Die penible Einhaltung des WM-Aufbau- Planes hat sich erledigt. Peiffer muss nun primär auf sein "Körpergefühl" achten. Je nachdem, wie es ihm geht, bolzt er Kondition oder ruht er.

Seine Erinnerung gibt ihm ja noch präzise Bilder, sie setzt erst dort aus, wo es traumatisch wurde, also in dem Moment, als die Rinde des Baumes auf ihn zu raste. Peiffer war in hohem Tempo bei der Abfahrt auf eine Eisplatte geraten, und wer jemals mit scharfkantigen Alpinskiern auf einer Eisplatte mühsam Halt fand, der kann sich vorstellen, wie die Post abgeht, wenn man mit Langlauflatten auf Eis das Gleichgewicht verliert, weil auf dem Innenski zu wenig Druck lastet, und der Außenski wegrutscht. Peiffer ist also ein Fahrfehler unterlaufen. Woran er dann keine Schuld trug, war das dünne Begrenzungsnetz am Pistenrand, er nennt es "Alibi-Zaun".

Gut sei dieser im Prinzip nur dafür gewesen, dass er mit dem rechten Ski einfädeln konnte, nach rechts weggerissen wurde und ungebremst auf den Baum zuhielt, dessen Rinde streng genommen eingewickelt war, aber nicht mit dicker Polsterung, sondern "so", sagt Peiffer und deutet mit Zeigefinger und Daumen die Stärke eines Schulheftes an.

Zu sich gekommen ist er dann im Krankenhaus, wo ihm Ruhe verordnet wurde. Die Gehirnerschütterung hat er nun weggeruht; was ihm noch zu schaffen macht, ist die Muskelverspannung im Rücken, eine "Schutzspannung" nach der Prellung der Brustwirbelsäule. "Der Rücken ist noch nicht ganz optimal, das versuche ich mit dem Physiotherapeuten hinzukriegen", sagt Peiffer. Ein Biathlet trifft nicht, wenn er beim Zielen auf die Zähne beißen muss, Peiffer braucht bei der WM nicht nur innere Ausgeglichenheit, sondern auch einen entspannten Rücken.

Hilfreich ist es, dass Peiffer nach bald zehn Biathleten-Jahren Aufschwünge und Abstürze recht gut kennt. Er ist als 20-Jähriger mit einer WM-Staffel-Medaille auf die große Bühne geplatzt, erlebte 2010 die Olympia-Enttäuschung der deutschen Männer, wurde 2011 Sprint-Weltmeister und 2012, beim Auftakt der Heim-WM in Ruhpolding, missriet ihm auf Goldkurs liegend der Einsatz in der Mixed-Staffel. Auch dies war eine Art K.o. - eine Geschichte, ähnlich komplex wie die aktuelle mit dem Baum. Nur so viel: Die Ruhpoldinger WM war im März statt wie die Weltcups im Januar, keiner rechnete damit, dass die Sonne plötzlich hinter dem Berg hervorstechen und die Schützen blenden würde, und der blinzelnde Peiffer war ihr erstes Opfer.

Schon damals hat er keine Ausreden angeführt, er antwortete sachlich und ging schnell zur Tagesordnung über. Große Einzelerfolge gelangen ihm nicht mehr, doch mit den Staffeln holte Peiffer acht WM-Medaillen. 2014 gewann er Staffel-Silber bei den Spielen in Sotschi, bei der WM im vergangenen Jahr Gold. Und sollte er die starke Form vom Saisonbeginn doch rechtzeitig wieder aufnehmen, dann ist auch in Oslo alles möglich.

Im Grunde steckt ja im Erfolg jedes Biathleten immer auch eine dosierte Anwendung partieller Amnesie. So wie seine Schießfehler muss er auch Krankheiten und fürchterliche Stürze so schnell wie möglich aus seinem Gedächtnis löschen. Arnd Peiffer ist das immer wieder gelungen.

© SZ vom 27.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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