Biathlon:Auf eigenem Niveau

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Martin Fourcade eilt bei der Biathlon-WM von Sieg zu Sieg. Alle sechs möglichen Titel könnte der überragende Franzose gewinnen - und tritt doch als Mensch mit Schwächen auf.

Von Volker Kreisl, Oslo

Als er sich verabschiedete, um hinauszuziehen und WM-Gold zu gewinnen, als er sich von seiner Tochter kaum trennen mochte, da sagte seine Frau, er solle sich nicht so haben: "Manon ist auch noch da, wenn du wieder kommst. Und ob du gewinnst oder verlierst, ist ihr eh egal." Manon ist fünf Monate alt.

Das hat geholfen. Martin Fourcade erzählte bei der WM, dass ihn vor dem Sprint die alte Nervosität ergriffen hatte und der Zweifel, ob die erste Startgruppe richtig war. Da dachte er an Manon, und der Gedanke habe ihn für zwei Sekunden aus der Nervosität gerissen. Zwei Sekunden Pause vom Biathlon-Rummel vor 25 000 Zuschauern. Zwei Sekunden Tochter, zwei Sekunden Normalität. Dann ging er in die Spur. Und gewann WM-Gold.

Davor wurde Fourcade in Oslo schon Weltmeister im Mixed, danach Weltmeister in der Verfolgung, und so wird es wohl weitergehen. Er wird weitere Titel holen, vielleicht den am Donnerstag im Langstreckenrennen (15.30 Uhr, ZDF), vielleicht alle sechs. Und es ist niemand erkennbar, der ihn in den Monaten und Jahren danach überholen könnte. Denn im Biathlon brauchen Talente viel Zeit, bis sie das höchste Niveau haben, also das von Fourcade.

Die Experten gehen davon aus, dass er noch besser wird als der Rekordweltmeister, die laufende Legende Ole Einar Björndalen. Raphael Poirée sagt das zum Beispiel, achtmaliger Weltmeister und französischer Experte, und Björndalen auch: "Ich hatte mich stets auf bestimmte Wettkämpfe konzentriert, wie die Weltmeisterschaften - Fourcade gewinnt alles, auch den Gesamtweltcup." Und als Menschen vergleichbar sind die beiden ohnehin nicht.

Biathlon-Rekordhalter Ole Einar Björndalen (l.) beäugt anerkennend seinen möglichen Nachfolger - Martin Fourcade hat drei WM-Titel in Oslo gesammelt. (Foto: Jonathan Nackstrand/AFP)

Wie alle Seriensieger wird nun auch Fourcade in seinem Milieu überhöht, aber auf ihn wirken Titel wie Superstar oder Gigant besonders unpassend, denn anders als Björndalen tritt Fourcade weiterhin als normaler Mensch mit Schwächen auf. Er ist einer, der gerne mit dem Publikum in Kontakt tritt, der vor seinen Siegen Späßchen macht, indem er etwa wie einst in Hochfilzen kurz so tut, als verirre er sich vor dem Ziel, und der dann aufrichtig in sich geht, wenn ihn humorfreie Traditionalisten warnen, das könne aber arrogant rüberkommen. Und einer, der keinen Hehl daraus macht, dass er vor den ganz großen Aufgaben immer noch Bammel hat.

Er hatte vor dem Sprint in Oslo den Auftakt in Sotschi im Kopf, wo ihn die Nerven eine Olympiamedaille kosteten. Aber er hat auch dank seiner ganz normalen Familie gelernt, große Wettkämpfe zu sehen wie ganz normale Aufgaben. Fourcade wirkt im Wettkampf heute unbeirrbar. Hinter dieser Selbstverständlichkeit steckt allerdings ein langer und mitunter beschwerlicher Karriereweg, der vor mehr als 20 Jahren im Wintersportgebiet in Font Romeu in den Pyrenäen begann.

Fourcade fuhr wie alle Winter-Cracks früh Ski, ungewöhnlich war damals eher der Umstand, dass er einen vier Jahre älteren Bruder hatte, Simon, dem es logischerweise nachzueifern galt. Als Simon ein aussichtreicher Biathlet wurde, wollte es Martin auch, und als Simon ins Leistungssportzentrum nach Villard de Lans in der Region Rhone umzog, wollte es Martin auch. Er bettelte seine Eltern so hartnäckig an, bis diese nachgaben. Dann erkannte er, dass es ernst wird. Der Sportzeitung L'Équipe sagte er: "In dem Moment, in dem du ins Auto steigst, kapierst du: 500 Kilometer weit weg zieht man nicht, außer man will der Beste werden."

Fourcade, der alle Voraussetzungen mitbrachte außer einem kräftigen Körper, brauchte drei weitere Jahre, bis er erstmals auffiel, zwei weitere Jahre bis zu seinem ersten WM-Titel, ein weiteres, ehe er erstmals den Gesamtweltcup gewann. Die Olympischen Spiele in Sotschi 2014 beendete er mit zwei Siegen, aber das Betteln ging weiter, nur waren es nicht mehr die Eltern, sondern die Medien.

Fourcade ist da recht realistisch. Jahrelang musste das Team zu Saisonbeginn aus den Alpen nach Paris reisen, lud in einem Konferenzraum die Medien der Hauptstadt ein, stellte sich vor, erinnerte an den Weltcup und musste auch immer wieder manchem erklären, was Biathlon eigentlich ist. Fourcade sagte einmal - allerdings bei anderer Gelegenheit - Biathlon sei "ein sympathischer Sport, den aber fast keiner betreibt".

Große Sieger aber räumen nicht nur Pokale ab und zählen zu Hause ihre Titel, sondern sie bringen auch den Sport, den sie lieben, voran. Und auch auf diesem zweiten Feld hat Martin Fourcade Fortschritte gemacht. Es ist wohl vor allem ihm zuzuschreiben, dass seit dieser Saison Biathlon erstmals live im frei empfangbaren französischen Fernsehen läuft. Für den Beginn ist die Quote beachtlich, 600 000 Zuschauer werden gemeldet. Und irgendwann ist Manon wohl auch dabei.

© SZ vom 09.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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