Bahnrad-EM in Belarus:Die letzten Freunde des Diktatoren

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Der belarussische Präsident Alexander Lukaschenko nutzt den Sport gerne als Bühne für seine Propaganda. (Foto: Sergei Sheleg/Itar-Tass/Imago)

Europas Rad-Verband muss der belarussischen Hauptstadt Minsk endlich die Bahn-EM entziehen. Es ist verstörend, welche Signale der Sport in Richtung des Regimes sendet.

Von Johannes Aumüller

Es ist mal wieder ein eindringlicher Appell, den die Mitglieder der unabhängigen belarussischen Athleten-Organisation BSSF an den organisierten Sport senden. Es ist beileibe nicht ihr erster - und es steht zu befürchten, dass es auch nicht ihr letzter sein wird. Der aktuelle Aufruf der BSSF richtet sich insbesondere an die europäischen Radsport-Funktionäre, und er lautet: Bitte entzieht der belarussischen Hauptstadt Minsk und damit dem belarussischen Diktator Alexander Lukaschenko endlich die für Ende Juni geplante Bahnrad-EM.

An diesem Donnerstag trifft sich das Exekutivkomitee des Europa-Verbandes UEC, um über diese Frage zu entscheiden - und manches deutet darauf, dass es tatsächlich einen neuen Austragungsort gibt. Der organisierte Sport steht traditionell oft an der Seite der Autokraten, aber nur kurz nach einer offensichtlich staatlich angeordneten Flugzeug-Entführung und der Inhaftierung eines regierungskritischen Journalisten und angesichts einer so breiten politischen Verurteilung des Vorgangs die Sportler über die Rad-Bahn von Minsk pedalieren zu lassen, schafft wohl nicht einmal er. Zumal manche nationalen Verbände, darunter der deutsche, schon klar erklärten, dass sie nicht teilnehmen werden.

Allerdings wäre ein EM-Entzug auch kein Grund für übermäßige Komplimente. Es hätte nun wahrlich nicht die neueste Eskalation gebraucht, um Minsk als Ausrichterort zu ersetzen. Schon seit Herbst wird nahezu täglich dokumentiert, wie der Diktator Lukaschenko die Proteste gegen die offenkundig gefälschten Präsidentschaftswahlen niederschlägt, wie er mit seinem Willkürregime ein ganzes Volk terrorisiert. Neben Tausenden anderen sind unter den Opfern auch viele Sportler, die sich gegen Lukaschenko stellen. Es ist verstörend, dass diese Entwicklungen der UEC noch nicht für einen EM-Entzug ausreichten.

Bei der Eishockey-WM weht nun die Fahne der belarussischen Opposition

Aber auch andere Verbände senden frappierende Signale. Der europäische Fußball-Verband (Uefa) etwa entschied soeben, dass die U19-EM der Frauen 2025 in Belarus stattfindet. Der Eishockey-Weltverband strich zwar zu Jahresbeginn nach massiven Protesten aus der Politik und von Sponsoren Minsk als Spielort für die gerade laufende WM. Aber offenkundig gibt es an der Spitze weiter eine gewisse Grundsympathie, wie sich dieser Tage in Riga zeigt. Die lettische Hauptstadt ist nach dem Aus für Minsk alleiniger WM-Gastgeber, und die Stadt-Verantwortlichen ersetzten auf mehreren öffentlichen Plätzen die offizielle Flagge von Belarus durch die Fahne der belarussischen Opposition. Eishockey-Boss Rene Fasel aber findet das nicht akzeptabel. Die letzten Freunde des Diktators lassen sich wohl nicht zuletzt im Sport finden.

Sollten Europas Rad-Funktionäre Minsk am Donnerstag durch einen anderen Ort ersetzen, hätten sie übrigens eine prima Gelegenheit, ihre neue Haltung an anderer Stelle fortzusetzen. Denn die für Oktober vorgesehene Bahn-WM hat der Weltverband UCI allen Ernstes nach Aschgabat in Turkmenistan vergeben - und damit an eines der laut Menschenrechtler schlimmsten Regime des Globus. Die Europäer stellen immerhin zehn der 17 Mitglieder des UCI-Komitees, das diese Entscheidung noch rückgängig machen könnte.

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