Beachvolleyball:Deichbruch

Lesezeit: 3 min

Noch zu unkonstant: Flüggen (li.) und Böckermann (re.) verloren beim Weltserien-Turnier in Rio erst das Finale. Bei der DM wurden sie nur Vierte. (Foto: Silvia Izquierdo/AP)

Ein Überraschungssieg bei den nationalen Titelkämpfen offenbart Probleme bei den Beachvolleyball-Männern.

Von Sebastian Winter

Timmendorfer Strand, Sonntagmittag, viel Wind, aber nicht mehr so hohe Wellen. Wie am Freitag noch, als das Wasser die Nebenfelder teilweise unterspülte - und nur durch eilig aufeinandergestapelte Sandsäcke zurückgehalten werden konnte. 6000 Zuschauer füllten die Ahmann-Hager-Arena beim Männerfinale der deutschen Beachvolleyball- Meisterschaft. Und sie staunten, auch über die vier Matchbälle der klaren Außenseiter Armin Dollinger und Clemens Wickler (VfR Garching/TV Bad Tölz).

Ihre Gegner, die Berliner Kay Matysik und Jonathan Erdmann, topgesetzt, Olympia-Neunter in London, WM-Dritter von 2012, nahmen dann noch eine Auszeit, Erdmann lag rücklings auf dem Sand und ließ sich ärztlich behandeln. Matysik, der mittlerweile 35-jährige Abwehrspieler, sagte währenddessen vor laufender Kamera zu Sky-Kommentator Julius Brink, dem zurückgetretenen Olympiasieger: "Wollen wir noch einen Deal machen, dass wir jetzt schnell mit dem Pokal wegrennen? Kriegt ja keiner mit. Der ist jetzt grade sechs Punkte weg, der Pokal. Vom Gefühl her würde ich sagen: weit." Sehr weit. Matysik und Erdmann hatten im zweiten Satz Matchball, da waren sie sehr nah dran am dritten Erfolg nach 2012 und 2014. Aber am Schluss schnappte sich nicht Matysik den Pokal, sondern das Duo Dollinger/Wickler mit 2:1 (18:21, 23:21, 15:11).

Die deutsche Meisterschaft ist nationaler Saisonabschluss der Beachvolleyballer, aber immer auch ein Stimmungsbarometer, auf und neben dem Platz. Gerade im Jahr vor den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro, bei denen die Deutschen als Titelverteidiger starten. So schön der Überraschungserfolg von Dollinger, 24, und Wickler, 20, ist, so sehr er zeigt, dass auch hierzulande trotz vieler Strukturmängel Talente gedeihen: Ihr Sieg offenbart auch die gravierenden Probleme, die die Männer in diesem Sommer gerade an der Spitze haben.

Das zweite Nationalteam trennte sich im Sommer - eine Flut von Anschuldigungen folgte

Erdmann und Matysik hatten viele Verletzungsprobleme und keine sonderlich gute Saison, im Finale wirkten sie ausgebrannt. Ohnehin scheint ihre Zusammenarbeit nur noch von begrenztem Zeitwert zu sein, in einem Interview mit dem Volleyball-Magazin sagte Matysik über das Verhältnis zu seinem Partner: "Joni und ich pflegen eine Arbeitsbeziehung, die herausfordernd ist und bei der wir immer wieder an Grenzen stoßen." Und überhaupt: Bei der Bewertung, wie der Weg nach Rio aussehen soll, "gehen wir nicht immer konform". Immerhin hat das derzeit erfolgreichste deutsche Männer-Duo seine Probleme erkannt - und arbeitet mit einer Mentaltrainerin an Lösungen. Matysik setzt sich darüber hinaus als Aktivensprecher vehement für die Spieler ein: So arbeitet er im seit Monaten schwelenden Streit mit dem Deutschen Volleyball-Verband (DVV), der von seinen Nationalteams, die sich selbst vermarkten, eine Lizenzgebühr verlangt, an einer Kompromisslösung.

Beim zweiten Nationalteam Walkenhorst/Windscheif ist die Lage ganz anders. Es trennte sich in diesem Sommer, eine Flut von gegenseitigen Anschuldigungen folgte. Die Arbeitsbeziehung von Walkenhorst und Windscheif endete in einem wahren Rosenkrieg. Mittendrin: Ihr Trainer Andreas Künkler, der als Vizepräsident des DVV für Beachvolleyball zuständig ist - auch eine interessante Form der Ämter- häufung. Walkenhorst und Windscheif hätten gute Chancen gehabt, sich neben Matysik und Erdmann den zweiten deutschen Quotenplatz für Rio zu sichern. Nun haben sie eine Lücke hinterlassen, die kaum zu füllen ist. Denn Dollinger und Wickler haben zu wenige Punkte in der Weltserie, sie könnten höchstens über ein zusätzliches Qualifikations-Turnier, den Continental Cup, aufspringen. Ob sie vom Verband dafür nominiert werden, ist unklar.

Die besten Chancen haben zurzeit noch

Lars Flüggen und Markus Böckermann, die wie Dollinger und Wickler erst seit dieser Saison zusammenspielen. Die Studenten haben am vorvergangenen Sonntag beim Weltserien-Turnier im Halbfinale Alison Cerutti und Bruno Oscar Schmidt bezwungen, die brasilianischen Weltmeister.

Das Finale verloren sie zwar gegen die Europameister Samoilovs/Smedins aus Lettland, aber 450 Weltranglisten-Punkte waren ihnen sicher - und 8000 Dollar. Das Turnier galt auch als Generalprobe für die olympischen Beachvolleyball-Wettbewerbe im nächsten Sommer. Bei der DM scheiterten Flüggen und Böckermann hingegen an den späteren Siegern Dollinger/Wickler, ihnen fehlt es noch an Konstanz.

Viele Fragezeichen sind das noch bei den deutschen Männern, deren Hierarchien sich gerade gewaltig verändern - während die Frauen sehr entspannt nach Rio blicken. Laura Ludwig hat in Timmendorfer Strand gerade ihren sechsten DM-Titel gewonnen, vor sechs Wochen ist sie zum dritten Mal Europameisterin geworden. In Kira Walkenhorst hat sie nach dem Rücktritt ihrer Partnerin Sara Niedrig (früher: Goller) vor drei Jahren die passende Partnerin gefunden, die Chemie stimmt offenbar, auf und neben dem Feld. Hinter den Weltranglisten-Siebten kämpfen drei weitere Duos um den zweiten Quoten-Platz. Ganz ohne öffentliche Zickereien. Nach dem DM-Sieg sagte Ludwig in Richtung Rio: "Es ist greifbar, aber noch viel harte Arbeit." Sie ist dann 30, nicht zu jung, nicht zu alt, um ihre Karriere zu krönen.

© SZ vom 15.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: