Bayer Leverkusen:Stresstest im Sumpf

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Nur noch vier Punkte vom Relegationsplatz entfernt: Tayfun Korkut, 43, gerät nach missglückten Engagements in Kaiserslautern und Hannover auch in Leverkusen in Bedrängnis. (Foto: Maja Hitij/Getty Images)

Leverkusens neuer Trainer Tayfun Korkut ist ein freundlicher Mensch. Weil sein positives Wesen aber bislang kaum eine positive Wirkung auf den Fußball seiner Mannschaft zeigt, will sich der 43-Jährige nun von einer härteren Seite zeigen.

Von Philipp Selldorf, Leverkusen

Mit dem neuen Trainer Tayfun Korkut hielt am 6. März bei Bayer Leverkusen eine Art Frühlingserwachen Einzug. Leichtigkeit und Beschwingtheit lagen in der Luft. Tags zuvor hatte Roger Schmidt auf Befehl der Vertreter der Bayer AG seinen Posten räumen müssen, als vormaliger Chefcoach hatte Schmidt zwar nicht direkt eine Schreckensherrschaft ausgeübt, aber seine Gegenwart war vielen Bayer-Leuten und wenigstens ebenso vielen Bayer-Spielern zuletzt sehr, sehr anstrengend vorgekommen. Mit Schmidts Beurlaubung und mit dem Engagement des freundlich gesinnten Herrn Korkut schien klar zu sein: Bei Bayer Leverkusen möchte man bis zum Saisonende keinen Stress mehr haben.

Korkuts Weiterbeschäftigung in Leverkusen ist zuletzt eher selten thematisiert worden

Einige Wochen später lässt sich nun feststellen, dass der Auftritt zum Einstand nicht getäuscht hat: Tayfun Korkut, 43, ist wirklich ein freundlicher Mensch. Es wurde sogar schon behauptet, dass mit ihm "die Menschlichkeit zu Bayer zurückgekehrt" sei, doch die Erwartung, dass aus seinem positiven Wesen auch eine positive Wirkung auf den Leverkusener Fußball hervorgehen würde, die hat sich nicht bestätigt. Das kann man in der Tabelle ablesen, in der lediglich vier Punkte den Klub vom Relegationsplatz trennen (am 6. März waren es sieben). Weshalb der Stress bei Bayer 04 nicht ab-, sondern sogar gewaltig zugenommen hat, und weshalb sich Korkut jetzt von der anderen Seite präsentieren möchte. Von der harten Seite nämlich.

Nachdem nun der Coach die Öffentlichkeit auf das wegweisende Duell mit Schalke 04 am Freitagabend eingestimmt hatte, meldete eine Nachrichtenagentur, er habe eine "Brandrede" gehalten; dies war allerdings eine Beleidigung für alle berühmten und berüchtigten Brandredner von Marcus Tullius Cicero bis Werner Lorant. Zwar hat Korkut den Versuch unternommen, Bayer Leverkusen und den Rest der Welt mit flammenden Sätzen auf den Ernst der Lage einzustimmen, doch die Hitze seiner Rede machte keinen Brandschützer nervös, sondern allenfalls die Sport-Manager des Vereins. Etwa wenn sie hörten, dass Korkut auf sein eigenes zwiespältiges Wort verwies, das er nach der 1:2-Niederlage in Freiburg gesprochen hatte: "Die Liga geht jetzt erst los", hatte er dort gesagt. "Und das meine ich auch so", fügte er nun hinzu, was den Satz nicht besser macht. Öffentliche Hurra-Reden sind offenkundig nicht sein Ding. "Wir stecken im Sumpf, das ja", räumte er ein, "aber wir wollen nicht, dass uns irgendjemand den Kopf runter drückt."

Anfang März hatte man bei Bayer geglaubt, dass Korkut als Inhaber einer Fußballlehrer-Lizenz imstande wäre, das fraglos vorhandene Potenzial des Kaders zu heben. Man verlangte nicht zu viel, keinen Champions-League-Platz, nein, nicht mal die Europa League, die bei Bayer wenig Interesse weckt - man wollte bloß ein friedliches Ende. Es sollte ein Geschäft auf Gegenseitigkeit sein: Korkut könnte mit der Auftragserfüllung seinen Ruf restaurieren, der nach dem missglückten Job in Kaiserslautern (wo er selbst aufgab) und dem schlechten Ende in Hannover (wo er eine Serie von Misserfolgen hinlegte) gelitten hatte. Seine Leverkusener Bilanz dient bisher nicht als Referenz. Sein Verdienst ist es, den von Schmidt verschmähten Rechtsverteidiger Roberto Hilbert wieder auf den Platz gebracht zu haben. Was allerdings zur Folge hatte, dass der von Schmidt entdeckte und schon von Jogi Löw geschätzte Rechtsverteidiger Benjamin Henrichs nur noch spärliche Einsatzzeit bekam.

Die Weiterbeschäftigung als Trainer in Leverkusen, die Sportchef Rudi Völler bei der Präsentation am 6. März vage in Aussicht gestellt hatte, ist zuletzt eher selten thematisiert worden. "Das ist das, worüber ich mir am wenigsten Gedanken mache", sagte Korkut, der die Niederlage in Freiburg im Nachhinein als wertvoll ansieht. Bis zu diesem Auftritt (der selbst nach Einschätzung der beteiligten Spieler vorwiegend erbärmlich war) habe man noch auf den Anschluss an die oberen Ränge spekuliert. "Nach der Niederlage in Freiburg aber ist das Bild klar, auch wenn es kein Bild ist, das uns gefällt", sagte Korkut. Und dieser Satz ist doch immerhin unzweideutig richtig.

© SZ vom 28.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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