Bayer Leverkusen:Pizza und Aspirin

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Er ist so frei: Alvaro Morata nutzt seine Chance, die Partie gegen Leverkusen per Kopf zu entscheiden. (Foto: Oscar del Pozo/AFP)

Bayer Leverkusen wechselt nach dem 0:1 bei Atlético Madrid erstaunlich schnell von der Enttäuschung über das Ergebnis zur Zufriedenheit über die Leistung.

Von Javier Cáceres, Madrid

Man kann, wie sattsam bekannt sein dürfte, Fußballspiele auch durch den Fleischwolf der gastronomischen Begriffe drehen. In Madrid geschieht das zurzeit besonders intensiv, genauer: seit Atlético-Trainer Diego Pablo Simeone in einem Radiointerview vor den Teufeln warnte, die seinen Beton-Fußball dekonstruieren wollen und Gourmetfußball fordern.

"Sollen sie uns ja nicht verwirren: Uns schmeckt Pizza. Und wenn du Pizza magst: Iss Pizza. Iss nichts anderes!", sagte Simeone bei Cadena SER. Dienstagabend gab's gegen Bayer Leverkusen in der Champions League ebendies: Pizza, und nicht etwa Hummer oder Kaviar. Und als die Hymne ertönte ("Atleeeeti, Atleeeeeti, Atleeetico de Madrid ..."), konnte Simeone zufrieden konstatieren, dass der Großteil der Fans seines Teams gesättigt nach Haus ging. Denn es hatte gegen die Gäste aus Alemania 1:0 gesiegt. Für die Leverkusener trug das tragische Züge: Im dritten Spiel der Gruppe D der Champions League hatten sie die dritte Niederlage eingefahren. Und das wiederum bedeutete, dass Leverkusen dem K.o. in der Königsklasse nahe ist.

Natürlich wies Rudi Völler, Leverkusens Manager, darauf hin, dass sich eine Kapitulation verbittet; theoretische Optionen auf das Achtelfinale bestehen ja noch. Doch das war freilich nur eine Frage der Pflichtschuldigkeit. Mit wirklicher Überzeugung - "man muss realistisch sein" - warb Völler nur noch darum, den dritten Platz in der Gruppe D zu sichern. Das würde Leverkusen erlauben, im kommenden Jahr noch in der Europa League kontinental vertreten zu bleiben. Doch da das Heimspiel gegen den von vornherein schwächsten Gruppengegner, Lokomotive Moskau, bereits verloren ging, sind die Chancen nicht gerade die besten.

Es gab in Madrid Phasen, in denen man den Eindruck gewinnen konnte, dass Leverkusen die Partie dominierte. "Unser Spiel war total gut anzusehen", sagte etwa Manager Rudi Völler. Doch "der letzte Pass", von Trainer Peter Bosz zum "schwierigsten Pass im Fußball" geadelt, habe "gefehlt" - so jedenfalls referierten es die Stürmer Kevin Volland und Völler.

In der 78. Minute zeigte Atlético mit seiner im Grunde einzigen gelungenen Aktion, was man unter Durchschlagskraft zu verstehen hat. Nur acht Minuten nach seiner Einwechslung hämmerte Morata eine Flanke aus kurzer Distanz und vollem Lauf per Kopf ins Leverkusener Tor - nach dem gefühlt ersten raumöffnenden Atlético-Pass der Partie, von Mittelfeldspieler Thomas Lemar auf Linksverteidiger Renan Lodi. Leverkusens Torwart Lukas Hradecky war am Kopfball Moratas noch mit der Hand dran, hatte aber im Grunde keine Abwehrchance mehr, dafür war der Angreifer viel zu ungedeckt. "Wir mussten gewinnen und haben gewonnen - wie, ist im Fußball egal", sagte Morata, der erst sein zweites Saisontor erzielte und für ein Kuriosum sorgte: Er ist der erste Spieler, der in der Champions League für Real Madrid und Atlético getroffen hat. Die Enttäuschung, die Leverkusens Équipe noch auf dem Rasen gezeigt hatte, war überraschend schnell verschwunden. Nadiem Amiri etwa sagte, dass man die vielleicht beste Saisonleistung gezeigt habe; der Vorstandsvorsitzende Fernando Carro prognostizierte sogar, dass man in der Bundesliga "ganz oben" mitspielen werde, wenn man die in Madrid gezeigte Leistung kontinuierlich abrufen könne.

Dass die Leverkusener Selbstvergewisserung etwas üppiger ausfiel als nötig, dürfte dem Umstand geschuldet gewesen sein, dass am Freitag das Team bei Eintracht Frankfurt (0:3) massiv enttäuscht hatte. Es kam dadurch allerdings etwas zu kurz, dass man auf ein kriselndes Atlético getroffen war. Die aktuelle Mannschaft ist weit von den Teams entfernt, die in den Jahren 2014 und 2016 das Champions-League-Finale erreichten und dann jeweils am Nachbarn Real Madrid scheiterten. Schon seit einigen Wochen wird auf der Tribüne des Estadio Metropolitano gegrummelt; der Kreis derjenigen, die Simeones Pizza-Fußballs überdrüssig sind, wird größer - obwohl das Team in der Liga nur drei Punkte hinter Spitzenreiter Barcelona zurückliegt und nun fürs Achtelfinale der Champions League planen kann. Am Ende wurde Simeone von den Ultras gefeiert, angeblich war's ihm einerlei. Wichtig sei dies: "Ich fühle mich gut, wenn ich Passion sehe, und die Mannschaft hatte sie heute." Manchmal reicht so etwas, um einen Sieg zu holen, den die Zeitung As mit Blick auf den geschlagenen Gegner nicht gastronomisch, sondern pharmakologisch kategorisierte: "Aspirin für Simeone".

© SZ vom 24.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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