Bayer Leverkusen:Parolen statt Taten

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Erhöhter Redebedarf: Stefan Kießling stellt sich nach der blamablen Leistung gegen Schalke 04 den verärgerten Leverkusener Fans. (Foto: Lukas Schulze/Getty)

Die Leverkusener stecken im Zwiespalt zwischen dem Drang zum Handeln und der Abneigung, Aktionismus zu betreiben.

Von Philipp Selldorf, Leverkusen

Der Abend war ohnehin schlimm genug, doch dann kam auch noch die Frau vom Radio. "Rudi Völler", sprach sie, "wie ist die Gemütslage? Enttäuscht?" Der Sportchef von Bayer Leverkusen hätte an diesem schwarzen Freitag genügend Gründe gehabt, seinem bewährten Hang zum Jähzorn stattzugeben. Für die tiefsinnige Frage nach seinem Befinden hätte er sich mit einer tiefsinnigen Tirade revanchieren können. Das hätte seiner Gemütslage vermutlich gut getan, aber Rudi Völler hat entschieden, dass laute Töne an diesem Abend nicht sinnvoll wären.

Dem Team von Bayer Leverkusen trat er nach dem bedrückenden 1:4 gegen Schalke 04 nicht als tobender Betriebsleiter entgegen; er sprang den Spielern eher wie ein Seelsorger zur Seite. Völler glaubt offenbar nicht, dass öffentliche Strafpredigten die Chancen auf den Klassenerhalt steigern könnten, nicht mal von einem Trainerwechsel verspricht er sich Besserung. "Eins darf jetzt nicht passieren", sagte er, "bei aller Kritik, die auch da sein muss: Wir dürfen uns jetzt nicht kaputtreden."

Das Wort "kaputt" kam den Zuschauern öfter in den Sinn, nachdem Bayer 04 keine Zeit verloren hatte, um gegen Schalke rettungslos in Rückstand zu geraten. Keine 20 Minuten vergingen bis zum 0:3, so etwas war Leverkusen in 37 Bundesliga-Jahren noch nie passiert.

Trainer Tayfun Korkut beklagte lang und breit den unseligen Spielverlauf, den er immer wieder als "brutal" klassifizierte. Bayer hatte energisch begonnen, nach nicht mal einer Minute tauchte Julian Brandt allein vor Ralf Fährmann auf - doch der Schalker Torwart gewann den Zweikampf. Schalke stand unter Druck und schien geneigt, dem Druck nachzugeben, dann startete Nabil Bentaleb mit brillantem Steilpass auf Leon Goretzka den ersten vernünftigen Angriff, den Guido Burgstaller mit dem Schuss ins leere Tor ungestört vollenden durfte (6.). Auch dem Schalker 2:0 durch Benedikt Höwedes (10.) und dem 3:0 durch Alessandro Schöpf (18.) gingen gelungene Aktionen voraus, die allerdings auch deswegen glücken konnten, weil sie durch lachhaftes Defensivverhalten der Leverkusener begünstigt wurden.

Das Benehmen von Hilbert und Brandt bei Höwedes' Kopfball zum 0:2, die Desorganisation der gesamten Deckung beim 0:3 - das war tatsächlich eines Absteigers würdig. Die Schalker hätten bei fortgesetzter Konsequenz noch weitere Treffer erzielen können, Raum zum Kombinieren wurde ihnen ausreichend zur Verfügung gestellt. In einem repressiven Klubsystem mit dem zugehörigen Despoten im Präsidentensessel hätte Bayer-Coach Korkut die zweite Halbzeit vermutlich am Autoradio verfolgen dürfen.

Trainer Korkut hat seit seinem Einstieg nur sechs Punkte aus acht Spielen geholt

Doch Korkut erschien wie seine Elf auch zur zweiten Hälfte, in der Burgstaller noch sein achtes Schalker Bundesligator folgen ließ (50.). Summiert man dazu seine 14 Zweitligatreffer aus dem Nürnberger Halbjahr, dann hat Manager Heidel recht mit seinem Hinweis: Dann wandelt Burgstaller tatsächlich auf den Spuren von Aubameyang, Modeste und Lewandowski.

Während die Schalker übermütig mit ihren Fans feierten, blieben die Leverkusener Emotionen jederzeit unter Kontrolle. Ein paar Leute haben gepfiffen, in der Kurve forderte man gewohnheitsmäßig den Rauswurf des schnauzbärtigen Geschäftsführers Michael Schade, und zur Pause suchten einige bereits das Weite, das Zaunplakat mit dem Imperativ "Arsch aufreißen" nahmen sie mit. Später gab es dann noch eine Protestversammlung am Parkplatz, ein paar Anhänger versperrten den Spielern die Ausfahrt. Der schmerzlich vermisste Kapitän Lars Bender und sein Statthalter Ömer Toprak beruhigten die Lage.

Auch Tayfun Korkut hatte nichts zu befürchten, als er das Stadion verließ. Völler stellte ihm eine Beschäftigungsgarantie aus. Die Zusage, dass der Trainer bis zum Saisonende seine Arbeit machen dürfe, gelte "absolut", versicherte der Sportchef laut und deutlich im Namen des Vereins. Dass vielen Leuten dieses standhafte Festhalten merkwürdig vorkommt - Korkut hat seit dem Einstieg bei Bayer nur sechs Punkte aus acht Spielen geholt und lediglich ein Spiel gewonnen: beim 2:0 in Darmstadt -, das kann Völler verstehen: "Wenn Du 1:4 verlierst, dann ist es schwierig zu sagen: Die Trainingswoche war gut", gab er zu. Dennoch lobte er den Einsatz und die fachlichen Eigenschaften des Trainers.

Letztlich ist der Entschluss, der Zwischenlösung Korkut nicht eine weitere Zwischenlösung folgen zu lassen, Ausdruck von Ratlosigkeit und Hilflosigkeit. Bayer steckt im Zwiespalt zwischen dem Drang zum Handeln und der Abneigung, Aktionismus zu betreiben. Einerseits: Wer sollte es in der Kürze der Zeit besser machen als Korkut? Andererseits: Kann es mit ihm überhaupt besser werden? Dass es immer noch ein Stück schlechter geht, das zeigte das Schalke-Spiel, weshalb das nächste Spiel ein Drama werden könnte. Es findet in Ingolstadt statt. "Das muss langsam in jeden Kopf rein", versuchte sich Stefan Kießling, das wandelnde Bayer-Denkmal, an einer Ruck-Rede: "Wir haben in Ingolstadt ein absolutes Endspiel. Wir müssen jetzt die Punkte holen, damit wir mit dem 16. und 17. Platz nichts zu tun haben."

Später am Wochenende ging Rudi Völler übrigens doch noch aus sich heraus. "Wir ziehen das bis Saisonende durch", kündigte er in einem Interview mit dem Kölner Stadt-Anzeiger an. Erst nach Ende der Saison will er eine "knallharte Analyse" durchführen: "Dann werden die Ärmel hochgekrempelt, und es geht weiter." Irgendwie klingt das nicht so, als sei er sich bewusst, dass sein Klub dann in einer anderen Liga spielen könnte.

© SZ vom 02.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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