Basketball:Unerledigte Dinge

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Nach der verlorenen NBA-Finalserie wird spekuliert, ob die große Ära der Golden State Warriors in diesem Sommer endet - oder ob der Klub nur eine Pause einlegt und 2020 einen Neuanfang wagt.

Von Jürgen Schmieder

Es gibt da nun also diesen Anruf, und es fällt schwer, dabei nicht an das Gedicht "Stufen" von Hermann Hesse zu denken, in dem es um Abschied und den Zauber des Anfangs geht. Der Basketballprofi Kevin Durant, der sich gerade von der Operation an der gerissenen Achillessehne erholt, erkundigte sich vom Krankenzimmer in New York aus nach dem Befinden seines Klubkameraden Klay Thompson, der in einer Klinik in der kalifornischen Stadt Oakland gerade die Diagnose erhalten hat, dass sein Kreuzband im linken Knie gerissen sei - und gleich danach die Botschaft, dass die Golden State Warriors das sechste Spiel und damit die Finalserie um die Meisterschaft der Profiliga NBA gegen die Toronto Raptors verloren haben.

Die Verträge beider Akteure laufen aus, sie dürfen wechseln, wohin immer sie möchten, nur: Thompson dürfte mindestens neun Monate lang ausfallen, Durant gar zwölf, und jeder Klub, der nun ein neunstelliges und über mehrere Jahre gültiges Angebot abgibt, muss sich bewusst sein, dass Durant und Thompson wahrscheinlich die Hauptrunde der nächsten Saison verpassen und die Playoffs womöglich auch noch. Kein Wunder, dass Warriors-Aufbauspieler Steph Curry, als er von der zweiten schlimmen Verletzung hörte, gegen die Wand der Umkleide trommelte.

Diese Ära der Warriors mit fünf Finalteilnahmen nacheinander, drei Titeln und dem Rekord für die beste Bilanz der Hauptrunde (73:9 Siege), die man mit den legendären Teams dieses Sports vergleichen darf - den Boston Celtics der 1960er, den Chicago Bulls der 1990er oder auch den Los Angeles Lakers (1980er-Jahre und dieses Jahrtausend) - sie könnte nun vorbei sein. In Hesses "Stufen" heißt es: "Wie jede Blüte welkt und jede Jugend dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe, blüht jede Weisheit auch und jede Tugend zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern."

Doppelt schmerzhaft: Die schwere Knieverletzung von Klay Thompson (rechts) kostete Golden State die Chance auf einen weiteren NBA-Titel - und erschwert die Planungen des Klubs für die Zukunft. (Foto: Lachlan Cunningham/AFP)

"Sie haben miteinander geredet, aber ich glaube nicht, dass ich den Inhalt verraten darf", sagte Thompsons Vater Mychal dem TV-Sender ESPN: "Sie haben sich gegenseitig aufgemuntert, hart an einem Comeback zu arbeiten - es gibt da ja noch ein paar unerledigte Dinge." Ist das womöglich ein Hinweis, dass die beiden gemeinsam einen Neuanfang bei den Warriors wagen und dort noch ein paar Titel gewinnen möchten? "Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne", schreibt Hesse: "Der uns beschützt und der uns hilft, zu leben."

Der nordamerikanischen Basketballliga NBA steht ein wilder Sommer bevor, weil zahlreiche außergewöhnliche Spieler auf dem freien Markt sind. Kawhi Leonard zum Beispiel, erst vor einem Jahr von den San Antonio Spurs zu den Raptors gewechselt und nun zum wertvollsten Akteur der Finalserie gewählt, könnte in Toronto bleiben - der gebürtige Kalifornier hat allerdings immer wieder mal gesagt, dass er gerne in Los Angeles spielen würde. Dort rüsten allem Anschein nach gerade die Lakers auf: Nach übereinstimmenden Medienberichten soll der Flügelspieler Anthony Davis aus New Orleans kommen und den 16-maligen Meister verstärken - sehr zur Freude des vor einem Jahr zu den Lakers gestoßenen Superstars LeBron James: "AD ist auf dem Weg!! Lass es uns durchziehen, Bruder! Das ist nur der Anfang", schrieb der 34-Jährige bereits bei Instagram.

Die Verletzungen von Thompson und Durant sorgen jedenfalls dafür, dass die spannende Sommerpause noch komplizierter geworden ist. Die Wechselperiode beginnt offiziell erst am 30. Juni, und es heißt aus dem Umfeld der Warriors, dass sie Thompson trotz der Verletzung den höchstmöglich dotierten Vertrag anbieten wollen, 190 Millionen Dollar für fünf Spielzeiten. "Ich habe immer gesagt, dass Klay seine Karriere hier beenden soll, daran hat sich nichts geändert", versichert Warriors-Eigentümer Joe Lacob. Einen Tag nach der Finalniederlage hieß es zudem, dass der Klub auch Durant ein Maximalangebot machen will: 221 Millionen für fünf Saisons.

Inklusive Luxussteuer wegen Überschreitens der Gehaltsobergrenze könnten die Warriors in der nächsten Saison mehr als 350 Millionen Dollar ausgeben - für einen Kader, der wegen der langfristigen Ausfälle von Durant und Thompson wohl kein Titelkandidat wäre. "Wir wollen unsere Spieler angemessen bezahlen", sagt Lacob. Die Warriors können sich das gewiss leisten. Sie ziehen aus der Halle in Oakland in einen Palast in San Francisco, der privat finanziert ist und aufgrund der Lage (zwischen den Piers 30 und 32) und des Erfolgs des Teams als Gelddruckmaschine gilt.

Sollten die Warriors diese Strategie wählen und sowohl Thompson (der bleiben will) als auch Durant (der mit den New York Knicks, den Brooklyn Nets und beiden Teams in Los Angeles in Verbindung gebracht wird) akzeptieren, könnten sie sich nach Tauschgeschäften für Draymond Green oder Andre Iguodala umsehen, deren Verträge nach der nächsten Saison auslaufen - oder beide behalten und versuchen, zumindest einen auf Kosten von Tiefe im Kader langfristig zu binden. Der Center DeMarcus Cousins dürfte den Klub verlassen, die Lakers sollen interessiert sein.

Der Vertrag für Steph Curry gilt mittlerweile als größtes Schnäppchen der NBA-Geschicht

Diese Ära der Warriors war nur deshalb möglich, weil sie vor sechs Jahren dem damals häufig angeschlagenen Curry einen Vertrag anbieten konnten (44 Millionen Dollar für vier Spielzeiten), der nun als das größte Schnäppchen der NBA-Geschichte gilt. Thompson, Green und Durant haben auf Geld verzichtet, um diesen unfassbaren Kader mit vier Kandidaten für eine Aufnahme in der NBA-Ruhmeshalle zu ermöglichen. Zum Vergleich: Bei der Meisterschaft der Dallas Mavericks im Jahr 2011 war Dirk Nowitzki der Einzige aus seiner Mannschaft, der davor ins All-Star-Team berufen worden war.

Die Warriors müssten bei Maximalangeboten für Durant und Thompson in Kauf nehmen, diese Ära ein Jahr zu unterbrechen, und dann 2020/21 versuchen, die von Mychal Thompson angesprochenen unerledigten Dinge noch zu erledigen. Es wäre wie bei den Chicago Bulls, die nach der Rückkehr von Michael Jordan und der Verpflichtung von Dennis Rodman eine zweite große Zeit mit drei Titeln nacheinander schafften. Viel dürfte davon abhängen, worüber Durant und Thompson telefoniert haben. Zwar hat Thompsons Vater nichts verraten, aber es klang so, als würden die beiden eine Ära beenden und bei den Warriors eine neue beginnen wollen. Am Ende von "Stufen" heißt es: "Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde."

© SZ vom 17.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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