Basketball:Niemand schreit mehr

Lesezeit: 3 min

Seit einem Jahr trainiert Aito Garcia Reneses Alba Berlin. Mit seiner ruhigen Art hat er den Klub ins Finale geführt.

Von Sebastian Fischer, Berlin/München

Es dauerte nicht lange, bis sich Niels Giffey über sich selbst wunderte. Er, der gebürtige Berliner, der in Köpenick, Marzahn und Lichterfelde Basketball gespielt hat, der aufs College in Connecticut in den USA ging und dann nach Hause zurückkehrte, um für Alba in der Bundesliga aufzulaufen, spürte Einflüsse einer Kultur, mit der er zuvor kaum in Berührung gekommen war. Er registrierte das auf dem Basketballfeld: "Man sieht das Spiel offener." Er fühlte es mit dem Ball in den Händen: "Ich werfe einfach, wenn ich Platz habe." Er hörte es, wenn er mal einen Fehler machte: "Niemand, der rumschreit." Bereits nach ein paar Monaten dieser für Alba Berlin schon jetzt besonderen Saison merkte der Nationalspieler, dass er ein wenig wie ein Spanier spielte; dass er spielte, wie es ihm sein Trainer Aito Garcia Reneses, 71, aus Madrid nahelegte. Giffey hatte viel Spaß dabei. Dann kam der Erfolg.

Giffey, 26, Berlins Kapitän, braucht zwei Worte, um zu erklären, was 2018 anders ist als vorher, warum Alba es erstmals seit vier Jahren ins Finale geschafft hat, das an diesem Sonntag mit dem ersten Spiel gegen den FC Bayern beginnt. Giffey sagt: "Der Coach."

Als Berlin im Sommer 2017 den unter dem Kosenamen "Aito" berühmten Trainer verpflichtete, den Architekten von neun Meistertiteln mit dem FC Barcelona und einer olympischen Silbermedaille mit Spaniens Nationalteam, den Ausbilder der NBA-Profis Pau Gasol und Ricky Rubio, galt das als Coup. Als einer jedoch, der mit Vorsicht kommentiert wurde, da der Spanier zuvor nicht im Ausland gearbeitet hatte. "Ein paar dachten: ,Was machen sie denn jetzt?!'", erzählt Albas Manager Marco Baldi. Zuvor war Berlin, achtmaliger deutscher Meister, im Viertelfinale gescheitert. Weshalb auch Aito, der einen Zweijahres-Vertrag unterschrieb, seine Ziele behutsam formulierte: Er wolle die Basis dafür schaffen, die Kluft zu den führenden Klubs Bamberg und Bayern zu verkleinern, "indem der Basketball besser wird - nicht aus dem Stand heraus, aber doch in ein, zwei, drei Jahren".

Mittelpunkt des neuen Berliner Basketball-Erfolges: der spanische Trainer Aíto García Reneses. (Foto: Bernd König/imago)

Ein Jahr später trägt Aito den Titel Trainer des Jahres, Berlins Forward Luke Sikma den des wertvollsten Spielers der Vorrunde. Point Guard Joshiko Saibou reifte zum Nationalspieler, viele Talente sammelten Spielminuten. Alba gewann die Halbfinal-Serie gegen Ludwigsburg mit dem jüngsten Team der Liga. Und vor dem Finale sagt Berlins Akeem Vargas: "Ich bin der Meinung, dass wir der Favorit sind."

Manager Baldi möchte die Favoritendiskussion lieber nicht führen, er möchte den Erfolg auch ungern nur auf den Trainer reduzieren - er wäre ja kein Manager, würde er nicht mantraartig auf Berlins langfristigen Plan verweisen, junge Spieler zu entwickeln. Was er gerne bestätigt: Aito, den der spanische Sportdirektor Himar Ojeda verpflichtete, "ist ein Trainer, der für unsere Programmatik steht".

Aitos Vorgänger in Berlin waren der Serbe Sasa Obradovic und der Türke Ahmet Caki. Unter Obradovic, der an der Seitenlinie regelmäßig alles in Grund und Boden schimpfte, erreichte der Klub 2014 das Finale. Er habe auch mit Druck auf die Spieler gearbeitet, sagt Giffey, was mutmaßlich für Jüngere nicht immer leicht war. Außerdem legte Obradovic mehr Wert auf disziplinierte Defensive als offensiven Freigeist. "Das ist der einzige Weg, den wir wählen können. Weil wir so einen Coach haben" - so lautet ein Giffey-Zitat aus dem Jahr 2014. Caki, erzählt Giffey, "hat den Schlüssel zum Auto einem Spieler gegeben, der das Team dann fährt". Er blieb kein ganzes Jahr. Und Aito? "Er hat eine Kultur mitgebracht, die auf Entwicklung und auf Spielfluss setzt - man hängt weniger am System." Der Trainer fördert Kreativität, rotiert viel und gibt den Spielern im Angriff nicht unbedingt feste Rollen. Jeder darf werfen, wenn es die Situation rechtfertigt, auch wenn der Spielzug eigentlich noch drei Pässe mehr vorsieht.

Die Profis müssen sich fühlen, als würden sie in einem Text nur die interessanten Stellen markieren und interpretieren dürfen, anstatt alles auswendig lernen zu müssen. "Aito sagt: ,Hier sind drei Möglichkeiten, die Situation zu lösen'", erklärt Giffey. Und Baldi hat ein Beispiel für den Feingeist des Trainers: Aito lehne die in der Liga zum Trend gewordenen taktischen Fouls ab - aus Prinzip.

Nun ist es leicht, im Erfolgsfall zu schwärmen. Viel Freiheit birgt auch Risiko, das zu Saisonbeginn noch zu vielen Ballverlusten führte. Im Pokalfinale gegen Bayern gab Berlin einen Vorsprung in den letzten Minuten aus der Hand und verlor. Und allem Lob der Jugend zum Trotz, wäre Berlin ohne Flügelspieler Sikma, 28, vor der Saison vom spanischen Meister Valencia geholt, nicht so stark. Doch Berlin scheint unter Aito tatsächlich auf dem Weg zu nachhaltigem Erfolg zu sein. Die U16 wurde genauso Meister wie die U19, jeweils mit Basketball ohne Systemzwang. Auch wenn das schon lange so gelehrt werde: Aito, sagt Baldi, helfe auch in der Ausbildung der Nachwuchstrainer mit.

Der Spanier fühlt sich in der Hauptstadt offenbar wohl. Sein Hobby ist die Fotografie, besonders von Architektur. Der Berliner Zeitung sagte er: "Es gibt sehr viele Gebäude mit Glasfassaden in Berlin." Viele Berliner finden das hässlich. Er findet es interessant.

© SZ vom 02.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: