Basketball-EM:Hitchcock im Hinterhof

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Die deutschen Basketballer erreichen bei der Europameisterschaft überraschend die Zwischenrunde - und stellen damit die Bundesliga bloß.

Andreas Burkert

Henning Harnisch ist nicht in Danzig, zumindest nicht physisch, "leider nicht", sagt er am Telefon. "Wir haben ja hier eine eigene Geschichte, und es ist viel zu tun." Harnisch, 41, Europameister 1993 und in den Neunzigern neun Mal deutscher Meister, ist inzwischen Sportdirektor bei Alba Berlin, dem Schwergewicht des deutschen Basketballs, und die Vorgänge in Danzig interessieren ihn natürlich. "Das ist eine tolle Leistung", sagt er und ahnt, dass der am gestrigen Mittwochabend glücklich geschaffte Aufstieg des Nationalteams in die EM-Zwischenrunde die Diskussion über die Einsatzzeiten einheimischer Spieler in der BBL neu befeuern dürfte. Henning Harnisch ergänzt: "Und das hoffe ich sogar."

Wie Harnisch denken nicht alle in der Bundesliga (BBL), sonst hätte die Dachorganisation der Klubs auf das ewige Lamento des zurzeit in Polen in Hochform auftretenden Bundestrainers Dirk Bauermann über die seiner Meinung nach zu geringe Wertschätzung deutscher Spieler mit Taten reagiert. Bauermann wird sich nun kaum zurücknehmen, denn das 76:73 vom Dienstag gegen Titelverteidiger Russland und selbst das am Mittwoch zum Weiterkommen ausreichende 62:68 (29:37) gegen Lettland darf er als kleine sportliche Sensation feiern. Und als ein Ereignis, das die BBL in der Debatte um höhere Quoten deutscher Spieler in den Klubs irgendwie bloßstellt.

Dass Bauermanns stark verjüngte Auswahl nach der Absage von NBA-Allstar Dirk Nowitzki und Rücktritten anderer Routiniers bei der EM nicht hoffnungslos unterlegen sein würde, hatte sich angedeutet. Testspielsiege über die EM-Starter Israel, Serbien, Mazedonien, die Türkei und eben Lettland weckten denn auch beim Trainer die Hoffnung, sein Ziel zu erreichen, "ein EM-Spiel zu gewinnen". Gegen die Letten hing der weitreichende Wert des Coups gegen Russland diesmal allerdings an einem dünnen Faden, und diesen hielt Jan-Hendrik Jagla fest: Mit acht Punkten durften die Deutschen verlieren in diesem Spiel, das erwartungsgemäß nichts für Ästheten war, sondern für Hitchcock-Fans. Bauermanns Leute wirkten bis zum Ende verkrampft, die Wurfquoten waren bescheiden - beim 57:68 in der Schlussminute schien die Nervenschlacht verloren.

Doch dann versenkte Jagla einen schweren Dreier, sammelte einen Rebound ein und ließ noch zwei Freiwürfe folgen. "Das war schon unglaublich von ihm, so gewinnen zu wollen", lobte Bauermann den Berliner nach der erfreulichsten Niederlage in der jüngeren Geschichte des deutschen Basketballs.

Bauermann, 51, hat als Vereinstrainer ebenfalls neun Meisterschaften gewonnen und mit der DBB-Auswahl um Nowitzki 2005 EM-Silber. Doch das Erreichen der Zwischenrunde - in welcher die Deutschen jetzt auf Kroatien, Griechenland und Mazedonien treffen und mit 2:2 Zählern einsteigen - zählt zu seinen wertvollsten Erfolgen. "Niemand hat damit gerechnet, aber wir haben daran geglaubt, und ich finde das so phantastisch für die Sache", sagte er nach dem Spiel.

Die Sache, an die Zukunft des deutschen Basketballs, an sie denkt auch Harnisch. Er sagt: "Diese Leistungen sollten der Debatte um eine verschärfte Quote einen Push geben." Vier Deutsche müssen ja nächste Saison in der BBL auf dem Spielbogen stehen - dass sie spielen, heißt das noch lange nicht. Dies hat Bauermann in der Vergangenheit mit zum Teil drastischen Worten kritisiert, so dass sie in der Kölner BBL-Zentrale um Fassung ringen mussten.

In Danzig legte einer der erfahreneren Spieler nach - Jagla, der Held der letzten Vorrunden-Minute von Danzig. In der BBL werde "grausamer Basketball gespielt, zum Weggucken. Da kann man sich genauso Streetbasketball im Hinterhof anschauen", wurde er zitiert. "Wir Deutsche sind in Deutschland nicht erwünscht. Die Klubs holen lieber billige Amerikaner, die nur für ihr eigenes Punktekonto spielen und nach einem Jahr wieder verschwinden." Jagla, 28, spielte zuletzt zwei Jahre beim spanischen Topklub Joventut Badalona, und "so hoch veranlagte Spieler wie Tibor Pleiss oder Robin Benzing habe ich in Spanien nicht gesehen", berichtet er.

"Die BBL ist am Zug", findet auch Harnisch, "und alle Argumente gegen die Quote haben mich bisher nicht überzeugt." Die Liga habe ja durchaus etwas getan, "für den Unterbau", die Nachwuchs-Liga NBBL und die neue JBBL für die Jugend. "Doch wenn die Erstliga-Teams oben nicht mitziehen, fehlt die sportliche Logik", meint Harnisch. Alba setzt selber auf kostspielige Ausländer, das weiß er, die Berliner wollen ja in Europa angreifen. Aber eine verbesserte Quote würde man dennoch befürworten. Harnisch sagt: "Schafft einfach Waffengleichheit in der Liga - und ich weiß nicht mal, ob wir mit mehr Deutschen in Europa schlechter aussehen würden."

Die BBL ist in Danzig vertreten, auch physisch, durch Präsident Thomas Braumann, "denn wir wollen zeigen, dass uns das Nationalteam sehr interessiert". Braumann indes kontert zur Debatte spitz, den Erfolg könne man "ja auch im Umkehrschluss so bewerten: Es geht doch auch so!" Ohne Quote. Er ergänzt dann aber, das Ziel, die deutschen Spieler voranzubringen, teile die BBL "mit dem Bundestrainer zu 100 Prozent". Kurzentschlossene Änderungen wie die diskutierte Verpflichtung, dass stets mindestens ein Deutscher pro Team auf dem Feld stehe müsse, seien "für nächste Saison ausgeschlossen, die Klubs planen ja schon". Doch zur BBL-Versammlung am 3./4. Oktober sei auch Bauermann eingeladen. "Und da werden wir uns alles anhören und prüfen."

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