Basketball:Der Vorhang fällt

Lesezeit: 4 min

Selbst in San Antonio, der Heimat des größten Rivalen, wird Dirk Nowitzki von den gegnerischen Fans gefeiert - und endgültig in den Ruhestand verabschiedet. Der Franke sagt gerührt: "Ein Sportler stirbt zweimal."

Von Jürgen Schmieder, San Antonio/Los Angeles

Das blaue Herz der NBA: Dirk Nowitzki genießt seine Schlussvorstellung nach 1667 Auftritten als Sportler - ausgerechnet beim Erzrivalen aus San Antonio. (Foto: Soobum Im / USA Today Sports)

Wenn sie in der Halle der San Antonio Spurs, des erbitterten Rivalen der Dallas Mavericks im US-Bundesstaat Texas, die Vorstellung der gegnerischen Spieler unterbrechen, um die Laufbahn von Dirk Nowitzki zu würdigen - dann passiert etwas mit einem Menschen. Sie zeigten am Mittwochabend nicht nur die tollsten Momente dieser unglaublichen Karriere, sondern auch jene Augenblicke aus insgesamt 78 Partien gegen die Spurs, in denen Nowitzki ganz besonders geglänzt hat. Was ungefähr so ist, als würden sie in Gelsenkirchen die schönsten Spielzüge des legendären Dortmunders Michael Zorc gegen Schalke 04 feiern.

Es ist die 1667. Partie von Nowitzki in der nordamerikanischen Profiliga NBA, die letzte seiner 21 Jahre währenden Profilaufbahn, und seine Schwester Silke beschreibt auf Twitter, was da genau passiert am Mittwochabend - mit Nowitzki selbst und mit allen, die seine Laufbahn in den vergangenen 21 Jahren auf irgendeine Weise begleitet und verfolgt haben.

Sie veröffentlicht das Bild ihres Bruders in jenem Moment, als er am Dienstagabend in Dallas nach der Partie gegen die Phoenix Suns seinen Rücktritt als Profisportler zum Saisonende verkündet hat, darüber stellt sie ein blaues Herz und den wunderbaren Satz: "An athlete dies twice." Ein Sportler stirbt zweimal.

Es hat in Deutschland schon andere fantastische Athleten gegeben, derart viele, dass eine Liste mit Namen unsinnig wäre, weil sie unvollständig bliebe und jeden beleidigen würde, der nicht darauf vermerkt ist. All diese grandiosen Sportler und Sportlerinnen haben Erfolge gefeiert und den Beobachter ahnen lassen, wie sich das anfühlt, wenn jemand weiß, dass es in dem, was er oder sie da tut, in diesem Moment weltweit keinen Besseren gibt. Die beliebtesten Sportler sind jene mit Ecken und Kanten, die den Zuschauer mitnehmen auf eine Reise; die nach Niederlagen schrecklich leiden, die durch ihre Persönlichkeit auch mal polarisieren und über dieses emotionale Spektrum andeuten, dass es hinter dem Sportler auch einen Menschen gibt.

Warum fühlt sich dieses letzte Spiel von Dirk Nowitzki dann so anders an?

Es sind verrückte 24 Stunden gewesen in der besten Basketballliga der Welt. Und vielleicht lässt sich dieses letzte Spiel von Nowitzki besser verstehen, wenn man die Ereignisse aus den anderen NBA-Hallen in Relation dazu betrachtet. Es beginnt am Dienstagnachmittag in Los Angeles, wo der legendäre Magic Johnson überraschend seinen Rücktritt als Präsident der Lakers verkündet. Er begründet die Entscheidung zwar wie immer charmant und eloquent, letztlich jedoch sagt er: "Ich habe alles richtig gemacht."

Schuld am Misserfolg in dieser Saison und den derzeit nicht wirklich prächtigen Aussichten auf künftigen Erfolg sind laut Johnson die anderen: Trainer Luke Walton, Manager Rob Pelinka, auch die strengen NBA-Regeln; er sei nur das Opfer seiner eigenen Nettigkeit. Wie er da so steht vor der Lakers-Umkleidekabine und die Welt aus seiner Sicht erklärt, wird den Leuten klar, warum die deutschen Akteure Moritz Wagner und Isaac Bonga ihre jeweils erste NBA-Spielzeit in einem derartigen Chaos absolvieren mussten. Johnson hinterlässt einen Scherbenhaufen, den er selbst so hingeworfen hat, und es ist die beste Aktion in seiner zwei Jahre dauernden Amtszeit, dass er die Halle schon vor Beginn des letzten Saisonspiels verlässt.

Fast gleichzeitig absolviert Dwyane Wade, der große Gegenspieler Nowitzkis in zwei NBA-Finalserien, in Miami das letzte Heimspiel seiner Laufbahn. Er hatte den Rücktritt vor Monaten angekündigt und die Saison zu seiner persönlichen Abschiedstournee gemacht, mit Fototerminen und Huldigungen in jeder Arena. Es sei ihm gegönnt, und doch bleibt ein fader Beigeschmack, wenn sich einer derart selbst feiert und nach seinem letzten Heimspiel die Stadt Miami zum "Wade-Bezirk" ausruft. Wundert es wirklich, dass so einer beim tatsächlich letzten Spiel der Karriere einen Tag später in Brooklyn erst dann richtig beklatscht wird, als seine berühmten Freunde LeBron James, Chris Paul und Carmelo Anthony die Leute dazu auffordern?

Nowitzki hat unfassbare Erfolge gefeiert in seiner Karriere, er ist 2007 zum wertvollsten Spieler der Liga gewählt worden, hat 2011 den Titel gewonnen. Er hat dafür gesorgt, dass die Leute in Deutschland nachts aufgestanden sind und mit ihm gefiebert haben, und er hat sie auch mit sich leiden lassen, bei der dramatisch verlorenen Finalserie 2006 oder bei der Erstrundenniederlage eine Saison später gegen die Golden State Warriors, nach der Nowitzki aus Frust ein Loch in die gegnerische Arena prügelte - dieses Stück Wand nehmen die Warriors übrigens als Artefakt mit ins Museum der neuen Halle.

Nowitzki mag Ecken und Kanten haben, aber, und das unterscheidet ihn von so vielen anderen legendären Sportlern: Er hat niemals polarisiert. Er ist ein Lausbub geblieben, der es, wie er im Dokumentarfilm "Der perfekte Wurf" sagt, noch immer nicht fassen kann, dass er Millionen Dollar dafür bekommt, dass er "relativ gut 'nen Ball in ein Körbchen reinschmeißen kann". Der im selben Film nach einer Begegnung mit Altkanzler Helmut Schmidt sagt: "Studier' ich ein bisschen BWL, hab' ich ihm vorgelogen." Der als Reaktion auf all die Fitness-Fotos anderer NBA-Profis auf Twitter selbstironisch ein Bild von sich auf einem klapprigen Fahrrad veröffentlicht. Jetzt mal ehrlich: Gibt es jemanden, der Dirk Nowitzki nicht mag?

All das wird einem bewusst, wenn man Nowitzki zusieht, wie er in San Antonio gegen Ende der Partie zum letzten Mal 'nen Ball in ein Körbchen reinschmeißt. Er schafft 20 Punkte und zehn Rebounds, es ist das 411. "Double-Double" seiner Karriere. Als er kurz darauf ausgewechselt wird, da rufen die Leute: "MVP!" Nowitzki hat gegen die Spurs sechs teils dramatische Playoff-Serien absolviert, nach allen Regeln des Sports müssten die Fans ihn, das Gesicht der Mavericks, alleine aufgrund der Rivalität der beiden Basketballklubs auspfeifen, ausbuhen, geradezu verabscheuen. Sie feiern ihn jedoch fröhlich als einen der besten Spieler der Geschichte.

"Ein Sportler stirbt zweimal", sagt Nowitzki dann nach seiner letzten Partie als NBA-Profi, und genau das passiert am Mittwochabend - mit Nowitzki selbst und mit allen, die diese Laufbahn in den vergangenen 21 Jahren auf irgendeine Weise begleitet und verfolgt haben: Der Sportler ist gestorben, möge der Mensch ein langes und erfülltes Leben führen.

© SZ vom 12.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: