Meisterschaftsturnier:Bewegungsmelder für die Basketballer

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Am Samstag startete das Meisterschaftsturnier in der Basketball-Bundesliga in München (im Bild Ulms Patrick Heckmann, l., und Bayerns Alex King). (Foto: dpa)

Tracking-Chips im Hotel sollen das Meisterschaftsturnier der BBL absichern. Die Spieler waren überrascht - scheinen sich aber mit der Maßnahme arrangiert zu haben.

Von Joachim Mölter, München

Hierzulande laufen gerade einige Experimente ab, die weltweit mit großem Interesse beobachtet werden: Wie organisiere ich im Sport einen Ligabetrieb in Zeiten einer Pandemie, also einer länderübergreifenden Infektionskrankheit? In jedem Fall ohne Zuschauer - aber sonst?

Die Basketballer probieren ganz was Neues und spielen seit diesem Wochenende unter Quarantänebedingungen - alle an einem Ort, dazu noch in einem anderen Format. Der Meister wird in einem Turnier ermittelt, ähnlich einer Welt- oder Europameisterschaft, nur ohne den entsprechenden, teils mehrjährigen Vorlauf bei der Vorbereitung. Da "hätte einiges schiefgehen können", gibt Stefan Holz zu, der Geschäftsführer der Basketball-Bundesliga (BBL).

Bei Experimenten ist man nie vor Überraschungen gefeit, die Turnier-Teilnehmer erlebten gleich eine bei der Ankunft in München: Da wurden sie gebeten, während ihres Aufenthalts im Hotel einen Chip mit sich zu führen, eine Art Bewegungsmelder. Beim größten anzunehmenden Unfall, einer Infektion, soll er helfen, die näheren Kontakte des Patienten nachzuverfolgen und betreffende Personen zu isolieren, um nicht das große Ganze zu gefährden, das gesamte Turnier. In der Theorie ist so eine Infektion zwar ausgeschlossen: Alle 260 Personen, die während des Turniers im Hotel leben, sind vorher zweimal negativ getestet worden, und da sie keinen Kontakt zur Außenwelt haben sollen, dürften sie sich auch nirgendwo mehr anstecken. Aber in der Praxis sind halt Menschen am Werk, das führt häufig zu Fehlern.

"Ein bisschen mehr Vorlauf wäre nicht schlecht gewesen"

Bei den Profis kam die Aktion zunächst nicht so gut an, "weil es so kurzfristig war", wie Crailsheims Maurice Stuckey sagt: "Ein bisschen mehr Vorlauf wäre nicht schlecht gewesen." Auch Ulms Nationalspieler Andreas Obst fand: "Das kam etwas kurzfristig." Aber er versicherte: "Es stört mich jetzt nicht." Für seinen Klubkollegen Derek Willis war es ebenfalls "kein großes Thema"; der Amerikaner fühlt sich gut informiert und hat "keine Bedenken wegen meiner Privatsphäre", wie er hinzufügte. Eine Mannschaft hat den Chip zunächst nicht tragen wollen, ließ sich aber überzeugen. Großen Widerstand gegen die Maßnahme gab es allem Anschein nach nicht.

Florian Kainzinger kann die Irritationen der Profis verstehen, bittet aber seinerseits auch um Verständnis: Wegen der für alle neuen Situation mit dem Coronavirus gab es eben "vieles, das in den letzten Minuten noch geklärt werden musste". Kainzinger, 38, gebürtiger Münchner, hat als Jugendlicher Basketball gespielt, später Betriebswirtschaft studiert und über Gesundheitsökonomie promoviert. Er hat einst eine Laborgruppe aufgebaut für die Charité in Berlin, wo er mittlerweile lebt. Er war schon beim Sicherheits- und Hygienekonzept der Fußballer involviert, und er hat nun auch das System der BBL mitentwickelt. Das ist freilich ein laufender Prozess.

Am vorigen Mittwoch gab es noch ein Gespräch mit dem Münchner Gesundheitsamt; dessen Vertreter empfahlen bei allem Lob für das Konzept weitere Maßnahmen, zum Beispiel mit Mund-und-Nasenschutz im Hotel auf Abstand zu bleiben. Das empfanden alle Betroffenen als nicht praktikabel, lieber griffen sie zu einem technischen Hilfsmittel. Das ist im Grunde genau das, was die Bundesregierung mit ihrer Corona-App plant, bloß halt nicht auf dem Smartphone, sondern mittels eines Chips, den man am Handgelenk tragen oder in die Hosentasche stecken kann. Marathonläufer schnallen ihn seit Jahren an die Füße, um Zwischen- und Endzeiten zu stoppen.

Auch im Basketball kennt man diese Chips, die Münchner Firma Kinexon hat sich darauf spezialisiert, damit Leistungsdaten zu erfassen: Wie hoch springt einer, wie flott rennt er, wie schnell wird er müde? In der BBL und in der nordamerikanischen Profiliga NBA nutzen das schon etliche Klubs. Mittlerweile hat das Unternehmen die Chips auch für Corona-Anwendungen programmiert; große Firmen verwenden sie nun, damit sie bei der Infektion eines Mitarbeiters nicht den ganzen Betrieb schließen, sondern nur seine nächste Umgebung isolieren müssen.

Genauso funktioniert das Prinzip jetzt auch bei den Basketballern: Gäbe es in einem Vier-Personen-Haushalt einen Corona-Fall, würde das zuständige Gesundheitsamt ja auch den Rest der Familie in Quarantäne schicken, und weil das Münchner Gesundheitsamt quasi das ganze Hotel als einen einzigen 260-Personen-Haushalt ansieht, könnte ein positiver Fall den Turnierbetrieb lahmlegen.

Die BBL betont, dass die Anwendung der Chips freiwillig ist, es gibt keine GPS-Funktion zur exakten Ortsbestimmung, die Daten geben nur her, welche anderen Chips wie lange in der Nähe gewesen sind; zudem sind sie anonymisiert. Was den Datenschutz angeht, vertraut die BBL auf die Vorkehrungen der Herstellerfirma.

Florian Kainzinger weiß, dass nicht alles optimal sein kann, was die BBL gerade macht; es gibt für diese Ausnahmesituation ja keine Vorlage, an die sie sich halten können. Also experimentieren sie. "Wir sind gerade Innovations-Weltmeister", findet der 38-Jährige: "Die Welt schaut auf uns." In der NBA haben sie die Sache mit den Bewegungsmeldern schon aufmerksam registriert. Dort soll die Saison im Juli fortgesetzt werden, und Kainzinger sagt: "Ich wäre nicht überrascht, wenn man dann Elemente unseres Konzepts wieder sehen würde.

© SZ vom 08.06.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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