Basketball-Bundesliga:Am Anschlag

Lesezeit: 3 min

Überragend: Louis Olinde war Berlins Bester beim unerwarteten Erfolg über den FC Bayern München. (Foto: Tilo Wiedensohler/Imago/Camera4+)

Scheinbar aussichtslos am Boden und trotzdem unerschrocken nach vorn: Die schwer gebeutelte Mannschaft von Alba Berlin zeigt beim Erfolg über den FC Bayern erstaunliche Widerstandsfähigkeit.

Von Joachim Mölter, Berlin/München

Wenn man ein Beispiel braucht, um zu illustrieren, was die Basketballer von Alba Berlin derzeit ausmacht, dann ist das wohl Malte Delow, ein schmächtiges Bürschlein von 19 Jahren. Der 1,97 Meter große und trotzdem nur 84 Kilo leichte Teenager lag schon auf dem Rücken, er strampelte und zappelte, aber er gab den Ball nicht her, den ihm die größeren, vor allem aber schwereren, kräftigeren und muskulöseren Münchner Jalen Reynolds und Paul Zipser entreißen wollten, die sich bedrohlich über ihn gebeugt hatten. Wenige Minuten später rannte Delow dann gegen den sichtlich überraschten Münchner Kapitän Nihad Djedovic an und legte den Ball über diesen hinweg in den Korb. Scheinbar aussichtslos am Boden und trotzdem unerschrocken nach vorn - mit dieser Einstellung gewannen die Berliner am Sonntagabend das Spitzenspiel der Basketball-Bundesliga (BBL) gegen den FC Bayern Münchner 85:72 (39:36). "Beschämend", fand das Münchens Coach Andrea Trinchieri, "enttäuschend und peinlich."

Nun ist Alba zwar Titelverteidiger, trotzdem waren die Münchner als hochhaushohe Favoriten angereist. Das runderneuerte Team hatte im bisherigen Saisonverlauf schwer beeindruckt, in der BBL erst einmal knapp verloren (95:100 in Oldenburg) und die Euroleague-Hinrunde gerade auf Platz vier beendet, so gut wie noch kein deutsches Team zuvor. Dem stand ein Berliner Aufgebot gegenüber, das Geschäftsführer Marco Baldi als "schon sehr reduziert" bezeichnete: Alba hatte nur deswegen überhaupt zehn Profis zusammenbekommen, weil Malte Delow dank einer Doppellizenz vom Farmteam Lok Bernau dazugeholt wurde. Und da Alba-Chefcoach Aito Garcia Reneses, 74, wegen einer Corona-Infektion derzeit daheim bleiben muss, wurden diese Zehn am Sonntag von Israel Gonzalez angeleitet, seinem langjährigen Assistenten und designierten Nachfolger.

"Die reinen Spielergebnisse sind im Moment nicht das primäre Ziel."

Die Berliner sind von der Corona-Pandemie und deren Folgen so mächtig gebeutelt worden wie kein anderes Team in Europa: Bereits im Oktober gab es sieben Infektionsfälle, das ganze Team musste in Quarantäne, konnte nicht trainieren, geschweige denn spielen. Seitdem hecheln die Profis den verlegten Partien in den sowieso eng getakteten Terminplänen von BBL und Euroleague hinterher wie in einem Teufelskreis: Belastung und fehlende Regeneration fordern ständig neuen Tribut. Gerade erst meldeten sich Simone Fontecchio und Ben Lammers wieder zum Dienst, am Sonntag schauten trotzdem noch fünf Profis verletzt zu, die man durchaus als Startformation aufs europäische Parkett schicken könnte: Spielmacher Peyton Siva, Scharfschütze Marcus Eriksson, Kapitän Niels Giffey, Routinier Luke Sikma, Center Lorenz Brennecke.

"Jeder hatte Bock, für diejenigen einzuspringen und zu kämpfen, die draußen saßen", erklärte Louis Olinde beim TV-Sender Magentasport die Energieleistung gegen München. Olinde ist ein ähnlicher Schlaks wie Delow, nur etwas größer (2,05) und älter (22), und ihm war am deutlichsten anzusehen, mit wie viel Bock sich die Berliner im Spitzenspiel wehrten. Olinde war mit 17 Punkten erfolgreichster Werfer und neben Jayson Granger (elf Punkte, zehn Assists) der statistisch auffälligste Mann. Aber jeder Alba-Profi trug zum Gelingen bei, auch wenn man es nicht in Zahlen ablesen konnte. Jonas Mattisseck zum Beispiel machte Münchens Korbjäger Wade Baldwin das Leben schwer: Der Amerikaner kam nur auf elf Punkte. Zuletzt hatte er in der Euroleague noch mit 29 Zählern geglänzt beim 90:77 über den FC Barcelona. Offenbar hatte dieser Erfolg die Bayern-Profis eingelullt. "Wir sind nicht mit der richtigen Mentalität ins Spiel gegangen", fand jedenfalls Paul Zipser.

Trotz des ersten Sieges über den Rivalen seit zwei Jahren war Alba-Manager Baldi "weit weg von jeder Euphorie", wie er versicherte: "Die reinen Spielergebnisse sind im Moment nicht das primäre Ziel." Für die Berliner geht es darum, die nächsten Tage, Wochen, Monate irgendwie zu überstehen. Bereits am Dienstag erwarten sie Vitoria-Gasteiz zum Euroleague-Nachholspiel, am Donnerstag folgt eine reguläre Partie gegen Tel Aviv, am Sonntag ein BBL-Duell mit Gießen - zwölf Partien muss Alba insgesamt bestreiten im Januar. "Wir sind am Anschlag", sagt Baldi, "mehr geht nicht mehr."

Angesichts der Umstände ist es schon bemerkenswert, wie unverdrossen die ganze Mannschaft immer noch ans Werk geht. Und wie demütig sie sich über ihre Erfolge freut. "Das war ein sehr guter Sieg", fand Spielgestalter Maodo Lo, "besonders für die Situation, in der wir gerade sind."

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: