ATP Finals:Grischo, der Erste

Lesezeit: 3 min

Was, ich? Der Bulgare Grigor Dimitrov ist sichtlich ergriffen, als er in London die ATP Finals gewinnt. (Foto: Clive Brunskill/Getty Images)

Tennisprofi Grigor Dimitrov galt lange als einer, dem die Triumphe mit Leichtigkeit zufliegen müssten. Mit 26 Jahren ist der Bulgare nun im Kreis der Champions angelangt.

Von Gerald Kleffmann, London/München

Grigor Dimitrov wusste sofort, wen er grüßen wollte. "Ich danke einer Person hier, meiner Freundin Nicole, sie hält sich irgendwo versteckt", sagte er, "diese zwei Wochen waren mit die besten jemals." Gemeint war Nicole Scherzinger, Popsängerin und Fernsehschaffende. So klar hatte Dimitrov noch nie öffentlich seine Liebe erklärt, und dass er dies nun tat, freudestrahlend bei der Siegerehrung in der Arena in London, verdeutlichte: Da ist einer angekommen - privat offensichtlich mit der Amerikanerin aus Honolulu. Aber auch sportlich bedeutete der Sonntagabend eine Zäsur: Der Bulgare Dimitrov, einst Nummer eins der Junioren, einer, dem viel früher ein großer Titel zugetraut wurde, der in der Schublade des Sunnyboys oft steckt - er darf sich als Champion fühlen. 2017 war sein Jahr. Er holte vier Titel, das Fünf-Satz-Halbfinale gegen Rafael Nadal bei den Australian Open gilt als eines der besten Duelle dieser Saison.

Bei den ATP Finals, an dem nur die besten acht Tennisprofis einer Saison mitwirken, scheiterte er diesmal aber nicht kurz vor dem Pokal - er reüssierte im Endspiel 7:5, 4:6, 6:3 gegen David Goffin; zuvor hatte er den Belgier schon in der Gruppenphase bezwungen und auch die drei Matches gegen die Top-Ten-Kollegen Dominic Thiem, Jack Sock und Pablo Carreño Busta für sich entschieden. Seit Montag ist er die Nummer drei der Welt, hinter Nadal, der in London nach der Auftaktniederlage gegen Goffin verletzt ausstieg. Und hinter Federer, der im Halbfinale Goffin unterlag.

Die Erfolgsgeschichte Dimitrovs ist insofern eine faszinierende, weil es lange so wirkte, als flögen dem auch schon 26-Jährigen nicht nur automatisch die Herzen zu, sondern auch die Erfolge. Dabei ist er vermutlich einer der härtesten Arbeiter, der viele Widerstände zu überwinden hatte und Tiefs erlebte. Er, Sohn eines Tennislehrers und einer Lehrerin, musste es aus "einer harten Gegend" in Haskovo schaffen, wie er dem Telegraph erzählte; in der Stadt östlich von Sofia wuchs er auf, ehe er mit 15 zur Sanchez-Casal-Akademie nach Barcelona geschickt wurde. Anfangs kopierte er vieles von Federer, die Bewegungen, die selben Marken trug er, das gleiche Racket spielte er. Baby-Fed, den Rufnamen wurde er lange nicht los, in London musste er noch mal seine Emanzipation erläutern.

Als Dimitrov 2014 das Halbfinale von Wimbledon erreichte sowie die Top Ten, nebenbei bulgarischer Sportler des Jahres wurde, schien er sich behauptet zu haben. "Da kamen Momente, in denen ich mich nicht richtig zusammenriss", bekannte er. Vor drei Jahren war er erster Ersatzspieler in London gewesen, trainierte, hielt sich bereit - und doch fiel keiner aus. "Das war hart", gab er zu. Danach musste er lernen, dass es auch wieder rückwärts gehen kann. Er setzte irgendwann neu an, auf der Suche nach Grigor Dimitrov, dem Original. Und dieses kehrte nach London zurück, als Grischo, so rufen ihn seine Fans. "Er ist reifer geworden", sagt Dani Vallverdu.

Der 31-Jährige ist sein Trainer und hat "großen Anteil" an seinem Erfolg, wie Dimitrov betonte. Der Venezolaner stieg früh nach einer mäßigen Profikarriere im Team von Andy Murray ein und erwarb sich dort als Analytiker einen guten Ruf. Vallverdu legt aber auch Wert auf Disziplin, so penibel, wie seine Haare gekämmt sind. Beide Eigenschaften kamen Dimitrov zugute, sie verwandelten das unstrukturierte Talent in einen strukturierten, zielorientierteren Profi. "Dinge zu vereinfachen", darum ging es Dimitrov, der seinen Weg gefunden hat. Er wisse, wie er arbeiten müsse. Dass nichts gegeben sei. Noch im Zuge des Triumphes von London verriet er, wie sehr er einen Grand-Slam-Titel ersehne. Dimitrov ist im Grunde ein ehrgeiziger, hungriger Pedant, nur in der Hülle des smarten, "süßen Jungen", wie Scherzinger mal über ihn sagte. Dimitrov war zuvor übrigens mit Maria Scharapowa liiert.

In Bulgarien ist er längst ein Volksheld. In Haskovo gab es ihm zu Ehren ein Fest. Und Rumen Radev gratulierte im Internet so: "Ein Bulgare hat gezeigt, wie mit viel Arbeit, Zähheit, Geist und Glaube der Sieg erzielt wird." Auch wenn es wie Trittbrettfahren klang: Bulgariens Staatspräsident hatte recht.

© SZ vom 21.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: